Der Musiker und der Herrscher
Auch wenn man an nichts glaubt. Es muss doch etwas zum Niederknien und Anbeten geben, etwas, das uns hoch sehen lässt, empor zum Licht. So eine Himmelserscheinung, so ein sanfter Pantokratos, ist für viele Johann Sebastian Bach. Es kann sein, hat der Komponist Mauricio Kagel einmal gesagt, dass nicht alle Musiker an Gott glauben, an Bach jedoch alle.
Diesem Gott kann man sich ganz verschieden annähern. Der Bestseller-autor Robert Schneider hat es in seinem Organisten-Roman "Die Offenbarung" in Form einfühlsamer Kolportage versucht. Und die Frankfurter Schriftstellerin Petra Morsbach wiederum durch Übertragung, die ihre eigene Bach-Bewunderung einem schwulen und zudem noch erblindeten "Cembalospieler" in den Mund gelegt hat.
Einen anderen, moderneren Weg hat der Amerikaner James R Gaines gewählt. Anhand der Lebensläufe von Johann Sebastian Bach und Friedrich des Großen werden wir zu Teilnehmern einer hoch sensiblen ästhetischen Debatte, in der es um die Kunst und das Leben geht, um höhere Politik und die Hochkultur, auch um den nicht aufzuhaltenden Geschmackswandel. In der Musik, schreibt Gaines,
"wie auf fast allen anderen geistigen Gebieten wurden tausend Jahre alte Einsichten, Denkgewohnheiten und Ideen gegen Grundsätze und Denkhaltungen ausgetauscht, die noch heute, dreihundert Jahre später, in Entwicklung begriffen sind und uns noch immer Fragen aufgeben. Friedrich der Große und Johann Sebastian Bach begegneten einander am Umschlagspunkt zwischen alter und moderner Kultur, und was aus ihrem Zusammentreffen erwuchs, war eine mehr als nur musikalische Ausformung dieses historischen Augenblicks."
Der Komponist der Matthäuspassion, der Goldbergvariationen und der Kunst der Fuge war laut Gaines vor allem:
"ein frommer lutheranischer Hausvater, der allein der 'Ehre Gottes' diente, wie es in den Widmungen seiner Werke heißt, und der mit zwei Frauen zwanzig Kinder gezeugt hatte"
und dessen weltlicher Gegenspieler, der Macchiavelli des Nordens, Friedrich der Große:
"ein bisexueller Misanthrop und vom Glauben abgefallener Calvinist, der in einer kinderlosen, politischen Ehe lebt"
Ausgangspunkt ist die Frage: Warum hat Friedrich, selbst ein großer Musikliebhaber und dilettierender Komponist, der, wie wir wissen, in seiner Freizeit gerne Flöte spielte, warum hat dieser 'aufgeklärte' Monarch, der sogenannte Philosophenkönig, und nicht nur er, einen Komponisten wie Quantz dem hundertfach bedeutenderen Johann Sebastians Bach vorgezogen? Friedrich verabscheute, so Gaines,
"eine Musik, die, wie er sich ausdrückte, 'nach Kirchenmusik schmeckt', und nannte Bachs Choräle 'dummes Zeug'."
Trotzdem lud er Bach zum Vorspielen nach Potsdam ein, wo er ihn im Beisein kompetenter Musiker einer kleinen Prüfung unterzog. Bach war damals 62, Friedrich 35 und seit sieben Jahren absoluter Herrscher.
"Seine Majestät spielte ihm selbst ein Thema zu einer Fuge vor, welches er sogleich, zu Höchstderoselben besondern Vergnügen, auf dem Pi-anoforte ausführete. Hierauf verlangten seine Majestät eine Fuge mit sechs obligaten Stimmen zu hören, welchen Befehl er auch, so gleich, über ein selbst erwähntes Thema, zur Verwunderung des Königs, und der anwesenden Tonkünstler, erfüllete."
Dieses Treffen ist in die Musikgeschichte eingegangen. Bachs Spätwerk "Das Musikalisches Opfer" ging daraus hervor. Die Faktenlage ist aller-dings nicht gerade überwältigend (und nur spärlich belegt). Man kann Gaines dafür hassen oder muss ihn lieben, dass er sich damit nicht zufrieden gibt, sondern die Geschichte ausschmückt im Sinne einer frei nachempfundenen Rekonstruktion. Anders gesagt: Er stellt munter Mutmaßungen an:
"Am frühen Abend des 7. Mai 1747, an einem Sonntag, trafen sie in Potsdam ein. Als Bach gleich nach der Ankunft in das Stadtschloss gerufen wurde, war er von der langen Fahrt zerschlagen und hatte noch die Kleider am Leib, die er während der Fahrt getragen hatte. Er wird sich für seinen Aufzug bei Friedrich entschuldigt haben, um sich dann mit einer knappen Verbeugung die zahlreichen Bekannten, Kollegen und Freunde zu begrüßen ..."
