Der Robert Capa Russlands
Sein berühmtestes Bild ist gestellt und mehrfach verändert: Ein Rotarmist hisst die rote Fahne auf dem Reichstag. Doch mit diesem wie anderen Bildern hat Jewgenij Chaldej die politische Ikonografie geprägt wie kein anderer. Seine Bilder von der Potsdamer Konferenz oder den Nürnberger Prozessen gehören quasi zum kollektiven Gedächtnis. Eine Ausstellung in Berlin zeigt nun Bilder des großen Fotografen.
Die Ausstellung über Jewgenij Chaldej ist nicht zuletzt ein Grundkurs in Sachen politischer Ikonografie:
Anna Chaldej: "Er sah eine Gruppe von drei Soldaten beim Reichstagsgebäude stehen. Chaldej hatte die Flagge unter seiner Jacke mitgebracht, aber er brauchte ja Helfer, die sie hissen. Die drei Soldaten waren sehr jung, und denen hat er befohlen, mit ihm zusammen aufs Dach zu klettern. Da oben fanden sie eine Dachlatte, daran haben sie die Fahne befestigt. Kowalew, den einen Soldaten, zwang er, auf die Spitze des Portals zu steigen. Es dauerte eine Zeit, bis er ein gutes Motiv gefunden hatte. Schließlich sollte Kowalew sich mit der Fahne nach vorn beugen, und ein anderer Soldat ihn hinten festhalten, denn dieses Kunststück war ziemlich gefährlich. Kowalew hat sich also heruntergebeugt und die Flagge gehalten, und der andere Soldat hat ihn an den Stiefeln gehalten, und so hat Chaldej dann ein Motiv gefunden. Berlin lag vor ihm, zerstört, davor die Flagge und der Reichstag. Und ich glaube, dass dieses Bild ein ewiges Symbol des Sieges über den Faschismus bleiben wird."
So Anna Chaldej, die Tochter des Meisters. Über den Grad der Manipulation wird bisweilen immer noch trefflich spekuliert. Chaldej selber hat bis zu seinem Tod 1997 behauptet, am Ort gewesen zu sein, und vieles spricht in der Tat dafür. Fest steht allerdings, dass es diese berühmte Szene so nie gegeben hat. In der Ausstellung sind mehrere verschiedene Versionen des Motivs mit verschiedenen Stufen der Manipulation zu sehen. Die Rauchschwaden des brennenden Berlins im Hintergrund sind ebenso nachträglich von Chaldej hineinmontiert, wie andererseits die doppelte Armbanduhr am Handgelenk eines der Soldaten wegretuschiert wurde, weil sie auf die privaten Beutezüge der Rotarmisten in der Stadt deuten ließ.
Es gibt auch eine Version, in der sich die Rote Fahne extrem bauscht, was sehr sichtbar nachträglich hineinretuschiert und dennoch oft gedruckt wurde, und es gibt eine Urversion, mit doppelter Armbanduhr, ohne Rauchschwaden und dunklen Himmel, die ohne die späteren Änderungen weitaus weniger sexy wirkt.
Chaldej war aber zweifellos auch nicht der einzige oder der erste, der Rote Fahnen auf Berliner Gebäuden gehisst oder fotografiert hat. Auf dem Reichstag war bereits zwei Tage zuvor eine Fahne gehisst worden, und später haben mehrere andere russische Fotografen ebenfalls Fahnenfotos vom Reichstag gemacht. Chaldej selbst hat sicherheitshalber mehrere Szenen mit Roten Fahnen, auch auf dem zerschossenen Brandenburger Tor oder dem Flughafen Tempelhof abgelichtet.
Die Ausstellung zeigt sehr schön das Serielle dieses Motivs, was Chaldej aber wohl kaum als Kunstform beabsichtigt hatte, sondern als Ausprobieren der Ikonografie. Immer wieder zitiert er in seinen Kriegsbildern traditionelle Schlachtengemäldetypen. Und die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit - sie war ohne Frage Chaldejs große Zeit. Er produzierte zeithistorische Mythenbilder gleichsam am laufenden Meter:
Ernst Volland: "Potsdamer Konferenz, Nürnberger Prozess, Sie werden alle diese Fotos schon mal gesehen haben. Sie gehören inzwischen dem kollektiven Gedächtnis. Dann gibt es eine Abteilung, das nennen wir 'Nach dem Krieg', Industrialisierung und Alltag, das ist die Zeit in den fünfziger Jahren bis 1989, denn so lange hat er fotografiert. Er hat auch noch Gorbatschow fotografiert, aber davon haben wir keine Bilder."
