Der perfekte Mensch

Von Bettina von Clausewitz · 30.05.2009
Der Wunsch nach Perfektionierung wächst: Allein in Deutschland werden jährlich 750.000 Schönheitsoperationen gemacht - Tendenz steigend. Immer weniger behinderte Babys mit genetischen Defekten werden geboren und schon Jugendliche nehmen Psychopillen, um ihre Prüfungen zu schaffen. Der Druck, sich schöner, stärker und konkurrenzfähiger zu machen wächst. Aber auch die Frage wird lauter, ob es stimmt, dass der Mensch die Schöpfung nachbessern muss?
Rainer Schmidt: "Meine Mutter hat mal versucht, das zu kaschieren. Es gibt so ein Bild im Kinderwagen von mir. Ich komme aus so einem ganz kleinen oberbergischen Dorf, alle wussten: Im Hause Schmidt ist ein behindertes Kind geboren worden, und meine Mutter zieht mir einen Poncho an, wo die Arme so bedeckt sind, obwohl es jeder weiß – aber es lässt sich nicht ein Leben lang durchhalten, weil es auch wahnsinnig anstrengend ist, sich zu verstecken."

Rainer Schmidt hat längst Schluss gemacht mit dem Verstecken. Und hat aus dem scheinbar Unperfekten eine eigene, unverwechselbare Identität gewonnen: Der 44-Jährige ist Leistungssportler und siebenfacher Goldmedaillengewinner bei den Paralympics – im Tischtennis! - trotz fehlender Unterarme. Er ist Pfarrer und arbeitet an einem Bildungsinstitut in Bonn. Und er ist erfolgreicher Buchautor: "Was Menschen stark macht" lautet eins seiner Themen:

Schmidt: "Ich glaube, dass genau dieses Lebensgefühl: Ich muss besser werden, durch das Vergleichen kommt. Ich sag immer: Das ist der Fluch des Vergleichens. Bei Kain und Abel kommt das und in unseren Schulen heute auch – wir haben wahnsinnig viele Vergleiche.
Ich selbst bin aufs Städtische Gymnasium gegangen, sollte 1000 Meter laufen, also mit Beinprothese lauf ich da rum, ich war mit Abstand der Letzte im Ziel, aber ich war meine persönliche Bestzeit gelaufen. Ich hab mich darüber gefreut, und habe dann gesagt: Eh, warum soll ich mich mit andren Leuten vergleichen?"

Der Mensch, geschaffen zur Perfektionierung? Diese Frage ist für viele zum enormen Alltagsdruck geworden: Angefangen bei der teuren Zahnspange und Wachstumshormonen für Kinder, bis zu Psycho-Enhancement – Verbesserungen von Leistung und Konzentration, um den stressigen Job durchzuhalten, oder Schönheitsoperationen.
Wir sollten uns von den Normen der Makellosigkeit freimachen, meint dagegen selbstbewusst die Gesellschaftskritikerin und Zeit-Redakteurin Elisabeth von Thadden, aber sie sieht auch, wie schwer das ist.

Elisabeth von Thadden: "Ich finde, wenn es um Arbeit geht, die wir alle brauchen, und Bildung als Zugang zur Arbeit, dann ist dieses Dilemma ernst zu nehmen. Die Zahnspange ist ja schließlich nicht einfach nur ein kostspieliges Ding, sondern sie ist die Norm, von der jeder von uns weiß: In Wohlstandsgesellschaften soll man mal versuchen, ohne perfektes Gebiss anzutreten! Da muss man sich schon sehr stark fühlen, um von dieser Norm abzuweichen."

Als Hilfe dazu empfiehlt Elisabeth von Thadden einige "protestantische Hausmittel", wie sie es nennt, um innerlich unabhängiger zu werden.

Thadden: "Wir können uns bilden und also weitersagen, dass zum Beispiel der kundigste Glücksforscher wie der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann herausgefunden hat, dass all das Gerenne nach Perfektion keineswegs glücklich macht. Auf andere Weise sagt die Depressionsforschung genau dasselbe: Der Druck, sich immerzu vervollkommnen zu müssen, macht Menschen krank."

Welches sind also die Chancen und Grenzen der großen Angebotspalette? Die Schöpfung zu gestalten sei durchaus biblisch, meint der Berliner Bischof und Sozialethiker Wolfgang Huber und zitiert den Schöpfungsbericht: "Macht euch die Erde untertan." Es gehe deshalb nicht um die Frage, ob (!) der Mensch in die Natur eingreifen dürfe, sondern wie (!). Zu Orientierung schlägt Huber eine Unterscheidung zwischen hinnehmbaren moderaten Veränderungen vor, und radikalen.

Wolfgang Huber: "Menschen total umzuoperieren, das menschliche Leben über die Grenze der maximalen Lebensspanne hinaus zu verlängern, das sind solche radikalen Eingriffe, bei denen nicht mehr erkennbar ist, dass der Mensch sein geschöpfliches Dasein dankbar annimmt, sondern dass er eigentlich dagegen revoltiert. Die Vorstellung, man könne das menschliche Gehirn zu einem Computergehirn umbauen, das sind solche klaren Maßnahmen, die in meinen Augen deutlich jenseits einer Grenze liegen."

... ebenso wie Gen-Transfers oder reproduktives Klonen etwa. All das widerspreche der menschlichen Würde, so Huber.
"Nobody is perfect", jeder weiß es, und doch ist die Versuchung groß, selbst ein wenig Schöpfer zu spielen, moderat oder radikal, um den Normen zu entsprechen. Bischof Wolfgang Huber hofft deshalb auf ein kritisches Umdenken.

Huber: "Wozu man unter allen Umständen nein sagen muss, ist eine allgemeine gesellschaftliche Atmosphäre, die sagt: Wenn du nicht über diese oder jene Fähigkeiten verfügst, dann bist du kein Mensch im vollen Sinne des Wortes .... nein! die gegenteilige Atmosphäre müssen wir verbreiten: eine, in der jeder Mensch als von Gott geliebtes Geschöpf zu sich selber Ja sagen kann."