Der Schlussstrich der Tochter

22.02.2012
Die einzige Tochter der berühmten DDR-Familie Brasch erinnert sich an ihre Kindheit, die Konflikte um den linientreuen Vater und die drei früh gestorbenen Brüder. Keine große Literatur - aber das Buch hat etwas atmosphärisch Schwebendes und angenehm Leichtes, ohne oberflächlich zu sein.
Der Vater brachte es bis zum stellvertretenden Kulturminister in der DDR. Seine drei Söhne, vor allem der berühmte Sohn Thomas, versuchten sich als Künstler, bewegten sich mit unterschiedlichem Erfolg in der bohèmehaft-lumpenproletarischen DDR-Opposition und starben alle sehr früh - an Alkohol, Kokain und an Verzweiflung. Übrig blieb das jüngste Kind, die Tochter Marion Brasch.

Wenn diese jetzt einen Roman über ihre Familie schreibt, signalisiert bereits der Titel den Willen, endlich einen Schluss-Strich zu ziehen: "Ab jetzt ist Ruhe". Es geht um einen immensen innerfamiliären Druck, aber sie hat eine verblüffende Lösung gesucht, damit umzugehen. Sie unterläuft alles und schreibt in einem kindlich anmutenden Ton, der etwas Keck-Slapstickhaftes hat. Damit kann man das allzu Bedrängende scheinbar auf Distanz halten.

Dass der Vater Macht hat, dass es sich bei seinem Staat um die DDR handelt und bei den Brüdern um durchaus relevante Personen der Zeitgeschichte, teilt sich eher nebenbei mit. Auch der Name des berühmtesten Bruders, Thomas Brasch, fällt nie. Dadurch rückt das Ganze in ein etwas künstliches, leicht verschwommenes Licht. Die Brüder erscheinen immer typisiert, als der älteste, der mittlere und der jüngste.

Die nachgeborene Tochter erzählt vor allem ihre eigene Geschichte. Dabei geht es um ein Mädchen, das immer übersehen worden ist und aus dieser Randposition heraus die Dinge mit weniger Pathos erleben kann. Kindergarten, Schule, die Ausbildung zur Schriftsetzerin und die Tätigkeit in einer Zeitungsdruckerei ergeben ein "normales" Bild des Aufwachsens in der DDR, mit Freundinnen, Tramptouren und Campingurlauben wie woanders auch. Die Vor- und Nachteile, Tochter eines einflussreichen Funktionärs zu sein, scheinen sich dabei die Waage zu halten. Kleine Miniaturen gelingen der Autorin immer wieder recht gut, aber bei Ereignissen wie dem Kölner Konzert Wolf Biermanns und seiner Ausbürgerung oder den Entwicklungen vor dem Fall der Mauer versagt der bewusst einfache, scheinbar unverschnörkelte Duktus.

Die interessantesten Passagen für Brasch-Exegeten finden sich in diesem Buch über den Vater Horst. Er erscheint bei der Tochter durchaus differenziert. Dass ihm das ungestüme Aufbegehren seines ältesten Sohnes in seiner Parteikarriere schadet, dass dadurch auch etwas in ihm zerbrochen wird, zeigt sie fast beiläufig. Das zwiespältige, merkwürdige Gefühl, die DDR als Heimat begreifen zu wollen, spielt für Marion Brasch eine große Rolle. Es handelt sich hier bestimmt nicht um große Literatur, aber das Buch hat über weite Strecken etwas atmosphärisch Schwebendes, etwas angenehm Leichtes, ohne oberflächlich zu sein.

Besprochen von Helmut Böttiger

Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe
Roman meiner fabelhaften Familie
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2012
398 Seiten, 19,99 Euro

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