"Der Monsun war diesmal viel schlimmer als sonst"

Moderation: Birgit Kolkmann |
Die Geschäftsführerin von "Aktion Deutschland hilft", Manuela Roßbach, hat für mehr Unterstützung in den Medien und in der Bevölkerung aufgerufen. Eine Notrufkampagne sei notwendig, weil die Katastrophen weltweit zunehmen, sagte Roßbach am Montag im Deutschlandradio Kultur. Als Bündnis könne die "Aktion Deutschland hilft" mehr Hilfe leisten als Einzelorganisationen. Roßbach stellte dabei fest, Menschen würden über die Katastrophen nicht viel informiert.
Birgit Kolkmann: Frau Roßbach, Sie werden heute in einer Pressekonferenz um mehr Hilfe bitten. Was ist Ihre zentrale Botschaft?

Manuela Roßbach: Unsere zentrale Botschaft ist, dass wir als Bündnis zusammen viel mehr abdecken können als Einzelorganisationen. Wir haben die Notrufkampagne ausgerufen, weil wir zunehmend feststellen, dass weltweit die Katastrophen zunehmen und die Menschen davon gar nicht so viel Kenntnis kriegen. Wir bemühen uns um die Menschen vor Ort, um denen das Überleben zu sichern und sie in die nächste Phase wieder zu geleiten, wo das Leben etwas normaler wird.

Kolkmann: Die Tsunami-Katastrophe hatte ja weltweit eine bislang beispiellose Hilfsbereitschaft ausgelöst. Ist das jetzt anders, weil der emotionale Bezug fehlt, es nicht auch um Urlauber aus Europa geht?

Roßbach: Das könnte ein Teil der Erklärung sein, aber ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir hier in Deutschland informiert werden über die jeweiligen Katastrophen. Es waren wenige Bilder in den Nachrichten, es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass die Menschen von dem jährlich wiederkehrenden Monsun betroffen sind. Der Punkt ist aber, dass er diesmal viel schlimmer war als sonst.

Kolkmann: Wie erklären Sie sich das, dass die Informationen so spärlich in die Medien kommen?

Roßbach: Ich kann nur spekulieren, dass die Kollegen andere Themen wichtig finden, dass sie selber vielleicht auch wenig Informationen haben, die sie da beifüttern könnten. Aber das ist genau auch ein Punkt, den wir ändern wollen. Wir möchten, dass auch in Deutschland – wie übrigens in England und in Frankreich – Informationen über die Notsituationen anderer Menschen in anderen Ländern besser und schneller hier auch ankommen.

Kolkmann: Überschwemmungen kommen, Überschwemmungen gehen, damit ist aber das Problem offenbar nicht erledigt. Mit welchen langfristigen Folgen rechnen Sie?

Roßbach: Die wichtigste Folge, die erste Folge sind die Nahrungsmittelreserven, die angegriffen werden. Also, gerade am Beispiel von Nordkorea haben wir ja gemerkt, dass Gebiete überschwemmt sind, die genau jetzt, also Agrikulturgebiete, die genau jetzt Pflanzen beherbergen, die in einer Wachstumsphase sind. Und wenn die überschwemmt werden, dann fehlen natürlich für viele Millionen Menschen die Nahrungsmittel. Und genauso ist es Indien, ist es in Nepal, in Bangladesch und vor allen Dingen auch in Pakistan.

Kolkmann: Welche konkrete Hilfe ist nun notwendig, und zwar jetzt sofort und dann noch längerfristig?

Roßbach: Zunächst können wir Opfern von Naturkatastrophen das Notwendigste nur erst mal geben, das heißt, Unterkünfte zur Verfügung stellen, Zelte, medizinische Versorgung, Wasser, ganz wichtig auch bei Überflutungen, sauberes Trinkwasser. Sie wissen, ein Mensch kann ohne Essen länger überleben aber ohne Trinkwasser nicht. Das können wir machen. Und dann muss man schauen nach ein paar Wochen, wie man gemeinsam mit den Gemeinschaften die Ressourcen wieder aktivieren kann.

Kolkmann: Die Seuchengefahr ist ja sehr groß, in Bangladesch zum Beispiel verbreitet sich schon ein Virus über das Wasser, das zu Durchfallerkrankungen führt. Befürchten Sie da Seuchen in größerem Ausmaß?

Roßbach: Das wäre jetzt spekulativ. Die Mediziner in unseren Organisationen sind vorgewarnt, sie wissen, was in solchen Fällen zu tun ist und versuchen dann möglichst schnell Medikamente, die sie hoffentlich vor Ort einkaufen können, zu verteilen, damit das nicht der Fall ist, und natürlich für sauberes Wasser zu sorgen. Das ist das A und O.

Kolkmann: Wie schätzen Sie die Hilfe der örtlichen Behörden ein? In Indien gab es ja bereits Proteste gegen die schleppende und wohl auch unzureichende Hilfe, nur vier Hubschrauber wurden zum Beispiel im 90-Millionen-Bundesstaat Bihar eingesetzt. Schaut die Regierung da tatenlos zu?

