Der Radio-Revoluzzer

Von Hartmut Goege · 03.05.2013
Ursprünglich hatte der Beruf des Rundfunksprechers für Alfred Braun etwas vom Zeitungsausrufer. Nachdem er in den 20er-Jahren aber selbst im Berliner Voxhaus begann, revolutionierte Braun den Hörfunk. Am Anfang stand ein Fußballspiel.
"Wo man geht, wo man sitzt und steht, ist vom Radio heut nur die Red´ ..."

Es war der Schlager des Jahres 1924. Rundfunk war zwar in aller Munde, doch kaum einer besaß einen Apparat. Gerade mal ein Jahr war es her, dass die Funkstunde Berlin AG ihr Programm gestartet hatte. Noch fehlte es dem jungen Medium an einer eigenen Form. Vor allem Musik und willkürlich eingestreute Rezitationen machten das Programm aus. Da betrat ein junger Mann das Voxhaus, der sich bisher schon an Berliner Bühnen einen Namen gemacht hatte: Alfred Braun. Der 35-Jährige war seit Monaten von der Funkstunde AG als Sprecher umworben worden. Braun hatte bisher stets abgelehnt, Rundfunksprecher hatte für ihn etwas vom Zeitungsausrufer.

"Achtung, Achtung, hier ist die Sendestelle Berlin Voxhaus, auf Welle 400."

Doch im Laufe des Jahres 1924 packte Braun das Rundfunkfieber. Im November unterschrieb er einen Vertrag als täglicher Programmsprecher und als Leiter der Sendebühne, einem Programmplatz, der klassisches Theater für das Radio adaptierte. Er wurde Plauderer, Rezitator, Dramaturg, Regisseur, Schauspieler und technischer Direktor in einer Person. Erinnerungen von Alfred Braun:

"Interessant war, als Leiter des Hörspiels nun die Literatur darauf zu sichten, was eignet sich zur Umsetzung, zur Übersetzung vom Visuellen ins Akustische."

Als die Technik weniger schwerfällig und beweglicher wurde, die Mikrofone nicht mehr fest im Studio installiert sein mussten, erfand Braun schon bald eine neue Position, die des Chefreporters:

"Ich ging also zu meiner Direktion und sagte, ich möchte mal rausgehen mit dem Mikrofon. ‚Um Gottes Willen, wo wollen Sie denn hin?‘, haben die ganz entsetzt gefragt. Ich sage ‚raus ins volle Menschenleben‘. – ‚Und was wollen Sie da machen um alles in der Welt?‘ Na ja, dann habe ich ihnen erklärt, dass ich mir ein Ereignis suchen will, das in sich selber Dynamik und Spannung und Dramatik hat. Mit anderen Worten, ich würde mich an den Rand eines Fußballfeldes setzen."

So wurde die Sportreportage geboren. Und Alfred Braun, der sein Publikum vor den Lautsprechern mitriss, wie bei seinem Livebericht 1930 vom Spiel Deutschland gegen England, wurde zur lebenden Legende:

"Der Meraner tankt auf das Tor los. … Bergmeier läuft Flanke, flankt exakt auf den Elfmeterpunkt, Volley-Schuss ... Tor!"

Sein Erfolg beruhte auf seiner Experimentierfreude und darauf, dass er mit Geräuschen akustische Kulissen für Stimmungen nutzte. Und er war ein Meister der Improvisation. Als das Stockholmer Nobelpreiskomitee 1929 während der Feierlichkeiten für Thomas Mann keine Mikrofone zulassen wollte, versteckte sich Braun kurz entschlossen hinter einem Vorhang:

"Thomas Mann hat sich erhoben … er steigt die Stufen nieder ins Parkett, Thomas Mann steht vor dem schwedischen König, Händeschütteln. Thomas Mann verbeugt sich tief. Beifallssturm für Thomas Mann."

Wie kein anderer zu jener Zeit brachte er die Ereignisse dichter an die Hörer heran, so in seiner eindrucksvollen Reportage über die Beisetzung Gustav Stresemanns, an der Hunderttausende teilnahmen:

"Aus den umflorten gläsernen Hauben der Laternen, die auf schweren Steinsockeln ruhen, strahlt das elektrische Licht kraftlos, tot ins Tageshelle."

Innerhalb kurzer Zeit wurde Braun zur bekanntesten Stimme Berlins und so beliebt, dass er sogar in Liedern verewigt wurde:

"Alfred, der Braune, der macht mir stets Laune. Und was die Milch kost, da weiß man gleich Bescheid."

"Alfred der Braune" war nicht etwa als politische Anspielung gemeint. Im Gegenteil, der am 3. Mai 1888 in Berlin geborene Sohn eines Stellmachers war tief im christlich-protestantischen Glauben verwurzelt und sympathisierte mit den Sozialdemokraten. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde Braun wie zahlreiche andere entlassen und verhaftet. 1934 emigrierte er in die Schweiz und von dort in die Türkei. Hier beginnt eine Wende in Brauns Vita, die schwer nachzuvollziehen ist. 1939 kehrte Braun nach Berlin zurück, wurde Regieassistent ausgerechnet bei Veit Harlans antisemitischem Hetzfilm "Jud Süß" und später noch Drehbuch-Mitarbeiter an "Kolberg", dem aufwendigsten Propagandafilm der Nazis. Dies wurde nach dem Krieg in der Öffentlichkeit nicht weiter thematisiert, wohl weil er kein NSDAP-Mitglied war. Nach einigen Heimatfilm-Produktionen kehrte er zum Radio zurück und wurde 1953 der erste Intendant des neu gegründeten Berliner Senders SFB. 90-jährig starb Alfred Braun 1978 in Berlin.