Der Quälgeist und der Zauberer
Henning Mankell - dieser Name ruft bei den meisten Menschen gleich einen weiteren hervor: Kommissar Kurt Wallander, die Hauptfigur der Kriminalromane Mankells. Dabei hat der schwedische Autor seinen Kurt Wallander schon länger in den Ruhestand geschickt. Stattdessen schreibt er lieber Bücher über Afrika, so wie sein neuestes: "Die flüsternden Seelen". 25 Jahre hat Mankell an dieser Erzählung gearbeitet und sie 1998 auf Schwedisch veröffentlicht. Nun erscheint sie auf Deutsch.
Henning Mankell ist erschöpft. Gerade hat er rund 300 seiner Bücher signiert, davor eine Rede gehalten. Und auf den Beinen ist er schon seit drei Uhr nachts. Schließlich musste er ja noch von Schweden nach Deutschland fliegen. Jetzt sitzt der Kriminalautor in einer Berliner Hotelsuite, tief versunken in einen mächtigen violetten Sessel. Die Turnschuhe, die so gar nicht zu seinem Gemütszustand und zu seinem schwarzen Sakko passen wollen, streckt er weit von sich. Auf einem Tisch vor ihm liegt sein neues Buch "Die flüsternden Seelen". Auf die Frage nach seiner ersten Begegnung mit Afrika kramt er aus seiner Erinnerung jene ferne Zeit hervor, als er ein siebenjähriger Junge war:
"Ich bin im Norden Schwedens aufgewachsen, in der unmittelbaren Nähe zu einem Fluss. Ich erinnere mich daran, wie ich Krokodile in diesem Fluss gesehen habe. Natürlich habe ich niemandem davon erzählt. Viele Leute hätten doch gesagt: 'In schwedischen Flüssen gibt es keine Krokodile. Was du siehst, sind Baumstämme, die zum Meer schwimmen'. Aber in meiner Träumerei, in meiner Phantasie war dies der Kongofluss. Das war mein erster Schritt in Richtung Afrika, dass ich mir vorstellte, dass dieser nordische Fluss ein afrikanischer Fluss mit Krokodilen war."
Mit dieser Kindheitsgeschichte lässt der Bestsellerautor sein neues Buch über Afrika beginnen. Schnell wird klar: "Die flüsternden Seelen" sind stark autobiographisch. "Alle Menschen sind verwandt. Wir gehören zur selben Familie", heißt es auf der ersten Seite:
"Als ich vor vielen Jahren das erste Mal nach Afrika kam, achtete ich auf Unterschiede. Oberflächlich betrachtet, war nämlich in Afrika alles anders. Die Hautfarbe der Menschen, der Geruch in der Luft, das Essen - alles war anders. Als ich aber schon einige Jahre in Afrika war, fiel mir auf, dass meine Suche nach Unterschieden nur noch Ähnlichkeiten ergab. Da wurde mir die schlichte Wahrheit klar, dass wir Menschen, abgesehen von oberflächlichen Unterschieden, alle Teil einer großen Familie sind. Zumal, wenn wir glauben, dass die Wiege der Menschheit in Ostafrika liegt. Wir können gerne bis zu Adam und Eva zurückgehen. Aber dann müssen wir uns Adam und Eva auch schwarz vorstellen. Unsere Großmutter von einst war eine Schwarze. Und diese Tatsache macht uns, in einem tiefen Sinn, zu einer Familie."
Dem Bild der großen Menschheitsfamilie entspricht im Buch die weit verzweigte Familie von Felisberto, eines alten, schwarzen Mannes. Er erzählt am Feuer die Geschichte seiner Verwandtschaft. Unzählige Figuren werden porträtiert. Einige von ihnen reichen hunderte Jahre in die Vergangenheit. Aber letztlich führen sie wieder zum alten Felisberto zurück: die Schicksale der Afrikaner ebenso wie die der Weißen.
"Man könnte sagen, dass Europa und Afrika am Anfang ihrer gemeinsamen Geschichte eine gute Beziehung hatten. Aber dann kam das düstere Zeitalter, die 400 Jahre der Kolonialisierung. Der weiße Mann unterdrückte den schwarzen. Die Afrikaner betrachten deshalb seither die Weißen als seltsame Wesen. Im Buch 'Die flüsternden Seelen' taucht ein Mann auf, der die Schwarzen übel behandelt, aber zugleich wundervoll Klavier spielt. Viele Afrikaner verstehen nicht, wie jemand einerseits so brutal sein kann und anderseits gar nicht brutal, sondern sentimental und ein Klavierspieler."
