Der Regisseur, der stets seine Theaterfamilie mitbringt

Von Bernhard Doppler · 13.05.2010
Zum ersten Mal ist zum Theatertreffen in Berlin ein österreichisches Theater eingeladen, das nicht aus der Hauptstadt Wien kommt. Das Schauspiel der steirischen Landeshauptstadt Graz. Vorgeführt wird ein Theaterstück ohne Worte: Peter Handkes "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten". Angekündigt wird "Eine multimediale Symphonie ohne Worte".
Wortlosigkeit bei der Stückauswahl bietet sich auch deshalb an, weil der Regisseur Viktor Bodó das Ensemble des Grazer Theaters mit Schauspielern seiner eigenen Budapester Theatertruppe mischt und damit sprachliche Verständnisprobleme vorprogrammiert wären.

Wer Viktor Bodó als Regisseur verpflichten will, der muss auch seine Budapester Theaterfamilie mitengagieren. Die Gruppe "Szputnyik Shipping Company" hat er vor zwei Jahren gegründet. Sie spielt nicht nur bei seinen Inszenierungen am Schauspielhaus Graz mit, sondern auch im Schauspielhaus Köln oder in den Theatern in Parma - Italien und Subotica – Serbien.

Das Zuhause von Bodós Theaterfamilie ist jedoch ein kleines Theater im Budapester Stadtteil Buda, das MU Sinhasz - drei, vier Mal im Monat tritt die Truppe auf. Bühne und Zuschauerraum sind nicht getrennt, das Theater nicht viel größer als ein geräumiges Zimmer. Die Spielstätte ein Theaterlabor.

"Ich hab ganz viele Leute eingeladen, zu kommen, um etwas zusammen zu machen. Und dann sind nach einigen Monaten einige geblieben und die sind immer noch da. Einmal sind es genau zehn gewesen. Da habe ich gesagt: Zehn sind genug."

"Der Würfler", ein Kultroman des New Yorker Psychoanalytikers Luke Rinhardt aus den 70er-Jahren, ist zurzeit im MU Sinhasz zu sehen. In zwei Stunden wird viel geboten: Die Szputnyik Shipping Company, erweitert um einige ältere etablierte ungarische Schauspieler, überrascht mit sich immer wieder überstürzenden Einfällen, präzise choreografiert, skurril, manchmal unheimlich, aber oft auch pathetisch und sentimental.

Die Bühnenmusik, von einem kleinen Salonorchester gespielt, lässt sich Viktor Bodó meist vom Münchner Jazzpianisten Klaus von Heydenaber komponieren.

"Einen wundervollen zirzensischen Theaterzauber" nannten Kritiker Bodós Inszenierung von Lewis Carrolls "Alice" für die Salzburger Festspiele. Lieblingsautor von Viktor Bodó scheint jedoch Franz Kafka zu sein. Wiederholt inszenierte er seine Romane. Es ist ein Kafka voller Slapsticks. Und man sollte wissen, dass Kafkas Roman "Der Prozess" im Ungarischen einen anderen Titel trägt: "Gehacktundverschwunden"
"Einerseits mag ich im Theater, das alles anders passiert als in der Wirklichkeit. Anderseits ist mir wichtig, dass wir auch wirklich das Maximum an Möglichkeiten herausholen. Ich kenne zum Beispiel einen Schauspieler, von dem ich weiß, dass er Flöte spielen kann. Das soll irgendwie auch in der Aufführung gezeigt werden. Die Bildung, die Selbstbildung läuft dann quasi parallel. Eine depressive Wirklichkeit wollen wir nicht."

Für absurde Überraschungen ist Viktor Bodó immer gut. Was meint überhaupt der lange Name seiner Truppe "Szputnyik Shipping Company - Modernes Theater- und Verhaltensforschungsinstitut und -labor/Workshop." Ein einprägsames Logo ist es jedenfalls nicht.

"Es soll ein Name sein, den man nicht leicht merken kann. Die Inspiration war Monthy Pythons Flying Circus. Und ein Sputnik ist einfach was Interessantes, das ins All fliegt und man weiß nicht, ob es runter kommt. Was Verrücktes, es hört sich gut an. So retro ein wenig."

Die Bar des MU Sinhasz ist größer und gemütlicher als der Theatersaal im ersten Stock, Bodó wirkt hier nach der Vorstellung wie ein Sporttrainer, der gute Ratschläge verteilt. Er war selber Schauspieler und auch in Filmen erfolgreich. Doch nun will der 32-Jährige nicht mehr selbst auf der Bühne stehen. Gespräche unterbricht der junge Mann öfter, um seine Theater-Familie zu umsorgen.

"Deswegen 'Shipping company', denn was ich mache, ist eine Schifffahrt zu organisieren. Wenn wir ein Projekt machen, fahren wir 30 Tage los, ab und zu mal gibt es einen Stopp, damit wir nicht verrückt werden."

Als Schauspieler wurde Viktor Bodó durch die Rolle des Baal bekannt. Den gab er in der Diplominszenierung von Arpad Schilling. Schilling hat seit Mitte der 90er-Jahre das Regietheater in Ungarn geprägt und seine Baal-Inszenierung mit Viktor Bodó als Schauspieler erlangte in mehreren Gastspielen internationale Aufmerksamkeit. Bodó war damals 20 Jahre alt. Doch auch jetzt kann man sich den inzwischen 32-Jährigen, Dreitagebart, die dichten blonden Haare nach hinten gekämmt, gut in der Rolle des vitalen Anarchisten vorstellen.

Da Theater fast sein ganzes Leben ausmacht, vermischt sich seine Lebensrealität oft auch mit der Theaterrealität. Vielleicht wirken deshalb manche Inszenierungen so surreal, mein Bodó. Häufiger und lieber als ins Theater geht Viktor Bodó ins Kino. Filme von Scorsese, Lynch, Tarantino schätzt er sehr. Ist ihm Theater etwa zu langweilig? Nein – Theater bleibt sein zentrales Forschungsobjekt.

"Um ehrlich zu sein, ich habe selten so eine Aufführung gesehen, wo ich sagen könnte, es war eine Katastrophe. Ich bin ein dankbares Publikum. Wenn ich ins Theater gehe, frage ich immer: Was bringt es mir? Was kann ich selber daraus holen?"

Service:
Drei Aufführungen finden vom 13.5. bis 15.5.2010 im Haus der Berliner Festspiele statt. Nach der letzten Aufführung findet ein Publikumsgespräch statt.