Der Schilderstreit

Von Ernst Ludwig von Aster |
15 Kilometer nur liegen sie auseinander: Witzenhausen und Bad Sooden-Allendorf. Früher trennten sie nur die 15 Kilometer. Jetzt trennt sie der Streit um eine Autobahnausfahrt. Nur ein Ortsname passt aufs Schild. Aber welcher?
Bad Sooden-Allendorf besitzt immerhin eine Kurtherme und zwei überregional bedeutsame Stilarten des Fachwerkbaus. Witzenhausen dagegen ist berühmt als Austragungsort der deutschen Meisterschaften im Kirschkernspucken und Geburtsort der Biomülltonne. Nur in einem sind sich die Orte einig: wer nicht aufs Schild darf, droht in Vergessenheit zu versinken.

„Als wir von Hamburg gekommen sind, das war im November vor anderthalb Jahren, stellten wir auf einmal fest, das hier ein vollkommen neues Schild steht. "

Wolfgang Dovidat – verwirrt. Auf der Autobahn A 7. Vor der Abfahrt.

„Es gab kein Friedland mehr, es gab kein Witzenhausen mehr, es stand ein blaues Schild Autobahnkreuz Drammetal. "

Statt Autobahnabfahrt – Autobahnkreuz. Statt Friedland, Witzenhausen – Drammetal.

„Auch wir kannten die Dramme nicht, also es geht nicht nur um Witzenhausen, auch das allen bekannte Friedland war dann verschwunden. "

Vom Schild an der A 7. Das auf niedersächsischem Gebiet steht

„Die Beschilderung erfolgte von Niedersachsen aus, und hier liegt die eigentlich Problematik. Und hier hat ein Beamter also dann irgendwo das alles weggelöscht unser Nordhessen.... "

Und damit auch Witzenhausen. Den 15.000 Einwohnerort, wo Dovidat Senior & Junior ihr Burghotel betreiben. Verkehrsgünstig gelegen. Vor allem für Skandinavier. Auf dem Weg nach Süden, sagt der Junior.

„... wer in Skandinavien morgens losfährt der landet so im Laufe des späten Nachmittags hier in der Region. Und wenn sich dann der Vadder sagt, er möchte sich langsam ein Hotel suchen und noch ein Bierchen trinken, um am nächsten Tag weiterzufahren, dann ist man in der Rege lhier in Friedland von der Autobahn runter und hat sich hier in den umliegenden Ortschaften ein Hotel gesucht. "

Als noch Friedland auf dem Abfahrtschild stand. Und Witzenhausen. Seit letztem Sommer aber bleiben die Gäste weg:

„Das liegt nicht nur an der Änderung der Benennung sondern auch an der Psychologie der Änderung einer Umwandlung von Abfahrt in ein Dreieck. "

Die Psychologie des Dreiecks. Die vor allen den Skandinavier treibt. Zur Weiterfahrt:

„Wenn der Vater jetzt aber keine Autobahnabfahrt mehr sieht, sondern ein Autobahndreieck, dann wird er nicht im Kopf haben, och fahre jetzt hier auf ein Dreieck, das mich in den tiefen Osten verweist, um dort ein Bett zu finden, um am nächsten morgen weiterzufahren. Der wir jetzt an dieser Ecke weite geradeaus fahren, vermutlich nach Kassel oder noch weiter, bevor er sich dann irgendwo ein Hotel sucht. "

50 Prozent Übernachtungsrückgang meldet Friedland, 30 Prozent das Burghotel in Witzenhausen.

„Dann haben wir gedacht. So geht das nicht weiter, dann haben wir im Juni 2004 einen Brief an alle vier umliegenden Städtebürgermeister geschrieben, sowieso auch zur Kenntnisnahme an unseren Ministerpräsidenten Roland Koch. Schließlich sind wir der nördlichste Teil von Hessen. "

Depressionen am Dreieck Drammetal. Keine Abfahrt, kein Aufschwung.

