Der Scheinriese "Endlager-Suchgesetz"

Von Jürgen Döschner, Westdeutscher Rundfunk |
CDU, SPD und Grüne wollen mit dem neuen Gesetz einen "historischen Kompromiss" erreicht haben. Dabei zeige der Plan schon jetzt Schwächen. Der Scheinriese wird bald auf seine wahre Größe zusammenschrumpfen, kommentiert der Wirtschaftsredakteur Jürgen Döschner.
Wer kennt nicht Jim Knopf, den Lokomotivführer – und Turtur, den Scheinriesen, der von Weitem so furchterregend groß aussah, aber umso kleiner wurde, je mehr man sich ihm näherte.

Als die Teilnehmer des so genannten "Endlager-Gipfels" am Dienstagabend dieser Woche nach mehrstündigen Beratungen vor die Presse traten, präsentierten sie der Öffentlichkeit einen eben solchen Turtur – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Der Scheinriese "Endlager-Suchgesetz" flößt aus der Ferne betrachtet nicht Furcht, sondern Freude ein. Ob Bundesumweltminister Altmaier, Grünenchef Trittin oder der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil – sie alle konnten ihre Euphorie kaum bremsen. Zumindest das parteiübergreifende Grinsen aller Beteiligten kann man getrost als "historisch" bezeichnen. Der Ausblick, im Jahr 2031 endlich einen Standort für ein Atommüll-Endlager gefunden zu haben, versetzte die Runde in eine beinahe kindliche Fröhlichkeit.

Doch es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorauszusagen: Je näher das Jahr 2031 rückt, desto so kleiner wird dieser heute so groß erscheinende Kompromiss werden. Das Endlager-Suchgesetz wird nicht nur, wie Jim Knopfs Turtur, auf normale Größe schrumpfen, es wird sich am Ende als unbedeutender Zwerg entpuppen. 17 Jahre sind eine lange Zeit, und schon wenige Tage haben schließlich gereicht, um über die Frage, wohin mit den gerade mal 26 im Ausland verbliebenen Castoren, den Altmaier’schen Kuschel-Konsens zerbröseln zu lassen.

Die nächsten Risse wird es spätestens in wenigen Wochen geben, wenn konkret darüber entschieden wird, wer denn in der 24köpfigen Enquetekommission sitzen soll. Immerhin ein Gremium, das über die wesentlichen Auswahlkriterien für das sogenannte Endlager entscheiden soll. Da gibt es unterschiedliche Politiker, unterschiedliche Experten mit sehr unterschiedlichen Präferenzen. Jeder Name, jeder Sitz in der Kommission ist so ein Stück Vorentscheidung mit historischer Tragweite.

Wenn diese Hürde samt Verabschiedung des Gesetzes genommen sein sollte, stünde in zwei Jahren, also Ende 2015, der nächste Schwur an: Dann würde, laut Plan, die Enquetekommission ihre Empfehlungen verkünden. Die nächste Gelegenheit, bei der der angeblich "historische Kompromiss" vom 9. April atomisiert werden könnte. Und wenn dem, wider Erwarten, nicht so sein sollte, dann im weiteren Verlauf des Verfahrens.

Von den fröhlich feixenden Politikern, die sich am Dienstag in Berlin in den Armen lagen, wird wohl kaum einer in die Verlegenheit kommen, am 31. Dezember 2031 ein weiteres Mal das Scheitern der Suche nach einem Endlager verkünden zu müssen. Und das ist vermutlich der eigentliche Grund für die parteiübergreifende Fröhlichkeit. Ein politischer Taschenspielertrick. Man gibt sich als pragmatische, konsensfähige Macher – doch die Tat, die dies beweisen könnte, wird in weite Zukunft verlegt. Wer wird sich 2031 noch an Namen wie Altmaier, Trittin oder Kretschmann erinnern?

So kann das in den letzten 50 Jahren deutscher Nukleargeschichte zerschlagene Porzellan nicht gekittet werden. So wird das Vertrauen der Bürger in die Atompolitik nicht wieder hergestellt – und sei es eine Atomausstiegspolitik.

Japan hat vorgemacht, wie man in der sensiblen Frage der Atomenergie mit Bürgerwillen umgeht: Nach Fukushima dürfen Atomkraftwerke, die zu Wartungszwecken heruntergefahren wurden, nur mit Zustimmung der örtlichen Bevölkerung wieder hochgefahren werden. Ergebnis: Nur ganze zwei von 54 AKW sind in Japan derzeit am Netz!

Auch in Deutschland sollte die Politik endlich das Ruder in der Nuklearpolitik radikal herumreißen. Nach 50 Jahren Lug, Betrug und Mauschelei reicht es nicht, einmal mehr eine Enquetekommission zu gründen.

Demokratisch, offen, ehrlich, transparent – das sind die Mindestvoraussetzungen dafür, dass wir eine Lösung für das Atommüllproblem finden. Zu dieser Ehrlichkeit gehört u.a., dass wir Abschied von der Illusion des "sicheren Endlagers" nehmen. Optionen wie die oberirdische Lagerung oder rückholbare Lagerung in Granit dürfen nicht mehr ausgeschlossen werden. Vor allem aber sollte auch beim Atommüll endlich dem Prinzip "Vermeidung geht vor Entsorgung" Geltung verschafft werden – das bedeutet: sofortige Abschaltung aller noch in Betrieb befindlichen AKW!
Mehr zum Thema