Der sächsische Volksschriftsteller und seine Superhelden
Winnetou, Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand sind schon lange keine Idole mehr für Jugendliche. Ungeachtet der Entwicklung auf dem Buchmarkt hält sich Karl May aber auch im 21. Jahrhundert standhaft in der Öffentlichkeit. Zu verdanken ist dies einem breiten Spektrum von Karl-May-Aktivitäten hierzulande. Am Wochenende fand ein großes Forschungssymposium in Berlin statt.
Überraschend ist zunächst, dass ein Autor, der in vielen Haushalten angestaubt im Regel steht, wenn er nicht schon auf den Dachboden verfrachtet wurde, so viel Forschungsinteresse hervorruft. Die Fülle an wissenschaftlichen Arbeiten über den kleinen Sachsen und seinen Fantasiewelten ist kaum mehr zu überblicken, sie dürften mehrere Räume füllen.
Aber selbst wenn schon viele Felder abgegrast sind, dann gräbt man wie eine Reihe von Referenten beim Symposium in Berlin eben noch ein bisschen tiefer - und fördert zuweilen skurrile Details zutage: zum Beispiel, dass May sich als einer der wenigen Autoren traute, in einem seiner Kolportageromane ausführlich den Tod Ludwig des II. am Starnberger See zu schildern, der meint der May-Kenner und freier Autor Harald Eggebrecht:
"Das Ungeheuerliche ist, dass er sich in diese Situation herein begibt, wie muss sich ein König fühlen beim Ertrinken, das war ja eigentliche ein Sakrileg, der König ist gestorben und so was macht man eigentlich nicht und das ist das Tolle an Karl May, dass er solche Sachen durchbricht und mit den Fähigkeiten seiner Imagination dahinein zu steigen, das ist außergewöhnlich gut."
Aber textanalytische Forschungen sind heute eher die Ausnahme. Schon lange beschäftigen sich die unterschiedlichsten Wissenschaftler von Medizinern bis hin zu Geographen mit dem einstigen Volksschriftsteller, der gerne aus den verschiedensten Lexika und Zeitschriften abschrieb, um damit seinen Erzählungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Helmut Schmiedt, wissenschaftlicher Leiter des Symposiums und Vorsitzender der Karl May-Gesellschaft:
"Als die Karl-May-Gesellschaft anfing zu forschen in den 70er und 80er Jahren ist May vor allem als psychologisches Phänomen interessant gewesen. Heute geht der Trend dahin, mehr auf so kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge zu achten, also zum Beispiel hat May den Wildwesten und den Orient als Lieblingsschauplatz gehabt, und es ist eben so, dass es damals so etwas wie Orientbegeisterung und Wildwestbegeisterung in der deutschen Kultur gegeben hat, also er hat im Grunde einen Trend aufgenommen und forciert."
Inwieweit sich in May Romanen Mentalität und Stimmungen des wilhelminischen deutschen Reichs widerspiegeln, ist heute eines der debattenträchtigsten Kapitel in der May-Forschung - vor allem wenn wie in Berlin dabei die Idole des Autors entthront werden. Für den jungen Historiker Jürgen Zimmerer sind Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand schlicht imperiale Superhelden.
"Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand sind ja jedem Indianer, jedem Afrikaner, jedem Araber überlegen, körperlich überlegen, sie sind technisch überlegen, sie sprechen alle Sprachen (...) sie kennen den Islam besser als die Moslems, das heißt sie führen theologische Diskurse, das heißt sie sind die Personifizierung der europäischen Überlegenheit Ich sehe Karl May als Vertreter des Kolonialismus wie zu der Zeit wahrscheinlich die überwiegende Mehrzahl der Europäer."