Roßbach: Man ist schnell gewillt, so etwas zu sagen, und wenn man das Ergebnis sieht, könnte es dazu kommen. Aber man muss auch sehen, wie viele Hubschrauber hat denn die Regierung, und sind Hubschrauber die richtigen Mittel? Normalerweise ist es nicht günstig, aus Hubschraubern Nahrungsmittel oder sonstige Hilfsgüter abzuwerfen, weil durch den Aufprall die entweder kaputtgehen können oder sogar Menschen verletzen.

Das Problem ist, wie kommt man ganz schnell zu den Opfern? Und manchmal ist der Hubschraubereinsatz der erste, war es ja auch in Pakistan nach dem Erdbeben, aber der muss begleitet werden von vielen anderen Maßnahmen. Und auch bei Pakistan im Juni/Juli haben wir gesehen: Es sind massive, logistische Herausforderungen, vor denen wir sind, wenn es auf einmal keine LKWs mehr gibt, weil die nicht verfügbar sind. Was machen Sie dann?

Kolkmann: Wie machen Sie’s dann?

Roßbach: Ja, wir versuchen zunächst natürlich, LKWs zu mieten und die dann eben rund um die Uhr einzusetzen, und unsere Projektmenschen sind sehr kreativ, sie nehmen dann auch andere Autos, die eigenen Autos natürlich auch. Das kommt auf die jeweilige Situation an. In unserem Fall Pakistan weiß ich, dass wir Glück hatten und eben an LKWs herankamen.

Kolkmann: Nordkorea, das ist nun ein ganz besonderes Problem, ein abgeschottetes Land. Welche Hilfe ist dort eigentlich möglich, wie einem Verbund von Hilfsorganisationen wie Ihren. Oder wie wichtig ist es, dass da eine internationale Organisation wie das Welternährungsprogramm hilft?

Roßbach: Also, für einzelne Organisationen und auch nationale Bündnisse, wie wir es sind, ist es nicht ganz so einfach. Ich denke, die nordkoreanische Regierung hat jetzt aufgerufen zur Hilfe, sie würden gerne Unterstützung erhalten. Das ist auch gut so, die soll auch durch die UN koordiniert werden.

Aber aus der Vergangenheit weiß ich einfach, wie schwierig es formal ist auch, in Nordkorea zu helfen, und da muss man sehen, wenn die Zugangsvoraussetzungen vereinfacht sind, wenn die Zollbestimmungen sozusagen außer Kraft gesetzt werden für diese Hilfeaktion und wenn es auch keine weiteren Reglementierungen gibt der Hilfe, dann sind bestimmt mehrere Organisationen bereit dazu. Aber der Weg, der jetzt angewählt wurde, ist schon richtig.

Kolkmann: Die Hilfsorganisationen, die in Ihrem Bündnis organisiert sind, haben sich 2001 zusammengeschlossen. Welche Erfahrungen haben Sie bislang gemacht, was vor allen Dingen die effektivere Hilfe angeht? Viele Menschen haben ja Probleme, etwas zu spenden, weil sie denken, die Hilfe kommt nicht wirklich an und vor allen Dingen nicht vollständig.

Roßbach: Ja. Also, wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir sehr viel effektiver sind, hat uns gewundert, wir hatten natürlich den Anspruch, aber dass es auch so ist. Bevor wir in ein Katastrophengebiet gehen, stimmen wir uns untereinander ab, also Beispiel jetzt Tsunami oder Beispiel jetzt Unwetter Südasien. Es gibt eine Telefonkette, eine Telefonaktion, jeder sagt, was er hat, was er kann, wo er ist. Und so können wir relativ schnell herausfinden, welche der Organisationen vor Ort gehen, das spart Geld und Zeit.

Und die zweite Sache ist jetzt, um auf Geld zu kommen: Wir haben eine generelle Regel eingeführt, die heißt, dass fünf Prozent jeder Spende für die allgemeineren Arbeiten aufgewendet werden, also für Informationsarbeit, für Bannerschaltung bei Werbemaßnahmen et cetera. Und ein Prozent für Evaluierung, das heißt für die Prüfung von Projekten nach Projektablauf, damit wir wissen, ob auch alles ordentlich passiert ist.

Das heißt sechs Prozent von einem Euro, sechs Cent, gehen ab. Der Rest der Spende wird den Organisationen direkt zur Verfügung gestellt, damit sie es direkt umsetzen können. Und da – finde ich – sind wir doch effektiv.

Kolkmann: Welche Mittel hatten Sie bislang zur Verfügung und was bräuchten Sie jetzt, um die aktuellen Katastrophen zu bedienen?

Roßbach: Da wir ein neues Bündnis sind, haben wir die meisten Mittel natürlich im Tsunami erhalten, da allein ein Fünftel, nämlich 125 Millionen. Die Mitteleinnahme wechselt von Katastrophe zu Katastrophe, für diesen Fall haben wir bereits 400.000 Euro eingeworben, stellen aber weitere 100.000 zur Verfügung und hoffen, dass die Spender die Not ihrer Nachbarn, auch wenn sie weiter weg sind, sehen und uns natürlich spenden.

Kolkmann: Manuela Roßbach war das, die Geschäftsführerin der Hilfsorganisation Aktion Deutschland hilft, einem Verbund von zehn nationalen Hilfsorganisationen in Deutschland. Es geht um Hilfe für die Überschwemmungsopfer in Nepal, Indien, Bangladesch und Nordkorea. Dankeschön für das Gespräch.

Roßbach: Danke Ihnen.