Bis auf das Datum ist hier alles pure Vermutung. Es könnte auch so ge-wesen sein, dass der König dem ausgehungerten Komponisten mitleidig auf die Schulter geklopft hat, dass sich erste Anzeichen von Bachs Erblindung zeigten und der alte Mann nicht sofort seinen anwesenden Sohn Carl Philipp Emmanuel erkannte, dass man ihn erst einmal in den Speisesaal schickte, um ihn mit Teltower Rübchen und Bouletten zu stär-ken.
Worum es Gaines geht, ist klar. Er will Bachs Leben vergegenwärtigen, keine Musealisierung, keine fachmännisch approbierte Einbalsamierung von Musik und Geschichte. Und das gelingt ihm, von einigen kleinen und nun leider nicht mehr nachzubessernden Fehlern abgesehen, wirklich sehr gut.
Das Leben Friedrich des Großen dient ihm vor allem als Kontrastfolie - als Negativabdruck einer kriegerischen, rohen Welt, die auf die Kunst im Ernstfall keine Rücksicht nimmt. Und doch triumphiert hier ausnahmsweise die Musik. Gaines versteht es glänzend, dem Leser schwierige, höchst gelehrte Fragen anschaulich und locker nahezubringen.
Wer Sudoku-Rätsel löst, Schach spielt und Braingymnastik macht, so lautet der Vermittlungsschritt, der kann auch Kontrapunkt und Rätselkanon, Zahlensymbolik und Augenmusik verstehen. Ein amüsantes und auch gescheites Buch, das in der Art der biografischen Parallel-Montage an Daniel Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" erinnert.
Wer Gaines "Musikalisches Opfer" vertiefen und über den Thomas-Kantor noch mehr wissen will, dem sei die gerade im Osburg Verlag erschienene, äußerst gewissenhafte Bach-Biografie des englischen Musikers und Gelehrten Peter Williams empfohlen. Aber am besten beide lesen: Williams und Gaines.
Rezensiert von Richard Schroetter
James R. Gaines : Das musikalische Opfer
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Andere Bibliothek im Eichborn Verlag
384 Seiten, 34,00 Euro
Einen anderen, moderneren Weg hat der Amerikaner James R Gaines gewählt. Anhand der Lebensläufe von Johann Sebastian Bach und Friedrich des Großen werden wir zu Teilnehmern einer hoch sensiblen ästhetischen Debatte, in der es um die Kunst und das Leben geht, um höhere Politik und die Hochkultur, auch um den nicht aufzuhaltenden Geschmackswandel. In der Musik, schreibt Gaines,
"wie auf fast allen anderen geistigen Gebieten wurden tausend Jahre alte Einsichten, Denkgewohnheiten und Ideen gegen Grundsätze und Denkhaltungen ausgetauscht, die noch heute, dreihundert Jahre später, in Entwicklung begriffen sind und uns noch immer Fragen aufgeben. Friedrich der Große und Johann Sebastian Bach begegneten einander am Umschlagspunkt zwischen alter und moderner Kultur, und was aus ihrem Zusammentreffen erwuchs, war eine mehr als nur musikalische Ausformung dieses historischen Augenblicks."
Der Komponist der Matthäuspassion, der Goldbergvariationen und der Kunst der Fuge war laut Gaines vor allem:
"ein frommer lutheranischer Hausvater, der allein der 'Ehre Gottes' diente, wie es in den Widmungen seiner Werke heißt, und der mit zwei Frauen zwanzig Kinder gezeugt hatte"
und dessen weltlicher Gegenspieler, der Macchiavelli des Nordens, Friedrich der Große:
"ein bisexueller Misanthrop und vom Glauben abgefallener Calvinist, der in einer kinderlosen, politischen Ehe lebt"
Ausgangspunkt ist die Frage: Warum hat Friedrich, selbst ein großer Musikliebhaber und dilettierender Komponist, der, wie wir wissen, in seiner Freizeit gerne Flöte spielte, warum hat dieser 'aufgeklärte' Monarch, der sogenannte Philosophenkönig, und nicht nur er, einen Komponisten wie Quantz dem hundertfach bedeutenderen Johann Sebastians Bach vorgezogen? Friedrich verabscheute, so Gaines,
"eine Musik, die, wie er sich ausdrückte, 'nach Kirchenmusik schmeckt', und nannte Bachs Choräle 'dummes Zeug'."