"Quälgeist und Zauberer" hat Henning Mankell den Prolog seiner Erzählung genannt. Der weiße Mann sei in Afrika lange beides zugleich gewesen. Auch Henning Mankell hat zwei Seiten, allerdings zwei freundliche: Er lebt abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er ein Theater leitet. Und er ist teils Kriminalautor, teils Schriftsteller, der über Afrika schreibt und für Afrika wirbt. 1999, ein Jahr nachdem "Die flüsternden Seelen" auf Schwedisch erschienen waren, veröffentlichte Mankell Kurt Wallanders vorerst letzten Fall und ließ danach Wallanders Tochter Linda ermitteln. Also Abschied für immer von Kurt Wallander? Oder kommt der Kommissar mit der Vorliebe für die italienische Oper vielleicht doch noch zurück?
"Ich kann da nichts versprechen. Ein Teil von Kurt Wallander, nämlich seine Tochter, ist ja aktiv. Außerdem taucht er noch in ihrem Umfeld auf. Vielleicht kommen ja beide zurück. Na gut, ich mache ein halbes Versprechen: Kurt Wallander wird zurückkommen. Aber wann genau, kann ich nicht sagen."
Henning Mankells zebragestreiftes Hemd ist so weit geöffnet, dass sein graues Brusthaar zu sehen ist. Wenn das Sakko nicht wäre, könnte man ihn sich so gut in Mosambik vorstellen. Ermattet von der Hitze eines Kontinents, von dem er schon als schwedischer Junge träumte. Jetzt ist Henning Mankell so müde, dass er einzuschlafen droht. In den "Flüsternden Seelen" nutzt eine Frau einen ganz besonderen Wecker: Jeden Abend lässt sie Brotkrumen auf eine Trommel vor dem Haus streuen. Am nächsten Morgen picken die Vögel nach den Krümeln auf dem Trommelfell und wecken so die Frau. Doch hier, im Berliner Nobelhotel, ist keine Trommel in Sicht:
"Ich erinnere mich nicht mehr daran. Ich weiß nicht, ob diese Szene auf meiner Erfahrung oder meiner Phantasie beruht. Aber ich finde dieses Bild der Tommel sehr schön. Ich erinnere mich einfach nur nicht, ob ich es erlebt oder geträumt habe. Aber, was soll's?!"
Service:
Henning Mankell: Die flüsternden Seelen. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Das Buch erscheint am 3.2. im Zsolnay Verlag. Es hat 253 Seiten und kostet 21,50 Euro. Am 11.3. liest Mankell aus seinem neuen Buch auf der LitCologne.
"Ich bin im Norden Schwedens aufgewachsen, in der unmittelbaren Nähe zu einem Fluss. Ich erinnere mich daran, wie ich Krokodile in diesem Fluss gesehen habe. Natürlich habe ich niemandem davon erzählt. Viele Leute hätten doch gesagt: 'In schwedischen Flüssen gibt es keine Krokodile. Was du siehst, sind Baumstämme, die zum Meer schwimmen'. Aber in meiner Träumerei, in meiner Phantasie war dies der Kongofluss. Das war mein erster Schritt in Richtung Afrika, dass ich mir vorstellte, dass dieser nordische Fluss ein afrikanischer Fluss mit Krokodilen war."
Mit dieser Kindheitsgeschichte lässt der Bestsellerautor sein neues Buch über Afrika beginnen. Schnell wird klar: "Die flüsternden Seelen" sind stark autobiographisch. "Alle Menschen sind verwandt. Wir gehören zur selben Familie", heißt es auf der ersten Seite:
"Als ich vor vielen Jahren das erste Mal nach Afrika kam, achtete ich auf Unterschiede. Oberflächlich betrachtet, war nämlich in Afrika alles anders. Die Hautfarbe der Menschen, der Geruch in der Luft, das Essen - alles war anders. Als ich aber schon einige Jahre in Afrika war, fiel mir auf, dass meine Suche nach Unterschieden nur noch Ähnlichkeiten ergab. Da wurde mir die schlichte Wahrheit klar, dass wir Menschen, abgesehen von oberflächlichen Unterschieden, alle Teil einer großen Familie sind. Zumal, wenn wir glauben, dass die Wiege der Menschheit in Ostafrika liegt. Wir können gerne bis zu Adam und Eva zurückgehen. Aber dann müssen wir uns Adam und Eva auch schwarz vorstellen. Unsere Großmutter von einst war eine Schwarze. Und diese Tatsache macht uns, in einem tiefen Sinn, zu einer Familie."
