Der Reiz von Fülle und Leere
Die Bühne ist eine Hügellandschaft aus blauen Müllsäcken. Kein Schauspieler ist zu sehen. Ganz leise schleicht sich ein Geräusch ins Ohr, wird langsam lauter. Jetzt kann man es identifizieren, Kinderstimmen rufen, es ist wahrscheinlich ein Spielplatz.
Aber zu sehen sind bloß die Müllsäcke. Ein gespenstischer, beeindruckender Moment, der beste in Martin Kusejs Inszenierung von Georg Büchners "Woyzeck" in München. Die Formulierung ist typisch: Fast immer nennen Kritiker den Regisseur zuerst. Dabei gebührt ein großer Teil des Ruhms dem Bühnenbildner, in diesem Fall Martin Zehetgruber.
Natürlich lassen sich viele Regieteams nicht auseinander dividieren. Im besten Fall wirkt ihre Arbeit wie aus einem Guss. Die Bühnenbildner öffnen und verschließen Räume, schaffen Atmosphäre, helfen den Schauspielern zum Kern eines Stückes vorzudringen. Es fällt auf, dass in vielen wichtigen Produktionen des Gegenwartstheaters die Ausstatter zu radikalen Lösungen tendieren. Manchmal baden sie in der Opulenz wie Bert Neumanns Hyperrealismusexperimente an der Berliner Volksbühne, wenn er ganze Städte ins Theater hinein baut. Häufig entwickeln sie karge, leere Räume, die im Lauf des Abends ihren eigenen Reiz entwickeln.
Wenn man Kathrin Bracks Bühnenbild zu Dimiter Gotscheffs großartiger Inszenierung von Tschechows "Iwanow" anschaut, fragt man sich erst, was sie überhaupt gemacht hat. Die Aufführung spielt im leeren, mackenübersäten Bühnenhaus der Berliner Volksbühne. Nur etwas Nebel füllt den Raum. Doch beim genauen Hinsehen ist eben das der Clou. Der sich mal lichtende, mal verdichtende Nebel ist das Bühnenbild. Er hüllt die Schauspieler ein und entblößt sie, aus fast nicht mehr weiter zu denkender Reduktion entsteht ein spannungsgeladener Theaterraum. Ähnlich Molières "Tartuffe", den Kathrin Brack ebenfalls für Gotscheff ausgestattet hat. Da spucken minutenlang Konfettikanonen bunte Papierstreifen. So wie sie in der Obermaschinerie hängen bleiben, so hängen sie. Das Bühnenbild ist eine Konfettiskulptur mit hohem Zufallsfaktor, die jeden Abend neu entsteht.
Kathrin Bracks Bühnenbilder sind bei aller Reduktion extrem effektvoll. Zurückhaltender gestaltet Johannes Schütz die leeren Räume für die Inszenierungen Jürgen Goschs. Den riesigen Bühnenraum des Düsseldorfer Schauspielhauses hat Schütz für Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" einfach zugebaut, mit einem goldenen Kasten. So verschwindet die Energie der Schauspieler nicht wie sonst oft im Raum, sondern kommt konzentriert in Richtung Publikum. Der Kasten wird gleich zu Beginn vom Darsteller des Herzogs Orsino schwarz angemalt. Kurz darauf, schütten die Schauspieler Wasser aus Eimern auf die Bühne, um einen Schiffbruch darzustellen. Von da an schwimmt alles in einem schwarzen Farbenmatsch, die Schauspieler rutschen oft aus. Das Bühnenbild schafft die Grundlage für das exzessive Spiel, für das Goschs Inszenierungen bekannt sind. Es drängt sich nicht nach vorne, buhlt nicht um Aufmerksamkeit. Aber ohne diese Raumgestaltung von Johannes Schütz würde die Gosch-Ästhetik niemals funktionieren.
Bühnenbildner sind selten Alphatiere. Martin Kukulies, einer der subtilsten Vertreter dieser Zunft, hat beobachtet, dass Ausstatter oft Zweitgeborene sind, Menschen, die gelernt haben, mit älteren Geschwistern klarzukommen und sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Manche verändern sich in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren wie Chamäleons. Johannes Leiacker zum Beispiel hat für die "Tosca" auf der Seebühne in Bregenz ein unglaublich plakatives Bühnenbild mit einem riesigen Auge geschaffen. Für andere Regisseure wie Peter Konwitschny oder Dietrich Hilsdorf schafft er mehrschichtige Räume, die mit multiplen Realitäten arbeiten.