Die Flugzeugsstaffel über dem Reichstag, der lachende Dichter Dolmatowski mit der Hitlerbüste unter dem Arm. Schulbuchfotografie par excellance, vielseitig verwendbar. Ernst Volland ist Chaldej-Sammler und kann für sich beanspruchen, ihn Anfang der neunziger Jahre wiederentdeckt zu haben, nachdem Chaldej lange in Russland in Vergessenheit geraten war. Chaldejs Art zu fotografieren hatte in der Tat immer etwas Elegisches, sie suchte das Überzeitliche im Augenblick, darin sicherlich inspiriert vom Vorbild Henri Cartier-Bressons.
Chaldej war kein experimenteller Fotograf, der etwa von der modernen Ästhetik eines Sergej Eisenstein oder Alexander Rodschenko gelernt hätte, sondern ein Traditionalist, dem es aber gelungen war, die Idealbilder des Sozialistischen Realismus mit seiner Kamera aus ihrer unnatürlichen Starre zu befreien, ihnen Leben einzuhauchen. Das machte ihn nützlich für die stalinistische Propaganda.
"Er liebte und hasste Stalin - wie alle Russen."
Sagt Ernst Volland heute, aber ganz so einfach ist es vielleicht doch nicht, denn zum einen gab und gibt es sicher Russen, die Stalin mit gutem Grund gar nicht liebten. Zum anderen war Chaldej ja Ukrainer und nicht Russe, und nach Lesart des späten Stalin nicht einmal ein richtiger Ukrainer.
Ernst Volland: "Er war Jude und sein Vater und seine Geschwister waren auch Juden. Weil er Jude war, sind sein Vater und - das war der einzige Grund - umgebracht worden. Und er selbst ist später, 1948, relegiert worden von der TASS, weil er Jude war und nicht weil er ein unprofessioneller Fotograf war, das war nur ein Vorwand."
Seit 1949 sah Chaldej, dessen Vater und Brüder von den Nazis ermordet worden waren, aufgrund seines Judentums jahrelang auch kein Land mehr in der Sowjetunion. Er verlor seinen Job bei der Nachrichtenagentur TASS, fotografierte zeitweise gar nicht mehr und begann dann bei Provinzzeitungen einen Neuanfang, der ihm später, nach Stalins Tod, auch ein Auskommen sicherte.
Gleichwohl ist er den Schatten Stalins Zeit seines Lebens nicht mehr losgeworden. Über diese politische Bilanz seines Lebens schweigt die Ausstellung allerdings weitgehend, was durchaus damit zu tun haben könnte, dass sie heute Abend von politischen Würdenträgern aus Deutschland und Russland eröffnet wurde.
Anna Chaldej: "Er sah eine Gruppe von drei Soldaten beim Reichstagsgebäude stehen. Chaldej hatte die Flagge unter seiner Jacke mitgebracht, aber er brauchte ja Helfer, die sie hissen. Die drei Soldaten waren sehr jung, und denen hat er befohlen, mit ihm zusammen aufs Dach zu klettern. Da oben fanden sie eine Dachlatte, daran haben sie die Fahne befestigt. Kowalew, den einen Soldaten, zwang er, auf die Spitze des Portals zu steigen. Es dauerte eine Zeit, bis er ein gutes Motiv gefunden hatte. Schließlich sollte Kowalew sich mit der Fahne nach vorn beugen, und ein anderer Soldat ihn hinten festhalten, denn dieses Kunststück war ziemlich gefährlich. Kowalew hat sich also heruntergebeugt und die Flagge gehalten, und der andere Soldat hat ihn an den Stiefeln gehalten, und so hat Chaldej dann ein Motiv gefunden. Berlin lag vor ihm, zerstört, davor die Flagge und der Reichstag. Und ich glaube, dass dieses Bild ein ewiges Symbol des Sieges über den Faschismus bleiben wird."
So Anna Chaldej, die Tochter des Meisters. Über den Grad der Manipulation wird bisweilen immer noch trefflich spekuliert. Chaldej selber hat bis zu seinem Tod 1997 behauptet, am Ort gewesen zu sein, und vieles spricht in der Tat dafür. Fest steht allerdings, dass es diese berühmte Szene so nie gegeben hat. In der Ausstellung sind mehrere verschiedene Versionen des Motivs mit verschiedenen Stufen der Manipulation zu sehen. Die Rauchschwaden des brennenden Berlins im Hintergrund sind ebenso nachträglich von Chaldej hineinmontiert, wie andererseits die doppelte Armbanduhr am Handgelenk eines der Soldaten wegretuschiert wurde, weil sie auf die privaten Beutezüge der Rotarmisten in der Stadt deuten ließ.
