Der Präsident und sein Thema

Von Friedrich Thelen |
So viel Glück hat ein Politiker selten. Und Bundespräsident Horst Köhler ist ein Politiker - auch wenn er seine Karriere als Beamter begonnen hat und als internationaler Politiker und Wirtschaftsdiplomat in der osteuropäischen Entwicklungsbank und als Leiter des Internationalen Währungsfonds in Washington fortgesetzt hat, bevor er im Jahre 2004 Bundespräsident wurde. Jetzt, da er wieder gewählt werden will, kann er mit einem, seinem Thema Finanzpolitik punkten.
Er hat das Finanzdesaster kommen sehen und immer wieder vor einer möglichen Katastrophe gewarnt. Schon als er von fünfzehn Jahren als Staatssekretär aus dem Finanzministerium ausschied, um Präsident des Deutschen Sparkassenverbandes zu werden, hat er der deutschen Finanzwelt vorgehalten, dass die Globalisierung dringend ein Gegengewicht brauche.

Mit leichter Ironie erinnert Köhler daran, dass die Sparkassen vom damaligen EU-Kommissar Karel van Miert gescholten wurden, weil sie pro anno keine 15 Prozent Rendite erwirtschafteten. Den Vergleich zu dem im Bankensektor geforderten permanenten Jahresgewinn von 20 Prozent, der bekanntlich eine Ursache der derzeitigen Krise ist, braucht man gar nicht mehr herzustellen.

Und selbst Gesellschafts- und Kapitalismuskritisches hat der damalige Sparkassenchef im Jahre 1997 von sich gegeben. Die extremen Einkommensungleichgewichte in den USA, mit Millionen von working poor erhöhten nicht nur die Produktionskosten und würden, so Köhler, die Produktivität zerstören und dazu, ganz ökonomisch argumentiert, die Wettbewerbsfähigkeit erschweren. Deshalb sollte gerade im Zeitalter der Globalisierung nach Lösungen gemäß dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft gesucht werden.

Schon 2005, als noch niemand an eine Finanzmarktkrise dachte, hat Köhler in einem SPIEGEL-Interview erklärt, dass die Globalisierung zwar eine Realität sei, aber zu einem Monster werden könne, wenn man sie nicht eingrenze. Wobei Köhler ehrlich genug ist zuzugeben, dass er nicht der Erfinder des "Monsterbegriffs" ist. Der stammt vielmehr vom ehemaligen US-Finanzminister Nicholas F. Brady aus den 80-er Jahren. Allerdings muss sich Köhler fragen lassen, was er denn selbst, vor allem in seinen Jahren als Direktor des Internationalen Währungsfonds, getan hat, um seine Befürchtungen in der Politik umzusetzen. Und darauf gibt es eine überzeugende, aber auch erschreckende Antwort:

Als Köhler im Jahre 2001 eine unabhängige Kapitalmarktanalyse des Internationalen Währungsfonds IWF angefordert hat, passte dies den wesentlichen Akteuren an der Wall Street und in der Londoner City überhaupt nicht. Und konsequent suchten die Amerikaner, die ja im IWF großes Gewicht hatten, eine derartige Reform zu verhindern. Was man dabei einfach nicht übersehen darf, ist die Tatsache, dass zum Beispiel Großbritannien nach den radikalen Thatcher-Reformen einen großen Teil seiner industriellen Kapazitäten verloren hatte und 35 Prozent seiner Wirtschaftsleistung im Finanzdienstleistungsgewerbe generierte. Demzufolge hielten englische Premierminister von John Major über Tony Blair bis hin zu Gordon Brown alles, was Finanzinnovation hieß, erst einmal für gut, denn es stand für mehr Arbeitsplätze. Von staatlicher Kontrolle war dann keine Rede mehr. Das Roulette sollte einfach weiterrollen.

Nun muss die Ordnungsfunktion der Staaten auf den Finanzmärkten neu und vor allem grenzüberschreitend durchgesetzt werden. Denn die Politik ist national, und das Kapital global.

Gleichzeitig warnt Köhler die Deutschen vor moralischer Hybris. Denn nicht nur haben deutschen Banken bei dem Renditen-rat-race fröhlich mitgemacht - sondern auch die deutsche Politik hat offen die Tatsache begrüßt, dass der Präsident der US- Bundesbank Allan Greenspan sowohl die IT-Krise wie auch den Finanzschock nach dem 11. September 2001 mit immer neuen, frisch gedruckten Dollars abgefedert hat. Diese Geld-Ozeane mit tausenden von Milliarden Dollars müssen sozusagen trockengelegt und die Mittel dem Markt entzogen werden. Sonst haben wir in zehn Jahren eine noch größere Finanzmarktkrise als heute.

Und das alles analysiert und erklärt ein Bundespräsident, der laut Verfassung über der Politik und auch über diesen Themen schweben sollte. Indes, in diesen turbulenten Zeiten ist ein Bundespräsident, der nicht erst heute verkündet, dass der Markt Moral braucht, höchst zeitgemäß. Er hat jedenfalls zum Zeitpunkt seiner Wiederwahl-Kandidatur sein Thema gefunden und das Thema ihn. Das sieht wohl auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung so. Da braucht er sich - ganz abgesehen vom hessischen Wahlergebnis am 18. Januar 2009 - auch nicht mehr die allergrößten Sorgen um seine Bestätigung im Amt zu machen. Das hat übrigens auch der SPD-Fraktionschef Peter Struck schon vor Monaten so eingeschätzt, konnte sich aber mit dieser Überzeugung bei seinen Parteifreunden nicht durchsetzen.

Dr. Friedrich Thelen: Jahrgang 1941, studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Philosophie. Er ist jetzt als Publizist tätig und war bis vor kurzem Büroleiter Berlin der "Wirtschaftswoche". Er hat langjährige berufliche Erfahrungen im angelsächsischen Raum.