Dem Bild der großen Menschheitsfamilie entspricht im Buch die weit verzweigte Familie von Felisberto, eines alten, schwarzen Mannes. Er erzählt am Feuer die Geschichte seiner Verwandtschaft. Unzählige Figuren werden porträtiert. Einige von ihnen reichen hunderte Jahre in die Vergangenheit. Aber letztlich führen sie wieder zum alten Felisberto zurück: die Schicksale der Afrikaner ebenso wie die der Weißen.
"Man könnte sagen, dass Europa und Afrika am Anfang ihrer gemeinsamen Geschichte eine gute Beziehung hatten. Aber dann kam das düstere Zeitalter, die 400 Jahre der Kolonialisierung. Der weiße Mann unterdrückte den schwarzen. Die Afrikaner betrachten deshalb seither die Weißen als seltsame Wesen. Im Buch 'Die flüsternden Seelen' taucht ein Mann auf, der die Schwarzen übel behandelt, aber zugleich wundervoll Klavier spielt. Viele Afrikaner verstehen nicht, wie jemand einerseits so brutal sein kann und anderseits gar nicht brutal, sondern sentimental und ein Klavierspieler."
"Quälgeist und Zauberer" hat Henning Mankell den Prolog seiner Erzählung genannt. Der weiße Mann sei in Afrika lange beides zugleich gewesen. Auch Henning Mankell hat zwei Seiten, allerdings zwei freundliche: Er lebt abwechselnd in Schweden und Mosambik, wo er ein Theater leitet. Und er ist teils Kriminalautor, teils Schriftsteller, der über Afrika schreibt und für Afrika wirbt. 1999, ein Jahr nachdem "Die flüsternden Seelen" auf Schwedisch erschienen waren, veröffentlichte Mankell Kurt Wallanders vorerst letzten Fall und ließ danach Wallanders Tochter Linda ermitteln. Also Abschied für immer von Kurt Wallander? Oder kommt der Kommissar mit der Vorliebe für die italienische Oper vielleicht doch noch zurück?
"Ich kann da nichts versprechen. Ein Teil von Kurt Wallander, nämlich seine Tochter, ist ja aktiv. Außerdem taucht er noch in ihrem Umfeld auf. Vielleicht kommen ja beide zurück. Na gut, ich mache ein halbes Versprechen: Kurt Wallander wird zurückkommen. Aber wann genau, kann ich nicht sagen."
Henning Mankells zebragestreiftes Hemd ist so weit geöffnet, dass sein graues Brusthaar zu sehen ist. Wenn das Sakko nicht wäre, könnte man ihn sich so gut in Mosambik vorstellen. Ermattet von der Hitze eines Kontinents, von dem er schon als schwedischer Junge träumte. Jetzt ist Henning Mankell so müde, dass er einzuschlafen droht. In den "Flüsternden Seelen" nutzt eine Frau einen ganz besonderen Wecker: Jeden Abend lässt sie Brotkrumen auf eine Trommel vor dem Haus streuen. Am nächsten Morgen picken die Vögel nach den Krümeln auf dem Trommelfell und wecken so die Frau. Doch hier, im Berliner Nobelhotel, ist keine Trommel in Sicht:
"Ich erinnere mich nicht mehr daran. Ich weiß nicht, ob diese Szene auf meiner Erfahrung oder meiner Phantasie beruht. Aber ich finde dieses Bild der Tommel sehr schön. Ich erinnere mich einfach nur nicht, ob ich es erlebt oder geträumt habe. Aber, was soll's?!"
Service:
Henning Mankell: Die flüsternden Seelen. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel.
Das Buch erscheint am 3.2. im Zsolnay Verlag. Es hat 253 Seiten und kostet 21,50 Euro. Am 11.3. liest Mankell aus seinem neuen Buch auf der LitCologne.