Trotzdem lud er Bach zum Vorspielen nach Potsdam ein, wo er ihn im Beisein kompetenter Musiker einer kleinen Prüfung unterzog. Bach war damals 62, Friedrich 35 und seit sieben Jahren absoluter Herrscher.
"Seine Majestät spielte ihm selbst ein Thema zu einer Fuge vor, welches er sogleich, zu Höchstderoselben besondern Vergnügen, auf dem Pi-anoforte ausführete. Hierauf verlangten seine Majestät eine Fuge mit sechs obligaten Stimmen zu hören, welchen Befehl er auch, so gleich, über ein selbst erwähntes Thema, zur Verwunderung des Königs, und der anwesenden Tonkünstler, erfüllete."
Dieses Treffen ist in die Musikgeschichte eingegangen. Bachs Spätwerk "Das Musikalisches Opfer" ging daraus hervor. Die Faktenlage ist aller-dings nicht gerade überwältigend (und nur spärlich belegt). Man kann Gaines dafür hassen oder muss ihn lieben, dass er sich damit nicht zufrieden gibt, sondern die Geschichte ausschmückt im Sinne einer frei nachempfundenen Rekonstruktion. Anders gesagt: Er stellt munter Mutmaßungen an:
"Am frühen Abend des 7. Mai 1747, an einem Sonntag, trafen sie in Potsdam ein. Als Bach gleich nach der Ankunft in das Stadtschloss gerufen wurde, war er von der langen Fahrt zerschlagen und hatte noch die Kleider am Leib, die er während der Fahrt getragen hatte. Er wird sich für seinen Aufzug bei Friedrich entschuldigt haben, um sich dann mit einer knappen Verbeugung die zahlreichen Bekannten, Kollegen und Freunde zu begrüßen ..."
Bis auf das Datum ist hier alles pure Vermutung. Es könnte auch so ge-wesen sein, dass der König dem ausgehungerten Komponisten mitleidig auf die Schulter geklopft hat, dass sich erste Anzeichen von Bachs Erblindung zeigten und der alte Mann nicht sofort seinen anwesenden Sohn Carl Philipp Emmanuel erkannte, dass man ihn erst einmal in den Speisesaal schickte, um ihn mit Teltower Rübchen und Bouletten zu stär-ken.
Worum es Gaines geht, ist klar. Er will Bachs Leben vergegenwärtigen, keine Musealisierung, keine fachmännisch approbierte Einbalsamierung von Musik und Geschichte. Und das gelingt ihm, von einigen kleinen und nun leider nicht mehr nachzubessernden Fehlern abgesehen, wirklich sehr gut.
Das Leben Friedrich des Großen dient ihm vor allem als Kontrastfolie - als Negativabdruck einer kriegerischen, rohen Welt, die auf die Kunst im Ernstfall keine Rücksicht nimmt. Und doch triumphiert hier ausnahmsweise die Musik. Gaines versteht es glänzend, dem Leser schwierige, höchst gelehrte Fragen anschaulich und locker nahezubringen.
Wer Sudoku-Rätsel löst, Schach spielt und Braingymnastik macht, so lautet der Vermittlungsschritt, der kann auch Kontrapunkt und Rätselkanon, Zahlensymbolik und Augenmusik verstehen. Ein amüsantes und auch gescheites Buch, das in der Art der biografischen Parallel-Montage an Daniel Kehlmanns Bestseller "Die Vermessung der Welt" erinnert.
Wer Gaines "Musikalisches Opfer" vertiefen und über den Thomas-Kantor noch mehr wissen will, dem sei die gerade im Osburg Verlag erschienene, äußerst gewissenhafte Bach-Biografie des englischen Musikers und Gelehrten Peter Williams empfohlen. Aber am besten beide lesen: Williams und Gaines.
Rezensiert von Richard Schroetter
James R. Gaines : Das musikalische Opfer
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Andere Bibliothek im Eichborn Verlag
384 Seiten, 34,00 Euro