Andere Bühnenbildner sind sofort wieder erkennbar, ihre Räume sind Markenzeichen so wie manche Künstler ihren Kosmos immer neu durchmessen und wieder erfinden. Manchmal wird so etwas zur Masche, vor allem wenn Bühnenbildner viele Nachahmer zu finden. Anna Viebrocks Ausstattungen für Christoph Marthaler waren großartig, inzwischen kann man keine miefigen Holzvertäfelungen mehr sehen. Manche Bühnenbildner probieren sich als Regisseure, und fast immer liefern sie Inszenierungen von großer ästhetischer Konsequenz. Das reicht vom rauschhaften, bewusst überladenenen Assoziationstheater von Christoph Ernst (der als Bühnenbildner für Thirza Bruncken arbeitet) bis zu den reduzierten, kargen, klaren Regiearbeiten von Johannes Schütz.
Mit den jungen Regisseuren unter 40, die an vielen Bühnen schon spielplanprägend arbeiten, kommt auch eine neue Generation von Ausstattern. Ein Beispiel ist Patrick Bannwart, der für David Bösch sehr stimmungsvolle Räume entwickelt, die oft cineastische Qualität haben. Zum Beispiel "Woyzeck" in Essen, der sich von der Münchener Version stark unterscheidet. Schwarze, schäbige Wände begrenzen die Bühne, in der Decke klafft eine kreisrunde Öffnung, Staub liegt auf dem Boden. Darin könnte auch ein apokalyptischer Science-Fiction-Film spielen. Bösch und Bannwart arbeiten eng im Team, der Bühnenbildner ist während der gesamten Probenzeit dabei. Wenn sich heraus stellt, dass die Farbe nicht stimmt, die Werkstätten aber schon ausgelastet sind, streicht Bannwart über Nacht schon mal das Bühnenbild komplett um. Das ist die Leidenschaft, mit der man Außergewöhnliches erreicht. Wie auch das Performanceduo Signa in Köln: Da wurde in eine Halle eine komplette kleine Stadt gebaut, ohne Techniker und Elektriker. Thomas Bo Nilsson hat sie entworfen. Die Schauspieler hämmerten und tapezierten selbst, verlegten auch die Kabel. Sie richteten sich ihr Umfeld ein, bauten die Welt selbst, in der sie in einer bis zu 84 Stunden langen Installation Tag und Nacht spielen. Selten war die Entwicklung des Bühnenbildes so sehr integraler Bestandteil des Probenprozesses. Das Ergebnis ist überwältigend. Wer in die Performance "Die Erscheinungen der Martha Rubin" geht und sich in dieser künstlichen Stadt bewegt, vergisst irgendwann ganz, dass er im Theater ist. Das liegt an der Glaubwürdigkeit der Schauspieler. Aber es ist auch ein Triumph des Bühnenbildes.
Natürlich lassen sich viele Regieteams nicht auseinander dividieren. Im besten Fall wirkt ihre Arbeit wie aus einem Guss. Die Bühnenbildner öffnen und verschließen Räume, schaffen Atmosphäre, helfen den Schauspielern zum Kern eines Stückes vorzudringen. Es fällt auf, dass in vielen wichtigen Produktionen des Gegenwartstheaters die Ausstatter zu radikalen Lösungen tendieren. Manchmal baden sie in der Opulenz wie Bert Neumanns Hyperrealismusexperimente an der Berliner Volksbühne, wenn er ganze Städte ins Theater hinein baut. Häufig entwickeln sie karge, leere Räume, die im Lauf des Abends ihren eigenen Reiz entwickeln.
Wenn man Kathrin Bracks Bühnenbild zu Dimiter Gotscheffs großartiger Inszenierung von Tschechows "Iwanow" anschaut, fragt man sich erst, was sie überhaupt gemacht hat. Die Aufführung spielt im leeren, mackenübersäten Bühnenhaus der Berliner Volksbühne. Nur etwas Nebel füllt den Raum. Doch beim genauen Hinsehen ist eben das der Clou. Der sich mal lichtende, mal verdichtende Nebel ist das Bühnenbild. Er hüllt die Schauspieler ein und entblößt sie, aus fast nicht mehr weiter zu denkender Reduktion entsteht ein spannungsgeladener Theaterraum. Ähnlich Molières "Tartuffe", den Kathrin Brack ebenfalls für Gotscheff ausgestattet hat. Da spucken minutenlang Konfettikanonen bunte Papierstreifen. So wie sie in der Obermaschinerie hängen bleiben, so hängen sie. Das Bühnenbild ist eine Konfettiskulptur mit hohem Zufallsfaktor, die jeden Abend neu entsteht.
