Der mündige Bürger

Von Stefan Laack |
Menschenrechte in Russland - da fallen einem zusammengeknüppelte Oppositionsdemonstrationen, ermordete Aktivisten und gelenkte Schauprozesse ein. Und aus Russland kommen nach wie vor die meisten Beschwerden an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - mehr als 33.000 sind insgesamt in Straßburg anhängig. Mehr als 13.000 russische Bürger beschwerten sich allein im vergangenen Jahr über Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention durch ihren Staat.
Gerne gibt sich der Russische Präsident Medwedew als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten. Auch forderte er immer wieder die Bekämpfung der weitverbreiteten Korruption. Zivilcourage und Meinungsfreiheit seien elementar für einen modernen Staat - unterstrich Medwedew beispielsweise in seiner Ansprache an die Nation im November vergangenen Jahres:

"Die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen ist eine der zentralen Aufgaben des Staates. Menschen, die nicht allem gleichgültig gegenüberstehen, sollen die Möglichkeit haben, ihre edlen Vorsätze zu realisieren."

Schöne Worte, die damals fast zeitgleich im Süden des Landes einem echten Praxistest unterzogen wurden. Der Polizist Dymowski hatte mit einem Videoclip, den er ins Internet gestellt hatte, für Furore gesorgt.

Er prangerte darin Amtsmissbrauch und Korruption bei der eigenen Dienststelle an. So seien etwa gezielt Unschuldige verhaftet worden. Premierminister Putin müsse etwas dagegen unternehmen, forderte der Dymowski und bot Kooperation an. Ihm läge umfangreiches Beweismaterial vor, das er zur Verfügung stellen könne. Er selbst wolle sich an den Untersuchungen beteiligen, so Dymowski in seiner Videobotschaft.

"Lassen Sie mich landesweit eine unabhängige Ermittlung durchführen. Ich stelle dafür eine Mannschaft zusammen. Und ich zeige Ihnen die Kehrseite des Bullenlebens in ganz Russland, wie es wirklich ist - mit der Korruption."

Die Reaktion der Regierung ließ zunächst hoffen – man wolle die Vorwürfe prüfen, hieß es aus dem Innenministerium. Doch nach zwei Monaten wurde der couragierte Polizist verhaftet – die Anklage wirft ihm nun Betrug und Amtsmissbrauch vor.

Dymowski drohen bis zu sechs Jahre Gefängnis. Menschenrechtler vermuten, dass er dem Staat einfach zu gefährlich wurde. Nach ihm nutzten auch andere Polizisten das Internet, um über Bestechung und erfundene Anschuldigungen bei der Miliz zu berichten. Dabei hatte Medwedew doch vor zu viel Übermut gewarnt.

"Alle Versuche, die Situation mit Hilfe demokratischer Losungen ins Wanken zu bringen und den Staat zu destabilisieren - die Gesellschaft zu spalten, werden unterbunden."

Die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung, Ljudmilla Alexejewa, protestierte gegen die Verhaftung Dymowskis - sie wolle das nicht auf sich beruhen lassen.

Die Miliz hingegen setzt alles daran, Ihr ohnehin schlechtes Image noch weiter zu demolieren. In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche Übergriffe bekannt, in denen Polizisten unschuldige Menschen misshandelt und zu Tode geprügelt hatten. Der Tod eines 47-jährigen Journalisten in Tomsk , der grundlos verhaftet und in seiner Zelle geschlagen wurde, brachte hunderte von Demonstranten auf die Strasse. Proteste, die dem Kreml nicht gefallen.

In der Regel werden Demonstrationen von Bürgerrechtlern schon Nach kurzer Zeit von Sicherheitskräften aufgelöst und deren Teilnehmer festgenommen - sogar Trauermärsche bilden da keine Ausnahme. Bei den Gedenkveranstaltungen zu den Morden am Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasia Baburowa bot sich das gleiche Bild. Es gab zahlreiche Festnahmen, die mit der Verbreitung Politischer Parolen begründet wurden. Dabei hatte sich die Veranstaltung nur gegen Fremdenhass und Neonazismus gerichtet.

Witalij Jaroschewski, stellvertretender Chefredakteur bei der regierungskritischen Nowaja Gaseta beklagt, dass man im Kreml den Wert kritischer Presse und couragierten Bürgern einfach nicht verstehen will.

"Wir sind doch nicht dafür da zu sagen. Eure Majestät, ihr seid ein Genie. Wir sind dafür da zu sagen: Der König ist nackt - falls er wirklich nackt ist. Wenn er aber anständig angezogen ist und sich gut verhält, wollen wir auch darüber berichten. Darauf warten wir schon lange."

Doch die Negativ-Schlagzeilen überwiegen weiterhin – Regierungskritiker riskieren viel, wenn sie die Einlösung von Medwedews Bekenntnis zur Zivilgesellschaft einfordern – von diesem Ziel ist Russland noch meilenweit entfernt.