Der Schlächter der Französischen Revolution

20.06.2007
Maximilien Robespierre zählt zu den einflussreichsten und zugleich zu den brutalsten Männern der Französischen Revolution. Im Namen des Gemeinwohls lässt er Hunderte von "Verrätern" zum Schafott führen. Max Gallo zeigt in seinem Buch "Robespierre", dass hinter dem begnadeten Rhetoriker und Juristen ein von Zweifeln getriebener und von den Realitäten des einfachen Volkes entfremdeter Mensch steht.
Wer erwartet, in diesem Buch das Porträt eines brutalen Schlächters zu finden, dem Menschenleben nichts bedeuten, hat sich getäuscht. In seinem Werk über die führende Figur des Terrorregimes in der Französischen Revolution, Maximilien Robespierre, zeichnet der Autor Max Gallo, einst Pressesprecher Mitterands, einen sensiblen, einsamen Menschen, der stark auf sich selbst konzentriert ist.

Robespierre beginnt ein durchaus bürgerliches Leben in der Stadt Arras, arbeitet sich als Anwalt empor und verdient sich erste Aufmerksamkeit mit seinen Plädoyers. Gallo schildert Robespierres innere Verzweiflung, als er in seiner Funktion als Richter am bischöflichen Gerichtshof einen Mörder zum Tod verurteilen muss.
Während draußen die Unruhen zu brodeln beginnen, führt Robespierre in der Provinz ein angepasstes Leben, legt Sorgfalt auf seine Erscheinung und sein berufliches Fortkommen. Die Revolution dürfte für ihn anfangs weniger Herzenssache als Karrierekalkül sein. Alsbald aber wird sie sein zentrales Anliegen, in einer Weise allerdings, wie man es als mit der Französischen Revolution nur durchschnittlich Vertrauter nicht erwarten würde.

Robespierre wirbt in seinen Reden vor der Nationalversammlung unermüdlich für die Verfassung und setzt sich, ganz Jurist, für die Verfolgung des Rechtswegs ein. Robespierre erwirbt sich mit seinem beständigen und kompromisslosen Werben für die Gerechtigkeit bald den Ruf des Unbestechlichen, er wird vom Volk geliebt und verehrt. Selbst aber bleibt er einsam, tritt keiner Gruppe bei, schlägt Ehrenämter aus. Privat ist er allein, heiratet nicht, denkt nicht an Familiengründung. Seinen ganzen Eifer widmet er der Revolution. "Das Volk" ist sein zentrales Anliegen, dessen Wohl soll alles untergeordnet werden. Doch immer stärker zeigt sich, dass es sich dabei um ein lebloses Abstraktum im Denken Robespierres handelt. Nie kommt er in Kontakt mit "dem Volk", seinen bürgerlichen Kokon verlässt er nicht.

Als "das Volk" die Gefängnisse stürmt und mordet, taucht er unter. Als die Menschen in Zeiten galoppierender Teuerung feste Preise für Nahrungsmittel fordern und sich radikalisieren, verlangt Robespierre lediglich Bestrafung der Verantwortlichen. Als sich "das Volk" radikalisiert, die Revolution einen neuen Anlauf nimmt, doziert Robespierre vor den Jakobinern über seinen Entwurf zur Präambel einer neuen Verfassung.

Max Gallo zeigt einen Robespierre, der geschliffen reden kann, der in einem von Rousseau geprägten logischen Gedankengebäude lebt, aber in konkreten Situationen keine Lösungen anzubieten hat. Er zeigt einen einsamen, narzisstischen Robespierre, der anfangs die Realitäten scharf zu analysieren versteht, sie aber zunehmend verkennt. Gallo schildert einen Staatsmann, der – und das über zwei Drittel des Buches - lediglich theoretisiert, zögert, zu Veränderungen nur im Rahmen der Gesetze mahnt, aber immer stärker sich selbst zum Maßstab der Dinge setzt. Anfangs war es "das Volk", später "die Vorsehung", dann "die Nachwelt", unter deren Urteil er die seiner Meinung nach notwendigen Entscheidungen stellt.

Robespierre wird zunehmend radikaler. In seiner rigorosen Haltung, dem Wahren, Schönen und Guten in seiner Heimat zum Durchbruch zu verhelfen, teilt er in Gut und Schlecht ein. Wer ihm widerspricht, ist verdächtig, gehört zu den Verbrechern, den "Verrätern". Von Verrat wird in jenen Tagen pausenlos gesprochen, Misstrauen ist die politische Grundhaltung in den Jahren der Französischen Revolution.

Dabei versucht Gallo Robespierres einsame Haltung immer wieder auf seine Prägung in der Kindheit zurückzuführen: Der Vater verlässt die Familie, die Kinder wachsen bei den Großeltern auf. Für Gallo erklärt sich Robespierres Streben permanent als Rächen des Vaters, Einnehmen seiner Rolle, Absolutsetzen des Vaters. Allerdings erscheint die Reduzierung der Persönlichkeit Robespierres auf eine nicht aufgearbeitete Kindheit des Revolutionärs allzu determinierend.

Robespierre wird als unausgeglichene Figur dargestellt, die zu zwischenmenschlichen Beziehungen letztlich unfähig ist und selbst einst freundschaftlich Verbundene dem Tod ausliefern kann, ohne darüber zu trauern. Ebenso, wie er auch rücksichtslos gegen sich selbst ist. Es macht den Eindruck, als sähe er seinen gewaltsamen Tod vorher, immer wieder spricht er vom Sieg der anderen über sich. Wie er überhaupt viel über sich spricht. Die Französische Revolution, das ist eigentlich sein eigenes, sein privates, einsames Leben, für das er mit aller Radikalität im Äußeren nach einer Antwort im Inneren sucht.

Rezensiert von Stefan May

Max Gallo: Robespierre
Aus dem Französischen von Pierre Bertaux und Bernd Witte
Klett-Cotta, Stuttgart 2007
288 Seiten, 26 Euro