Der Patriarch und die Frau Pastor

Voin Vladimir Balzer · 24.10.2013
Nationalkonservative Festung, Schutzraum für die Opposition in der DDR: Die Ausstellung "Leben nach Luther" im Deutschen Historischen Museum Berlin zeichnet 500 Jahre protestantische Pfarrhausgeschichte nach.
Zum Beruf des Pfarrers gehört das Mobil-Sein. Und irgendwie mussten die Pfarrer ja hin zu ihren Schäfchen. Der Weg vom Pfarrhaus zum Gläubigen brauchte aber Unterstützer, Bauern und Handwerker zum Beispiel, die ein Pferdegespann zu bieten hatten. Es war bis ins späte 19. Jahrhundert selbstverständlich, dass Gemeindemitglieder sogenannten Spanndienst zu leisten hatten - mit Pferd, Knecht, Wagen. Gemälde und Dokumente in der Berliner Ausstellung zeigen dies. Und fein säuberlich registriert wurde das Ganze natürlich auch, wie Kuratorin Shirley Brückner feststellen konnte.

"Es gibt also hier wunderbare kleine Buchhaltungshefte aus dem 18. Jahrhundert, wo ein Pfarrer bei Braunschweig aufnotiert für die einzelnen Bauern, wo die ihn hingefahren haben und wie lange. Oft natürlich nach der Kirche. Aber auch ziemlich oft: Bier geholt!"

Ob nun zur Kirche oder zum Bier. Oben auf dem Wagen - das strahlte natürlich eine gewisse Würde aus. Wie sich das gehörte für das Selbstverständnis eines Pfarrers, gerade im ländlichen Raum.

"Man war Vertreter der geistlichen wie auch der weltlichen Obrigkeit. Pfarrer waren Standesbeamte bis ins später 19. Jahrhundert. Die hatten weitläufiges Wissen. Sie haben landwirtschaftliche Kenntnisse – viele Landwirtschaftsreformen gehen auf Pfarrer zurück. Sie hatten veterinärmedizinisches Wissen. Das war eine große Autoritätsgestalt."

Mehrere Gemälde zu Beginn der Ausstellung zeigen ganze Ahnenreihen von selbstbewussten Pfarrern. Eine protestantische Garde, der natürliche Mittelpunkt der Gemeinde. Patriarchen im schwarzen Talar mit weißem Kragen. Keine Kostbarkeiten, keine Verzierungen, keine Machtinsignien. Nichts sollte an den Katholizismus erinnern. Die alte Zeit war vorbei, aber die männliche Vormachtstellung verfestigte sich sogar eher.

"Das war eine rein männliche Traditionsstiftung, dass man Priestertum und Patriarchat wieder verbindet, in einem."

Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zeigt auch, wie spät Frauen in dieses Amt gelassen wurden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg – und auch nur, weil ihre männlichen Kollegen oft genug im Krieg geblieben waren. Ein hier gezeigtes Buch aus den Fünfzigern macht sich auf dem Titel große Sorgen: die Frau auf der Kanzel, Fragezeichen. Geschrieben hatte es eine Theologin, das Fragezeichen hat der Lektor gegen ihren Willen hinzugefügt.

Die Frau des Pfarrers war bei den Protestanten lange nur die "Frau Pastor". Was ja für sich gesehen schon ein Fortschritt war - dass Kirchenmänner Familien gründen konnten und so überhaupt erst das Pfarrhaus als sozialer Ort entstehen konnte. Wenn es auch eher ein traditionelles Familienbild war, was da gepflegt wurde. Eine feste Burg mit einer Frau als Hüterin des Zusammenhalts.

Die Berliner Ausstellung hat viele eindrückliche Details zu biete. In einer Vitrine etwa liegt ein ovale Schachtel mit einem Wachsbildchen von Wibrandis Rosenblatt, eine "Frau Pastor" aus dem frühen 16. Jahrhundert, also aus der sehr frühen Reformationszeit.

Brückner: "Die war gleich mit drei oberrheinischen Reformatoren verheiratet. Natürlich hintereinander. Die sind alle auf dem Kästchen aufgezählt. Und der erste Mann schreibt an den zweiten: Meine Frau ist nicht streitsüchtig, nicht geschwätzig, sondern kümmert sich um den Haushalt."

Die Frau sollte die "Gefährtin" sein. Und unter anderem das Geld zählen. Erst vor 100 Jahren begannen Pfarrer ein festes Gehalt zu bekommen, zuvor lebten sie von den Abgaben der Gemeindemitglieder. Und was galt als oberste Prämisse für den protestantischen Pfarrer? Bescheidenheit. Zumindest nach außen. Keine Limburger Bischofssitze sollten entstehen, sondern zwar geräumige, aber schlichte Häuser. Garten drum rum, Kirche nicht weit, offene Türen, viele Besucher, Leben in der Bude. Gemälde zeigen das und sogar eine historische Pfarrhaus-Puppenstube.

Politisch wurde das Pfarrhaus aber erst nach 1918. Nach dem Ende des "protestantischen" Kaiserreichs. Kurator Bodo-Michael Baumunk sagt es so:

"Da verdichtet sich das evangelische Pfarrhaus zur Festung eines national-konservativen Geistes gegen die Republik, was dann 1933 zu einer großen Sympathie für das NS-Regime führte."

Die Ausstellung zeigt es: Die Nazis mussten sich wenig Sorgen machen, dass Pfarrhäuser Zufluchtsorte für Regimegegner werden würden. Das war nur in der Bekennenden Kirche der Fall. Und die war in der Minderheit.

Politische Freiräume boten Pfarrhäuser erst später, nach dem Krieg, im Osten Deutschlands. Nach langen Kämpfen akzeptierte der DDR-Staat eine gewisse Eigenständigkeit des kirchlichen Raums. Das Pfarrhaus ermöglichte eine Debattenkultur, die woanders unterdrückt wurde. Ein Schutzraum, der die friedliche Revolution beförderte. Menschen wie Markus Meckel, Pfarrer und Mitbegründer der Ost-SPD, aber auch Pfarrerstochter Angela Merkel genossen diese Räume.

Nur leider geben die Ausstellungsmacher diesem Thema viel zu wenig Platz. Ein paar wenige Fotos, ein paar Plakate. Diese Zeit hat politische Akteure von heute hervorgebracht und die Geschichte Deutschlands umgekrempelt. Auch ein paar Filmdokumente gleichen den viel zu geringen Anteil an der Ausstellung nicht aus.

Schade, denn die Schau schafft durch dramaturgisch gut angeordnete Objekte aus fast 500 Jahren Pfarrhausgeschichte ein plastisches Bild dieses so prägenden Teils deutscher Kirchen- und Geisteshistorie. Nur die letzten 30 Jahre bekommen kaum Platz. Auch die Gegenwart nicht. Dabei wäre angesichts der Kirchenkrise die Frage gestattet: Wie lange gibt es das Pfarrhaus noch?