„Wir sehen das herrliche Fachwerk des roten Hauses, einer Gaststätte, wo im Mittelalter die Pferdekutscher Pause gemacht haben, wir sehen davor den alten Brunnen, den Kump, das war vorher eine Pferdetränke, "

Günter Engel lehnt sich aus dem Fenster. Im Rathaus. Blickt auf die Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz …

„... das war die Zeit von gutem Handel und Wandel in Witzenhausen .... Das zeigt, das damals schon ein wichtiger Verkehrsknoten im Mittelalter und in der Neuzeit war, durch die Salzstrasse von Halle nach Kassel. "

Die Zeiten sind vorbei. Lange schon. Seit 17 Jahren ist Engel hier Bürgermeister. In Witzenhausen. Gelegen an der Bundesstrasse 80, der Bundesstrasse 27. Unweit der Autobahn 7.

„Das ist so eine Kartenspinne, hier ist noch was drin, schwarz-weiß ist besser, wir sind also hier, das ist die neue A 38 nach Halle. "

Die neue Autobahn. Die A 38. Die Südharzstrecke. Mit neuen Abfahrtsschildern.

„Wir haben uns über den Bau und den Plan der Autobahn 38 sehr gefreut. Weil wir uns dort eher Vorteile versprechen. Wir liegen nur wenige Minuten von der nächsten Abfahrt entfernt. "

Eine neue Abfahrt. Für Witzenhausen. Wenn schon nicht mehr an der A7, dann wenigstens an der A 38. Dachte der Bürgermeister.

„Ich bin davon ausgegangen dass Witzenhausen als nächste größere Stadt auf diesem Schild der dritten Autobahnabfahrt genannt wird und habe mich um ein Verfahren nicht weiter gekümmert. "

„Als ich gehört habe, dass die Nachbargemeinde Friedland und Neu-Eichenberg. Eschwege und die Nachbarstadt Bad Sooden Allendorf auf dem Schild stehen dürfen , habe ich mich eingeschaltet mit Briefen beim Verkehrsministerium und darum gebeten, doch unbedingt den Namen Witzenhausen auf der Abfahrtstafel zu zeigen... "

Erst recht, wenn der Nachbarort Bad Sooden Allendorf aufs Schild darf.

„Weil Witzenhausen einmal näher dran liegt, doppelt so groß ist wie Bad Sooden Allendorf.“

„Wir haben natürlich von unseren Gästen böse Briefe und Vorsprachen bekommen, dass mit der Abfahrt Drammetal überhaupt nicht zurechtgekommen sind und erst bei der erneuten Querung der Werra vor den Toren Kassels gemerkt haben, dass sie an uns vorbeigefahren sind. Da mussten wir reagieren. Und haben für uns geworben. "

Ronald Gundlach als Bürgermeister. Für Bad Sooden-Allendorf. Und seine 9500 Einwohner.

„Ich habe dann ohne gegen einen Nachbarn zu argumentieren ... habe ich für Bad Sooden-Allendorf geworben, als touristischen Schwerpunkt im Kreis.... "

Nur 15 Kilometer von Witzenhausen entfernt. Die Perle im Werratal. Laut Eigenwerbung.

„Sehr viel Klinken in Bad Sooden-Allendorf, Rehakliniken der BfA, überregionaler großer Träger, wo de Gäste von außerhalb kommen. Und wir dürfen die nicht verärgern. "

Zum ersten, zum zweiten:

„Wohnmobilstellplatz, der sehr gut genutzt wird, auch diese Leute sind natürlich auf verkehrliche Hinweise angewiesen. "

Zum dritten:

„Grundsätzlich die Schönheit hier im Werratal selber. "

Zum vierten:

„Wir haben hier ne Fachhochschule Nordhessen, ne private, die sehr gut läuft, die hat 200 Schüler. Und viel an Infrastruktur mehr. Und deshalb haben wir auch berechtigte Gründe vorgetragen. "

Beim hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium. Dem Doppelressort von Minister Alouis Rhiel....

„Herr Rhiel hat bei einem Besuch, bei dem er uns einen sehr schönen Bescheid überbracht hat, gesagt Bad Sooden-Allendorf kommt auf das Autobahnschild. "

„Unser Vorschlag ist, wenn Bad Sooden-Allendorf unbedingt auf dem Schild stehen muss, dass dann fünf Namen auf das Schild kommen, einschließlich des Namens Witzenhausen. "

Fordert Günter Engel. Der Bürgermeister. Von Witzenhausen. Aus vier mach fünf. Und alle wären zufrieden.

