Der neue Teufelspakt

Von Michael Laages |
Dem Faust-Material treibt Friederike Heller alles Beiwerk aus: Übrig bleibt im Grunde nur die Erzählerfigur, Thomas Manns alter ego. Die Inszenierung am Akademietheater Wien ist ein "Doktor Faustus" im Schnelldurchlauf.
Na gut: "Sympathy for the Devil" hätte sicher auch gepasst. Aber dann hätte es sicher Ärger mit den Rechteverwaltern der "Rolling Stones" gegeben. Titel von Pop-Songs müssen ohnehin ja auch nur irgendwie stimmen. Und ist nicht Liebe irgendwie wie ein Fieber für den "deutschen Tonsetzer Adrian Leverkühn", über dessen Leben und Sterben, über dessen Karriere und Genie Thomas Mann erzählen lässt "von einem Freunde" im letzten großen Roman-Projekt "Doktor Faustus", erschienen 1947?

Echter Liebe, solcher also, die Herz und Körper wärmt und erhitzt, hat dieser Künstler auf der Suche nach Genie bekanntlich abgeschworen. Wie ein anderer Faust die Seele, so verschreibt Leverkühn die Liebe dem Teufel, um sich dafür im Tausch- und Gegenwert ein Vierteljahrhundert Genialität und himmelsstürmenden Erfolg als Künstler einzuhandeln.

Zielstrebig steuert die Bearbeiterin und Regisseurin Friederike Heller, erfahren in der theatralischen Neu-Erfindung von Romanen, auf die Frage nach neuen Pakten mit zeitgenössischen Teufeln zu, die nun auch nicht mehr nur der Künstler schließt, sondern Herr und Frau Jedermann womöglich auch.

Sie hat ja schon bewiesen, dass sie anders kann - Hellers Bearbeitung etwa von Turgenjews "Väter und Söhne" versuchte in Stuttgart noch das Roman-Material handhabbar zu machen für die Bühne, die an sich nicht aufdringlich dialogische Erzählung zu "dramatisieren" im engeren handwerklichen Sinne.

Mit Thomas Manns Faust-Material geht sie konsequent anders um: treibt ihm alles Beiwerk, alles Münchner Gesellschaftspanorama aus, verzichtet auf fast die komplette Personnage. Kein Schildknapp und kein Schwerdtfeger, keine Senatorin Grodde und keine gefährlichen Liebschaften im Hause Institoris - übrig bleibt im Grunde nur die Erzählerfigur Serenus Zeitblom, Thomas Manns "alter ego".

Die aber ist nun immerhin zu fünft, ist musikalisch aufgeteilt in Rezitativ und Chor: Bibiana Zeller referiert Manns Selbstreflexionen über den Künstler in seiner Zeit als allgewaltige Erzählerin an einer Art Schreibtisch hoch oben in Sabine Kohlstedts Bühnenraum, und auch auf den gelöchert-weißen, sozusagen grob gepixelten Video-Wänden ist sie obendrein die autoritative Spielmacherin.

Schließlich wird sie die einzige richtige "Episode" aus Leverkühns Teufelspakt "spielen": die Begegnung mit dem Kind, das sich selber "Echo" nennt und Leverkühns "letzte Liebe" ist; oder besser: wäre - denn weil auch die Zuneigung zu dieser kindlichen Unschuld "wärmt", holt den Kleinen bald der Teufel - ganz banal und fürchterlich in Form einer Hirnhautentzündung.

Derart von Geschichten befreit, treten die Choristen (Petra Morzé und Rudolf Melichar, Philipp Hochmair und Felix Goeser) von Anfang an an zum Mann- Seminar. Und dennoch entsteht erstaunlich viel Spiel-Material mit diesen Akteuren, wo doch textlich im Grunde bloß sehr viel Trockenfutter zu verhandeln ist, ziemlich viel Papier.

Die Theatralität des Spiels entwickelt sich verblüffend stark aus der jeweiligen Haltungssuche aller; gestützt auf sehr viel Musik jenseits aller Zwölftönerei (deren Erfindung Manns Roman-Fiktion ja bekanntlich Leverkühn zuschreibt - worüber sich Arnold Schönberg nachhaltig ärgerte): Peter Thiessen und Michael Mühlhaus steuern mit Stimme, Gitarre und Klavier einen Friedrich-Hollaender-Song ebenso bei wie voluminöse Post-Punk-Klanggewitter.

Besonders suggestiv gelingt gerade der Sound dann auch in der zentralen Passage des knapp bemessenen 100-Minuten-Abends: wenn sich Heller nämlich dezidiert auf die Suche nach dem Teufelspakt von heute begibt.

Da hatte nämlich den Künstler mit der Sehnsucht nach Genie gerade noch die Roman-Grisette aus dem Leipziger Puff umgarnt und becirct, die Prostituierte mit dem "spanischen Jäckchen", die "Hetaere Esmeralda"; und einer von Leverkühns und Zeitbloms Bühnen-Klons schien sich auch redlich zu bemühen, sich zielstrebig bei ihr mit Syphilis zu infizieren - da weitet sich das Panorama optisch zur Gegenwart.

Und während der Sound nach Stuka-Bomber im kriegerischen Tiefflug zu dröhnen beginnt, erscheinen auf Kohlstedts Pixel-Wänden Bilder von der Erstürmung der neuen "Media-Markt"-Filiale anno September vorigen Jahres im gräßlichen "Alexa"-Kaufhaus am Alexanderplatz in Berlin: Masse Mensch im taumelnden Willen zur "Ich bin doch nicht blöd"-Käufermacht, versetzt mit Bildern von der Börse und rechten Demos.

Das sieht sich wirklich ziemlich eklig an. Und so mag wohl zeitweilig auch dem Herrenmenschen Mann gegruselt haben vor dem ameisigen Gewimmel all jener, die seinesgleichen nie sein würden. Doch doppelt tödlich ist dieser Pakt - in Hochmut und Verachtung wie durch die Selbstaufgabe im Konsum. Es mag wie platte Wahrheit wirken - doch wie, wenn nicht vornehm oder im Delirium der vergifteten Ökonomie, geht gerade eine Welt zu Grunde? Das hat Friederike Hellers Team gefunden im Pop-Song von "Doktor Faustus" und Thomas Mann. Und dass dieser Fund die Mühe lohnt, beweist sich auf der Bühne.

Nach dem Live-Gespräch in "Fazit" rekonstruiert und ergänzt von Michael Laages.