Der philosophische Wetterbericht (2)

Warum man bei Hitze nicht denken kann – oder muss

Eine Frau sonnt sich in einem Liegestuhl am Springbrunnen des Museum Kunstpalast in Düsseldorf
Beine hoch statt Kopfarbeit? © picture alliance / dpa / Martin Gerten
Von David Lauer · 09.08.2015
Warum man in der Hitze nicht gern nachdenkt, hat auch immer wieder die Philosophen beschäftigt. Einer entlarvte sich durch seine Schlussfolgerung als Verteidiger des Kolonialismus, und beim anderen muss man sich fragen, ob er nicht lieber Balou der Bär gewesen wäre.
Ah – die höllische und zugleich himmlische Hitze eines Sommertags unter der Sonne des Südens. Wenn das Flimmern der warmen Luft und das Zirpen der Zikaden den matt dahingestreckten Körper wohlig umhüllen wie ein Kissen aus sanft glimmender Glut. Tage, die man friedlich verdämmern will, träge wie eine Eidechse auf ihrem heißen Stein. Bitte jetzt keine Anstrengung. Philosophieren? Undenkbar.
Weder mit dem Wälzen schwerer Steine noch schwerer Gedanken will man sich an heißen Tagen belasten: eine leicht nachvollziehbare Erfahrung und im Grunde banal, für die Philosophen aber dennoch Ausgangspunkt weitreichender Theorien, wenn auch solche unrühmlicher Art.
1748, in seinem berühmten Werk "Vom Geist der Gesetze", behauptet der große Aufklärer Montesquieu – darin Aristoteles folgend –, dass ein direkter Zusammenhang bestehe zwischen der Art des Klimas und den körperlichen und geistigen Kräften der Menschen, die darin leben. Den Völkern, die beständig von warmer Luft umgeben seien, erschlaffe durch die Hitze das Gewebe, was zu Zaghaftigkeit, Trägheit und Unselbständigkeit führe. Daher seien sie zur vernünftigen Selbstgesetzgebung nicht in der Lage und blieben immer auf die erzieherische Hilfe solcher Nationen angewiesen, deren Sittlichkeit und Verstand nicht durch permanente Wärme in Mitleidenschaft gezogen wird.
Ein Leben auf Müßiggang ausgerichtet
So verwandelt sich unsere harmlose Ausgangserfahrung bei Montesquieu unter der Hand in eine Apologie des Kolonialismus. Doch ist sie ironischerweise auch noch in einer zweiten Gestalt in die Philosophie eingegangen. Jean-Jacques Rousseau und, von ihm inspiriert, Immanuel Kant beschäftigt weniger, dass man in der ständigen Wärme der heißen Klimazonen nicht denken könne, sondern vielmehr, dass man es nicht müsse.
Für Kant ist allein der Schmerz der "Stachel aller menschlichen Tätigkeit". Den "Südsee-Insulanern", denen die reifen Kokosnüsse ohne eigene Anstrengung gleichsam in die weit geöffneten Arme fallen, gehe es einfach zu gut, als dass sie sich zu denkerischen Höchstleistungen aufraffen müssten. Sie könnten es sich leisten, ihr Leben auf "Müßiggang, Ergötzlichkeit, Fortpflanzung, mit einem Wort, auf Genuß zu verwenden", wie es leicht verkniffen in der "Kritik der praktischen Vernunft" heißt.
Sich vom Denkenmüssen befreien
Nun ist dieses Bild vom Leben der Menschen in den tropischen Zonen natürlich nicht weniger phantasmatisch – und nicht weniger rassistisch – als dasjenige Montesquieus. Aber immerhin lässt es erkennen, welche verborgene Sehnsucht in ihm schlummert: die Sehnsucht der Philosophen, vom Denkenmüssen befreit zu werden. Sicher, wenn man den Schmerz von zig durchbibberten Königsberger Wintern auf sich nimmt, dann ist als Belohnung auch mal eine "Kritik der reinen Vernunft" drin.
Aber was ist das gegen ein Leben, wie Balou der Bär es führt – jener unsterbliche Müßiggänger aus Disneys "Dschungelbuch" mit seinem Plädoyer, sich die Sonne auf den Pelz scheinen zu lassen und die einfachen Annehmlichkeiten des Lebens zu genießen, die Mutter Natur uns schenkt. Will Kant am Ende nicht einfach heimlich Balou sein? Dessen Rat an das Menschenkind Mowgli lautet, die Finger von Dingen zu lassen, die nur durch denkerische und körperliche Anstrengung zu erlangen sind. Und das ist letztlich ein sehr vernünftiger Rat auch an all die zerquälten, rastlosen Meisterdenker: Macht mal Pause. Probiert ein paar Ameisen. Genießt den Sommer!

Statt eines Kommentars: Der philosophische Wetterbericht

Es beschäftigt uns nahezu täglich und kann bei fast jeder Gelegenheit als Gesprächsthema dienen: das Wetter. Wir freuen uns über Sonnenschein, Landausflüge, Sommergewitter und Badeferien, und können ebenso ausdauernd über die andauernde Hitze wie über deren ungebührliches Ausbleiben klagen.
Aber ist das Wetter, der banalste Gegenstand jedes beliebigen Small-Talks, auch ein philosophisches Thema? Gibt es Philosophen, die sich mit dem Wetter intensiver auseinandergesetzt haben? Kann man übers Wetter philosophieren? Und worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir unverbindlich-höflich übers Wetter sprechen? Vier Versuche.

2.8.2015: Andrea Roedig: Kann man übers Wetter überhaupt philosophieren?
9.8.2015: David Lauer: Hitze. Warum man im Warmen nicht denken kann – oder muss
16.8.2015: Catherine Newmark: Nebelstimmungen und Sommertage. Was das Wetter mit unseren Gefühlen zu tun hat
23.8.2015: Ulla Lenze: Blitz und Donner! Gespräche übers Wetter sind nicht harmlos

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