Kathrin Bracks Bühnenbilder sind bei aller Reduktion extrem effektvoll. Zurückhaltender gestaltet Johannes Schütz die leeren Räume für die Inszenierungen Jürgen Goschs. Den riesigen Bühnenraum des Düsseldorfer Schauspielhauses hat Schütz für Shakespeares Komödie "Was ihr wollt" einfach zugebaut, mit einem goldenen Kasten. So verschwindet die Energie der Schauspieler nicht wie sonst oft im Raum, sondern kommt konzentriert in Richtung Publikum. Der Kasten wird gleich zu Beginn vom Darsteller des Herzogs Orsino schwarz angemalt. Kurz darauf, schütten die Schauspieler Wasser aus Eimern auf die Bühne, um einen Schiffbruch darzustellen. Von da an schwimmt alles in einem schwarzen Farbenmatsch, die Schauspieler rutschen oft aus. Das Bühnenbild schafft die Grundlage für das exzessive Spiel, für das Goschs Inszenierungen bekannt sind. Es drängt sich nicht nach vorne, buhlt nicht um Aufmerksamkeit. Aber ohne diese Raumgestaltung von Johannes Schütz würde die Gosch-Ästhetik niemals funktionieren.
Bühnenbildner sind selten Alphatiere. Martin Kukulies, einer der subtilsten Vertreter dieser Zunft, hat beobachtet, dass Ausstatter oft Zweitgeborene sind, Menschen, die gelernt haben, mit älteren Geschwistern klarzukommen und sich nicht in den Vordergrund zu spielen. Manche verändern sich in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Regisseuren wie Chamäleons. Johannes Leiacker zum Beispiel hat für die "Tosca" auf der Seebühne in Bregenz ein unglaublich plakatives Bühnenbild mit einem riesigen Auge geschaffen. Für andere Regisseure wie Peter Konwitschny oder Dietrich Hilsdorf schafft er mehrschichtige Räume, die mit multiplen Realitäten arbeiten.
Andere Bühnenbildner sind sofort wieder erkennbar, ihre Räume sind Markenzeichen so wie manche Künstler ihren Kosmos immer neu durchmessen und wieder erfinden. Manchmal wird so etwas zur Masche, vor allem wenn Bühnenbildner viele Nachahmer zu finden. Anna Viebrocks Ausstattungen für Christoph Marthaler waren großartig, inzwischen kann man keine miefigen Holzvertäfelungen mehr sehen. Manche Bühnenbildner probieren sich als Regisseure, und fast immer liefern sie Inszenierungen von großer ästhetischer Konsequenz. Das reicht vom rauschhaften, bewusst überladenenen Assoziationstheater von Christoph Ernst (der als Bühnenbildner für Thirza Bruncken arbeitet) bis zu den reduzierten, kargen, klaren Regiearbeiten von Johannes Schütz.
Mit den jungen Regisseuren unter 40, die an vielen Bühnen schon spielplanprägend arbeiten, kommt auch eine neue Generation von Ausstattern. Ein Beispiel ist Patrick Bannwart, der für David Bösch sehr stimmungsvolle Räume entwickelt, die oft cineastische Qualität haben. Zum Beispiel "Woyzeck" in Essen, der sich von der Münchener Version stark unterscheidet. Schwarze, schäbige Wände begrenzen die Bühne, in der Decke klafft eine kreisrunde Öffnung, Staub liegt auf dem Boden. Darin könnte auch ein apokalyptischer Science-Fiction-Film spielen. Bösch und Bannwart arbeiten eng im Team, der Bühnenbildner ist während der gesamten Probenzeit dabei. Wenn sich heraus stellt, dass die Farbe nicht stimmt, die Werkstätten aber schon ausgelastet sind, streicht Bannwart über Nacht schon mal das Bühnenbild komplett um. Das ist die Leidenschaft, mit der man Außergewöhnliches erreicht. Wie auch das Performanceduo Signa in Köln: Da wurde in eine Halle eine komplette kleine Stadt gebaut, ohne Techniker und Elektriker. Thomas Bo Nilsson hat sie entworfen. Die Schauspieler hämmerten und tapezierten selbst, verlegten auch die Kabel. Sie richteten sich ihr Umfeld ein, bauten die Welt selbst, in der sie in einer bis zu 84 Stunden langen Installation Tag und Nacht spielen. Selten war die Entwicklung des Bühnenbildes so sehr integraler Bestandteil des Probenprozesses. Das Ergebnis ist überwältigend. Wer in die Performance "Die Erscheinungen der Martha Rubin" geht und sich in dieser künstlichen Stadt bewegt, vergisst irgendwann ganz, dass er im Theater ist. Das liegt an der Glaubwürdigkeit der Schauspieler. Aber es ist auch ein Triumph des Bühnenbildes.