„Das wurde dann wohl geprüft. Aber im letzten Ergebnis abgelehnt mit der Begründung es können nur vier Namen auf diesem Abfahrtsschild stehen. "

„Höchstens vier“, um genau zu sein. Besser nur zwei. So steht es in den „Richtlinien für die wegweisende Beschilderung auf Bundesautobahnen“. Unter Punkt 3.2.2. Hier steht auch, dass nur Zitat „verkehrswichtige Zielorte“ auf Schilds dürfen. Verkehrswichtig aber war Witzenhausen schon immer. Darauf lässt Bürgermeister Engel nichts kommen.

„Ich habe alle die Argumente und Gesichtspunkte dem hessischen Verkehrsministerium vorgetragen. "

Zum ersten:

„Wir sind selbst hier auch eine Universitätsstadt, wir haben auch den Fachbereich ökologische Agrarwissenschaft der Uni Kassel hier in Witzenhausen, "

Zum zweiten:

„Immerhin blühen hier im Frühjahr 150.000 Kirschbäume und ziehen viele Besucher an. "

Zum dritten:

„Wir sind hier auch ein überregional bekannter Ort mit Besonderheiten wie der Witzenhausen-Woche, die eine Gewerbeschau im Freien ist und 30.000 bis 40.000 Besucher an drei Tagen anlockt. "

Zum vierten:

„Wir haben hier das einzige Gewächshaus für tropische Nutzpflanzen in Deutschland. "

Logische Schlussfolgerung:

„Deswegen ist der Hinweis auf der Autobahn sehr wichtig. "

Für den Bürgermeister. Und für Witzenhausen. Nicht aber fürs hessische Verkehrsministerium:

„Rückmeldung war: Man habe sich für den Nachbarn Bad Sooden-Allendorf entschieden, weil da eben mehrere hunderttausend Übernachtungen aufgrund des Kurbetriebes zu verzeichnen sind. "

Vorfahrt für Bad Sooden-Allendorf. Einspruch kam da. Aus Witzenhausen.

„Ich habe dem widersprochen, weil ich weiß, das Kurgäste die sich ja ein paar Wochen in Bad Sooden-Allendorf aufzuhalten haben, genau wissen wo sie hinzufahren haben ,..., die haben also keinen Beratungsbedarf…“

Die Antwort:

„Das hessische Verkehrsministerium hat darauf nicht mehr reagiert. Ich habe nur aus der Zeitung erfahren, dass die Entscheidung wohl für Bad Sooden-Allendorf gefallen ist. "

Doch schriftlich hat er noch nichts. Außer den Nachrichten aus der Zeitung:

„Offiziell stehen drauf Eschwege, Friedland, Neu-Eichenberg und Bad Sooden-Allendorf.“

„Wir sind natürlich sehr verwundert über die Starrheit der Vorschriften, wir hätten uns gewünscht, beide sind drauf. "

Sagt Ronald Gundlach. Der Bürgermeister von Bad Sooden Allendorf.

„Die ideale Lösung wäre natürlich fünf in diesem Falle, aber ich könnte mir auch eine Kombination von blauem Autobahnschild und braunem Touristikschild vorstellen, wie das dann auszugestalten wäre, das muss man sehen. "

Doch im Augenblick sieht es nicht so aus. Auch der andere Kompromissvorschlag, die Bezeichnung „Werratal“, hat wenig Chancen. Mit der könnten beide Kommunen auf dem Schild leben. Allerdings:

„Dass Bezeichnungen von Landschaften auf Autobahnschildern nix zu suchen haben. "

Also will er weitersuchen. Zusammen mit seinem Kollegen Engel. Aus Witzenhausen. Neue Wege für die Region. Auf dem Autobahn-Abfahrtsschild. Solange Bad Sooden-Allendorf drauf bleibt:

„Wir beteiligen uns an konstruktiven Lösungen. Aber freiwillig zurücktreten würde man sicher nicht, das ist völlig verständlich aus unserer Sicht, denke ich schon. "

„Ich gehe aber davon aus, dass das erste Stück der Autobahn Ende 2005 übergeben wird. Und dann müssen ja auch die ersten blauen Schilder an den Abfahrten stehen. "

Bleibt also noch etwas Zeit. Für Witzenhausen. Und Bürgermeister Günter Engel.

