Der Preis ist heiß

Von Udo Pollmer · 05.06.2011
Die Rohstoffpreise steigen: Weizen, Reis oder Soja werden immer teurer und für die Armen dieser Welt unerschwinglich. Andererseits geht etwa ein Drittel aller Lebensmittel durch Verderb verloren - oder sie werden achtlos weggeworfen.
Würde man die verfügbare Nahrung gleichmäßig verteilen, dann hätten alle genug zu essen. Aber wenn natürlich ein Viertel der produzierten Nahrung gar nicht bis in die Mägen sondern in die Mülltonnen gelangt, dann reicht es naturgemäß nicht mehr für alle. Unsere Wegwerfmentalität passt nicht in eine gerechtere Welt. Wenn man dann noch bedenkt, dass in der Vergangenheit viele Überschüsse eigens vernichtet wurden, wirkt das ganze wie ein Stück aus dem Tollhaus.

Es ist aber alles noch doller – denn die Mechanismen des Marktes widerstreben der Milch der frommen Denkungsart. Ob die Menschen satt werden oder nicht, hängt ja nicht nur davon ab, wie viel Nahrung produziert wird. Ebenso wichtig ist das Geld, um diese Nahrungsmittel auch bezahlen zu können. Nahrung wird nicht verteilt, sondern verkauft. Und da passiert Folgendes: Je größer die Überschüsse auf dem Weltmarkt, desto billiger werden Weizen, Reis oder Butter. Je geringer der Wert der Nahrung, je achtloser mit ihr umgegangen wird, weil sie billig ist, desto mehr Menschen, die in Armut leben, werden satt, weil sie sich Nahrung leisten können.

Den Schlüssel zum Verständnis liefern die Spekulanten: Sobald sich Produktion und Nachfrage ausgleichen, weckt das ihre Neugier. Sie kaufen Weizen oder Zucker oder Öl auf und verknappen es künstlich, ja lassen es manchmal sogar verrotten. Dann explodieren die Preise. Das Überleben der Menschen in armen Ländern hängt nicht so sehr davon ab, ob wir unsere Tellerchen leeressen, sondern dass wir Überschüsse produzieren, ja dass etwas Nahrung sogar weggeworfen wird. Das ist zwar zutiefst unmoralisch, hilft aber dafür Millionen Menschen zu überleben – weil die Spekulanten die Lust verlieren.

In den Industrieländern bekommen die Bürger vom Preisanstieg nur wenig mit, denn wir kaufen keinen Sack Weizen und stellen daraus im Haushalt Baguette her. Eine Verdoppelung der Weltmarktpreise bedeuten für uns nur ein paar Cent Aufschlag. Aber in Ländern, in denen die Hälfte des Einkommens fürs Essen ausgegeben werden musste, bedeutet das Hunger.

Nun unterliegen die Ernten naturgemäß Schwankungen, bei geringen Lagerbeständen rufen bereits kleinere Ernteausfälle die Spekulanten auf den Plan. Wenn dann noch ein Teil der Ernte zu Energie verarbeitet wird, wird die Lage noch kritischer: Denn die Subventionen zur Energiewende werden dazu verwendet, um auf dem Weltmarkt Speiseöl einzukaufen – für Biodiesel. Millionen von Tonnen Weizen werden in der EU zu Bioethanol verarbeitet. Dafür kriegen wir dann an der Zapfsäule billigeres E10.

Die Behauptung, die steigenden Lebensmittelpreise kämen vom Klimawandel, stellt die Realität vollends auf den Kopf: In warmen Klimaten sind pro Jahr bis zu drei Ernten möglich – bei uns ist es meistenteils nur eine. Etwa ein Drittel der Ertragssteigerungen der letzten 50 Jahre wird auf die höheren Temperaturen zurückgeführt. Steigt die Temperatur, nimmt die Verdunstung über den Meeren zu und es regnet mehr. Auch das kommt dem Ertrag zugute. Davon lebt heute etwa eine Milliarde Menschen.

Um den Bedarf an Rohstoffen zu decken – egal ob für Nahrung oder Energie, - werden Anbauflächen in anderen Ländern genutzt. Die Menge an Öl und Ölsaaten, die die EU netto importiert, entspricht etwa 20 Millionen Hektar Ackerland. Andere Regierungen gehen aufgrund der absehbaren Entwicklung direkter vor. Länder wie Japan, China oder Saudi-Arabien pachten oder kaufen auf anderen Kontinenten riesige Ländereien. Land-Grabbing nennt man das.

Die Landwirte freuen sich verständlicherweise über steigende Preise – nicht zuletzt hat die Öffentlichkeit ja oft genug die Forderung nach einem "gerechten Preis" für Milch, Weizen oder Zuckerrüben vernommen. Jetzt ist es endlich soweit – doch um welchen Preis? Mahlzeit!

Literatur
FAO: FAO Food Price Index. Mai 2011
Bickert C: So viel Fläche importieren wir. DLG-Mitteilungen 2011; H.5: S.80-83
Stein M: Landwirtschaft: unter die Heuschrecken gefallen. EU.L.E.N-Spiegel 2010; H.3/4: 1-2
Wiliams N: Alarm bells over Afric land deals. Current Biology 2009; 19: R1054-1055
Mol APJ: China’s ascent and Africa’s environment. Global Environmental Change 2011; epub ahead of print
TAZ: Hungerrevolte in Nordafrika: mehrere Tote bei Protesten. Die Tageszeitung vom 9. Januar 2011