Diese These des Direktors des Zentrums für Genozidforschung an der britischen Universität Sheffield versetzte so manchen der rund 100 Symposiumsteilnehmer in Unruhe - ein kurzzeitig lebendigen, anregenden Diskurs, wie man ihn sich noch viel öfter an diesem Wochenende gewünscht hätte:
"Also ich bin etwas erregt, weil sozusagen, wenn sie von KM sprechen, müssen sie KM und die bürgerliche Friedensbewegung nehmen, müssen sie KM und Berta von Suttner ...das sind die Referenzen, die sie haben ... die These bröselt ... die These bröselt überhaupt nicht, dann nennen sie mir doch bitte, die beiden Vorredner, die beiden gleichberechtigten Figuren -
Winnetou? Wo behandelt er denn Hadschi Halef Omar als gleichberechtigt? Die Araber kommen als dreckig daher, das sind die Gauner ... darf ich auf sie antworten oder wollen sie, dass ich auch nicht antworte, dann kann ich auch ruhig sein."
Größere Einhelligkeit herrschte dann wieder bei einem der Lieblingsthemen vieler May-Forscher, das einst Millionen von Heranwachsenden ein traumatisches Leseerlebnis bescherte:
"Es ging ein konvulsivisches Zittern durch seinen Körper; ein Blutstrom quoll aus seinem Munde; der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen - er war tot!"
Gleich mehrere Vorträge kreisten um den Tod der schönen edlen Hauptfigur Winnetou, eine ganz neue These stellte der Autor Ulrich Scheinhammer-Schmid vor. Er analysierte die entsprechende Szene aus dem Film Winnetou 3.Teil von 1965 mit Pierre Briece und sieht darin die enge Beziehung der Bundesrepublik zu den USA in der Adenauer-Ära illustriert:
"Im Film ist es so, dass im Gegensatz zum Buch nicht die christliche Bekehrung im Vordergrund steht, sondern sein Tod durch Banditen und Verbrecher, allerdings wird sein Tod quasi ausgelöscht, dadurch, dass die US-Armee als rettende Instanz in Erscheinung tritt, die US-Armee ist das regulierende System in dieser Todesszene, und sie repräsentiert Recht, Ordnung und Rettung der Indianer und das, denke ich passt zu den 60er Jahren mit der noch sehr ausgeprägten deutschen US-amerikanischen Bündnisachse."
Eine wirkliche Neuentdeckung lieferte die türkische Literatur-Dozentin Olcay Akyildiz von der Bospurus-Universität in Istanbul. In Berlin stellte sie erstmals den "türkischen Karl May" vor. Ahmet Mithat, ein Zeitgenosse Mays. Dieser schrieb nicht wie May über Reisen in den Orient, sondern berichtete über das Leben im Okzident. Beide Autoren trugen das Material für ihre Geschichten übrigens am Schreibtisch zusammen - mit dem Unterschied, dass Mithat diese Tatsache nie verleugnete.
Aber selbst wenn schon viele Felder abgegrast sind, dann gräbt man wie eine Reihe von Referenten beim Symposium in Berlin eben noch ein bisschen tiefer - und fördert zuweilen skurrile Details zutage: zum Beispiel, dass May sich als einer der wenigen Autoren traute, in einem seiner Kolportageromane ausführlich den Tod Ludwig des II. am Starnberger See zu schildern, der meint der May-Kenner und freier Autor Harald Eggebrecht:
"Das Ungeheuerliche ist, dass er sich in diese Situation herein begibt, wie muss sich ein König fühlen beim Ertrinken, das war ja eigentliche ein Sakrileg, der König ist gestorben und so was macht man eigentlich nicht und das ist das Tolle an Karl May, dass er solche Sachen durchbricht und mit den Fähigkeiten seiner Imagination dahinein zu steigen, das ist außergewöhnlich gut."
Aber textanalytische Forschungen sind heute eher die Ausnahme. Schon lange beschäftigen sich die unterschiedlichsten Wissenschaftler von Medizinern bis hin zu Geographen mit dem einstigen Volksschriftsteller, der gerne aus den verschiedensten Lexika und Zeitschriften abschrieb, um damit seinen Erzählungen einen wissenschaftlichen Anstrich zu verpassen. Helmut Schmiedt, wissenschaftlicher Leiter des Symposiums und Vorsitzender der Karl May-Gesellschaft:
"Als die Karl-May-Gesellschaft anfing zu forschen in den 70er und 80er Jahren ist May vor allem als psychologisches Phänomen interessant gewesen. Heute geht der Trend dahin, mehr auf so kultur- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge zu achten, also zum Beispiel hat May den Wildwesten und den Orient als Lieblingsschauplatz gehabt, und es ist eben so, dass es damals so etwas wie Orientbegeisterung und Wildwestbegeisterung in der deutschen Kultur gegeben hat, also er hat im Grunde einen Trend aufgenommen und forciert."