Es gibt auch eine Version, in der sich die Rote Fahne extrem bauscht, was sehr sichtbar nachträglich hineinretuschiert und dennoch oft gedruckt wurde, und es gibt eine Urversion, mit doppelter Armbanduhr, ohne Rauchschwaden und dunklen Himmel, die ohne die späteren Änderungen weitaus weniger sexy wirkt.
Chaldej war aber zweifellos auch nicht der einzige oder der erste, der Rote Fahnen auf Berliner Gebäuden gehisst oder fotografiert hat. Auf dem Reichstag war bereits zwei Tage zuvor eine Fahne gehisst worden, und später haben mehrere andere russische Fotografen ebenfalls Fahnenfotos vom Reichstag gemacht. Chaldej selbst hat sicherheitshalber mehrere Szenen mit Roten Fahnen, auch auf dem zerschossenen Brandenburger Tor oder dem Flughafen Tempelhof abgelichtet.
Die Ausstellung zeigt sehr schön das Serielle dieses Motivs, was Chaldej aber wohl kaum als Kunstform beabsichtigt hatte, sondern als Ausprobieren der Ikonografie. Immer wieder zitiert er in seinen Kriegsbildern traditionelle Schlachtengemäldetypen. Und die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit - sie war ohne Frage Chaldejs große Zeit. Er produzierte zeithistorische Mythenbilder gleichsam am laufenden Meter:
Ernst Volland: "Potsdamer Konferenz, Nürnberger Prozess, Sie werden alle diese Fotos schon mal gesehen haben. Sie gehören inzwischen dem kollektiven Gedächtnis. Dann gibt es eine Abteilung, das nennen wir 'Nach dem Krieg', Industrialisierung und Alltag, das ist die Zeit in den fünfziger Jahren bis 1989, denn so lange hat er fotografiert. Er hat auch noch Gorbatschow fotografiert, aber davon haben wir keine Bilder."
Die Flugzeugsstaffel über dem Reichstag, der lachende Dichter Dolmatowski mit der Hitlerbüste unter dem Arm. Schulbuchfotografie par excellance, vielseitig verwendbar. Ernst Volland ist Chaldej-Sammler und kann für sich beanspruchen, ihn Anfang der neunziger Jahre wiederentdeckt zu haben, nachdem Chaldej lange in Russland in Vergessenheit geraten war. Chaldejs Art zu fotografieren hatte in der Tat immer etwas Elegisches, sie suchte das Überzeitliche im Augenblick, darin sicherlich inspiriert vom Vorbild Henri Cartier-Bressons.
Chaldej war kein experimenteller Fotograf, der etwa von der modernen Ästhetik eines Sergej Eisenstein oder Alexander Rodschenko gelernt hätte, sondern ein Traditionalist, dem es aber gelungen war, die Idealbilder des Sozialistischen Realismus mit seiner Kamera aus ihrer unnatürlichen Starre zu befreien, ihnen Leben einzuhauchen. Das machte ihn nützlich für die stalinistische Propaganda.
"Er liebte und hasste Stalin - wie alle Russen."
Sagt Ernst Volland heute, aber ganz so einfach ist es vielleicht doch nicht, denn zum einen gab und gibt es sicher Russen, die Stalin mit gutem Grund gar nicht liebten. Zum anderen war Chaldej ja Ukrainer und nicht Russe, und nach Lesart des späten Stalin nicht einmal ein richtiger Ukrainer.
Ernst Volland: "Er war Jude und sein Vater und seine Geschwister waren auch Juden. Weil er Jude war, sind sein Vater und - das war der einzige Grund - umgebracht worden. Und er selbst ist später, 1948, relegiert worden von der TASS, weil er Jude war und nicht weil er ein unprofessioneller Fotograf war, das war nur ein Vorwand."
Seit 1949 sah Chaldej, dessen Vater und Brüder von den Nazis ermordet worden waren, aufgrund seines Judentums jahrelang auch kein Land mehr in der Sowjetunion. Er verlor seinen Job bei der Nachrichtenagentur TASS, fotografierte zeitweise gar nicht mehr und begann dann bei Provinzzeitungen einen Neuanfang, der ihm später, nach Stalins Tod, auch ein Auskommen sicherte.
Gleichwohl ist er den Schatten Stalins Zeit seines Lebens nicht mehr losgeworden. Über diese politische Bilanz seines Lebens schweigt die Ausstellung allerdings weitgehend, was durchaus damit zu tun haben könnte, dass sie heute Abend von politischen Würdenträgern aus Deutschland und Russland eröffnet wurde.