„Ich glaube daran dass die besseren Argumente Witzenhausens für Witzenhausen sprechen und das Witzenhausen dann auch als 4. Name auf dem Schild stehen wird... "

Auch wenn das hessische Verkehrsministerium anders entschieden hat..

„Jüngstens haben Gerüchte behauptet, es sei wieder andersherum entschieden vom niedersächsischen Verkehrsministerium, es heißt Witzenhausen an Stelle von Bad Sooden Allendorf. "

Niedersachsen aber hat beim Abfahrtsschild auf hessischem Gebiet nichts zu sagen. Betont der Sprecher des niedersächsischen Verkehrsministeriums. Nichts wurde in Hannover entschieden. Weil es nichts zu entscheiden gibt. Das Abfahrtsschild ist eine rein hessische Angelegenheit.

„Ich weiß jetzt wirklich nicht mehr, wo ich dran bin. "

Auf dem Schild eher nicht. So wie es derzeit aussieht:

„Offiziell stehen drauf Eschwege, Friedland, Neu-Eichendorf und Bad Sooden-Allendorf. "

Nichts Neues also. Für Witzenhausen. Kein Platz. Auf dem Schild. Das noch nicht steht. An der A 38. Die noch nicht fertig ist.

„So etwas ist mir den 17 Jahren Bürgermeisterei noch nicht untergekommen. Und für mich ist das auch ein Beispiel wie überreguliert Deutschland ist. Jeder versucht immer nur seine Entscheidungen zu rechtfertigen. Und sieht nicht das ganze. Und die pragmatische Lösung. Das ist auch mein persönlicher Frust als BM. "

„Wir, die wir das aus Witzenhausen angestoßen haben im Grunde genommen, sind jetzt heute auf Seiten der Verlierer. Denn an der neuen Autobahnausschilderung an der A 38 sollen andere Städte plötzlich drauf, nur nicht Witzenhausen, die das eigentlich angeregt haben. "

Wolfgang Dovidat verärgert. Am Tisch in seinem Burghotel. Zusammen mit dem Juniorchef. Vor ihnen Briefe, Zeitungsartikel – Zeugnisse des Schilder-Streits.

„Da hat dann jemand gesagt, jajaja, dadurch, dass Bad Sooden Allendorf nicht mehr an der A 7 ausgeschildert ist, an der Abfahrt Friedland, hätte man einen Rückgang an Übernachtungen. Klingt in den Medien gut, jetzt muss man aber wissen Bad Sooden-Allendorf war da nie ausgeschildert. "

Demnächst aber steht es auf dem Schild. Und nicht Witzenhausen. So wie es aussieht.

„Man muss sagen, gut ok, an der Sache können wir nichts mehr viel rütteln, entweder wir schaffen es jetzt mit neuen Ideen zu kommen, ansonsten hat man ein ganz großes Problem. "

Neuer Wege nach Witzenhausen. Unabhängig vom Autobahnschild. Das ist die Devise:

„Und diese neue Wege bauen wir uns nun wirklich schwerpunktmäßig über den Datenhighway, über die Datenautobahn auf. "

Ein eigenes Verkehrsleitsystem. Virtuell. Unabhängig von Landes- und Bundesministerien.

„Hier kann ich jetzt draufklicken und er fragt mich dann, wo möchte ich losfahren, dann gebe ich hier ein Strasse, wo wohne ich, Ort wo wohne ich, drücke auf den Knopf und der zeigt mir wie ich in Witzenhausen vor die Haustür komme. "

Vor die Haustür des Burghotels. Durch das Dreieck Drammetal.

„Wenn man über Göttingen komt, dann steht da: Bitte Autobahn verlassen am Autobahnkreuz Drammetzal auf die A 38 und dieser folgen... "

Das System funktioniert, die Gäste finden nach Witzenhausen. Auch ohne Autobahnschild. Ein Test. Für die Massenbewegung. Im nächsten Jahr. Auf die Vater und Sohn Dovidat warten: Die Fußballweltmeisterschaft.

„Man sieht hier die Städte und Ortschaften, wo bisher Austragungsspiele geplant sind. Und man sieht, dass man in Witzenhausen sehr zentral liegt. "

Witzenhausen – mitten in Deutschland. Fußballweltmeisterschaftsfeldmässig jedenfalls. Auch ohne Autobahnschild...