Inwieweit sich in May Romanen Mentalität und Stimmungen des wilhelminischen deutschen Reichs widerspiegeln, ist heute eines der debattenträchtigsten Kapitel in der May-Forschung - vor allem wenn wie in Berlin dabei die Idole des Autors entthront werden. Für den jungen Historiker Jürgen Zimmerer sind Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand schlicht imperiale Superhelden.
"Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand sind ja jedem Indianer, jedem Afrikaner, jedem Araber überlegen, körperlich überlegen, sie sind technisch überlegen, sie sprechen alle Sprachen (...) sie kennen den Islam besser als die Moslems, das heißt sie führen theologische Diskurse, das heißt sie sind die Personifizierung der europäischen Überlegenheit Ich sehe Karl May als Vertreter des Kolonialismus wie zu der Zeit wahrscheinlich die überwiegende Mehrzahl der Europäer."
Diese These des Direktors des Zentrums für Genozidforschung an der britischen Universität Sheffield versetzte so manchen der rund 100 Symposiumsteilnehmer in Unruhe - ein kurzzeitig lebendigen, anregenden Diskurs, wie man ihn sich noch viel öfter an diesem Wochenende gewünscht hätte:
"Also ich bin etwas erregt, weil sozusagen, wenn sie von KM sprechen, müssen sie KM und die bürgerliche Friedensbewegung nehmen, müssen sie KM und Berta von Suttner ...das sind die Referenzen, die sie haben ... die These bröselt ... die These bröselt überhaupt nicht, dann nennen sie mir doch bitte, die beiden Vorredner, die beiden gleichberechtigten Figuren -
Winnetou? Wo behandelt er denn Hadschi Halef Omar als gleichberechtigt? Die Araber kommen als dreckig daher, das sind die Gauner ... darf ich auf sie antworten oder wollen sie, dass ich auch nicht antworte, dann kann ich auch ruhig sein."
Größere Einhelligkeit herrschte dann wieder bei einem der Lieblingsthemen vieler May-Forscher, das einst Millionen von Heranwachsenden ein traumatisches Leseerlebnis bescherte:
"Es ging ein konvulsivisches Zittern durch seinen Körper; ein Blutstrom quoll aus seinem Munde; der Häuptling der Apachen drückte nochmals meine Hände und streckte seine Glieder. Dann lösten sich seine Finger langsam von den meinigen - er war tot!"
Gleich mehrere Vorträge kreisten um den Tod der schönen edlen Hauptfigur Winnetou, eine ganz neue These stellte der Autor Ulrich Scheinhammer-Schmid vor. Er analysierte die entsprechende Szene aus dem Film Winnetou 3.Teil von 1965 mit Pierre Briece und sieht darin die enge Beziehung der Bundesrepublik zu den USA in der Adenauer-Ära illustriert:
"Im Film ist es so, dass im Gegensatz zum Buch nicht die christliche Bekehrung im Vordergrund steht, sondern sein Tod durch Banditen und Verbrecher, allerdings wird sein Tod quasi ausgelöscht, dadurch, dass die US-Armee als rettende Instanz in Erscheinung tritt, die US-Armee ist das regulierende System in dieser Todesszene, und sie repräsentiert Recht, Ordnung und Rettung der Indianer und das, denke ich passt zu den 60er Jahren mit der noch sehr ausgeprägten deutschen US-amerikanischen Bündnisachse."
Eine wirkliche Neuentdeckung lieferte die türkische Literatur-Dozentin Olcay Akyildiz von der Bospurus-Universität in Istanbul. In Berlin stellte sie erstmals den "türkischen Karl May" vor. Ahmet Mithat, ein Zeitgenosse Mays. Dieser schrieb nicht wie May über Reisen in den Orient, sondern berichtete über das Leben im Okzident. Beide Autoren trugen das Material für ihre Geschichten übrigens am Schreibtisch zusammen - mit dem Unterschied, dass Mithat diese Tatsache nie verleugnete.