"Der rätselhafteste Mensch des Jahrhunderts"

Die Inkarnation des Bösen erforschen, das wollte Norman Mailer mit seinem Buch "The Castle In The Forest", einer Analyse des jungen Adolf Hitlers. Trotz steifer Dialoge der Protagonisten gelingt es Mailer, den Leser einige Schritte näher an den "rätselhaftesten Menschen des Jahrhunderts" heranzuführen.
Bereits mit seinem ersten Satz greift Norman Mailer zu den literarischen Sternen. "Call me Ishmael", so stellt sich Hermann Melvilles Erzähler in "Moby Dick" vor. Auf dieser Ebene will Mailer mitspielen, wenn sich sein Erzähler in "The Castle In The Forest", seinem jüngsten Buch, mit dem Satz "You may call me D. T.” vorstellt. (Wobei D. T. für Dieter steht, ein SS-Dieter, der in Wahrheit ein ziemlich hohes Tier in der Hölle ist). Die Erwartungen also, die Mailer weckt, können nicht höher sein. Dazu kommt, dass sich Mailer nun, nach Biographien über Marylin Monroe, Lee Harvey Oswald und Jesus von Nazareth die Aufgabe gestellt hat, die Inkarnation des Bösen schlechthin zu erforschen, den jungen Adolf Hitler zu beschreiben, zu analysieren, zu verstehen. Mit literarischen Mitteln.

Das letztere, so die Mehrzahl der amerikanischen Kritiker, ist ihm eindeutig misslungen. Zu Recht weisen sie auf die steifen Dialoge der Protagonisten hin, wenn etwa Mutter Hitler, Vater Hitler und die Kinder sich in einem Englisch unterhalten, das merkwürdig "übersetzt" klingt, als habe Mailer, oder sein teuflischer Erzähler, die Dialoge erst auf Deutsch geschrieben und dann einen Computer beauftragt, alles ins Englische zu übertragen. Die Sexszenen wiederum, die Mailer, wie gehabt, im guten Dutzend anbietet, schwanken zwischen unappetitlich-abstoßenden Beschreibungen möglichst perverser Praktiken auf der einen Seite und augenzwinkernd einladenden Blicken auf das Bett der Familie Hitler andererseits. Und hier gibt es ja so einiges zu berichten, vor allem von den Eltern Klara und Aloys, die eng miteinander verwandt waren, ja eventuell in einer inzestuösen Vater-und-Tochter-Verbindung lebten. Mailer gräbt mit Ausdauer viele unschöne Details aus.

Gegenüber diesen kritischen Einwürfen gilt es jedoch festzuhalten, dass Mailer uns tatsächlich einige Schritte näher an "the most mysterious human being of the century" heranführt. Wobei man die Einflüsterungen verschiedener Teufel auf die Protagonisten durchaus ernst nehmen sollte. "Ich kann seine Psyche verstehen", behauptet der persönliche Teufel Hitlers und lässt uns an seinem Wissen teilhaben.

Von Anfang an, vom Moment der Empfängnis an, der sich als doppelter Tabubruch herausstellt, ist der Teufel an Adolfs Seite. Allerdings – der Mensch, auch der Mensch Adolf Hitler, müsste nicht den vom Teufel gewünschten Weg einschlagen, er besitzt die Freiheit, sich anders zu entscheiden. Wenn er dem "Maestro" seine Seele verschreibt, dann ist das kein Vertrag für die Ewigkeit. Determinismus ist nicht Mailers Sache.

Er nimmt dabei implizit Stellung im heftigen, immer noch andauernden Streit zwischen Befürwortern und Kritikern des berühmten Diktums von Hannah Arendt über die "Banalität des Bösen". Bei dieser untergründigen Auseinandersetzung gelingen Mailer erstaunliche Einsichten in den Charakter des Probanden Hitler, Züge werden herausgearbeitet, die gleichzeitig so kongenial wie furchtbar mit den psychischen Bedürfnissen von Millionen übereinstimmten. Der zügellosen Gewalt und den Erniedrigungen durch den Vater, soll der junge Adolf, so die Mutter, mit "Ehrfurcht" begegnen. "Und wenn", so die Schlussfolgerung Mailers, "ein solch armseliger Kerl nicht Hand an sich legt, nicht im psychischen Abgrund versinkt, gewinnt er die Macht, andere zu demütigen. Und dies ist eine dämonische Macht."

Zu Hause und in der Schule lernt er viel – er verlernt, Lüge und Wahrheit auseinander zu halten, der Realschüler berauscht sich an Worten wie "Optimismus", "Feuer" "Eisen" "Führer", er spürt sogar jetzt schon, dass ein Mord dem Mörder Macht verleiht. Das wichtigste Ziel des Teufels war zum Zeitpunkt als Adolf Hitler die Schule verließ, erreicht – der junge Bursche hatte sein Gewissen erfolgreich ersetzt durch ein Faksimile, das ihm erlaubte, alles Übel, alles Böse das von ihm ausging, vor sich zu rechtfertigen. Nun konnte er seine Laufbahn getrost einschlagen.

Norman Mailer ist so klug, sich ironisch von der Allwissenheit des Erzählers und des Autors zu verabschieden. "The Castle InThe Forest" ist, trotz des Auftretens von Gesandten des Himmels und der Hölle, auch eine Relativierung der früher als allmächtig angesehenen Kräfte. "Was uns Teufeln das Überleben sichert, ist, wir sind weise genug um zu verstehen, dass es keine Antworten, nur Fragen gibt."

Ahab geht mit seinem Schiff am Ende von "Moby Dick" unter, Melville vergleicht ihn hierbei mit Satan. Die Wucht des Untergangs, vor allem die sprachliche Wucht Melvilles, kann Mailer aber in seinem langen biographischen Hitler-Roman nicht erreichen. Doch Halt! Der Verlag kündigt zwei weitere Bände an. Mailer wird der Schwefelspur weiter folgen.

Rezensiert von Maximilian Preisler

Norman Mailer: "The Castle In The Forest"
Verlag: Random House, 2007
477 Seiten, 22, 95 Dollar