Der moderne Satyr
Er ist der Megastar der britischen Kunstszene und seine Werke gehören zum teuersten, was der Kunstmarkt hergibt: Die Tate Modern Gallery in London hofft entsprechend, mit ihrer Damien Hirst Werkschau vom Glanz des Künstlers zu profitieren.
Letzte Woche sorgte Mister Julian Spalding für Wirbel. Er machte Werbung für seine Streitschrift, in der er Hirst-Sammler zur Vorsicht mahnt. Ihr Titel: Con Art: Why You Ought To Sell Your Damien Hirst While You Can – "Verkau-fen Sie Ihren Damien Hirst, solange Sie's noch können".
Spalding war Galeriedirektor in Glasgow, Sheffield und Manchester. In seinem Traktat zieht er gegen den Megastar der Kunstszene gewaltig vom Leder. Seine Thesen: Hirsts Kurswert tendiere gegen Null; was er mache, sei alles, nur keine Kunst; und selbstverständlich gehöre er auch nicht in die Tate.
"Con Art": Der Begriff steht für "kontemporär", "Konzept" und "to con", was so viel heißt wie "jemanden für dumm verkaufen". Ob Galeristen, Käufer oder Publikum: Im Fall Hirst, findet Spalding, sind wir alle die Gelackmeierten und die großen Verlierer.
Tate-Chef Sir Nicholas Serota hält nichts von der Hirst-Hass-Kampagne des Kollegen:
Das sage er seit fast 30 Jahren. Dabei habe Spalding mit zeitgenössischer Kunst kaum was am Hut. Er beschäftige sich nicht mit ihr und habe auch nur wenig Ahnung von der Materie. Nein, er nehme seine Äußerungen nicht allzu ernst.
Seit einem Vierteljahrhundert polarisiert Damien Hirst die Kunstwelt. Legendär ist sein Genie der Selbstvermarktung. Unter Umgehung von Auktionshäusern, Händlern und Galeristen erschließt er sich strategisch geschickt immer wieder neue Kundengruppen und Vertriebskanäle und bleibt so Herr über seine Wertschöpfungskette und sein Marken- und Marketingimperium.
Angesichts der Rekordsummen, die für Hirst gezahlt werden, fragt man sich freilich seit Jahren: Verstellen die gigantischen Dimensionen nicht den Blick auf das Wesentliche dieser Kunst? Nicholas Serota meint: keineswegs!
"Ein ähnliches Geschäftsgebaren warf man Andy Warhol auch schon vor. Nein, die Kunst steckt natürlich im Werk selbst, und für viele ist die Schau hier eine erste Gelegenheit, die Hirsts im Original kennenzulernen, sozusagen aus nächster Nähe."
Er selbst verstehe seine Midlife-Retrospektive in der Tate Modern nicht als eine "Revue der Greatest Hits", betonte Hirst in Interviews; vielmehr sei sie eine Art "Karte seines Lebens als Künstler". Aber was wäre eine solche "Road Map" zum Gesamtwerk ohne die Meilensteine einer beispiellosen Künstlerkarriere?
Allen voran natürlich der alte Hai in seinem Formaldehydtank. Er reißt immer noch sein Maul auf, wirkt aber inzwischen doch recht abgestanden. Mit dem Ungetüm wurde Hirst 1991 quasi über Nacht zum Star.
In Flüssigkeit präpariert für alle Ewigkeit sind auch sie: die Kühe und Kälber und ein einsames schwarzes Schaf, die einen längs zerlegt, das andere komplett. Im Kontrast dazu die Installation aus dem Jahr 1990 mit dem Titel "A Thousand Years": ein verwesender Rinderschädel, der zigtausenden Fliegen Nahrung spendet. Was beweist: Hirst versteht sich auf beides, auf Vitalität und Vergänglichkeit, Vanitas und Tod.
Für Tate Modern-Direktor Chris Dercon ist Hirst ein Mythenschöpfer und moderner Satyr, der mit seinem Gelächter den Göttervater Zeus in Rage versetzt:
"Aber dieses Lachen ist gesund, weil es reinigt. Wir brauchen solche Satiriker wie Hirst: Sie erklären uns unsere Existenz und sagen uns, was es heißt, Mensch zu sein."
Die Bedingungen des Menschseins, die Conditio Humana: Das ist eines der großen Themen des Künstlers. Ihm gelten auch seine anderen prominenten Arbeiten: die Sammlungen der Anatomiemodelle und chirurgischen Instrumente, die Pillenschränke und die auf Hochglanz polierten Goldvitrinen mit den perfekt angeordneten Zigarettenkippen.
Breiten Raum nehmen die berühmten "Spot" und "Spin Paintings" ein, für deren Anfertigung der Künstler zeitweise einen Stab von mehr als 100 Mitarbeitern beschäftigte. Ansonsten ist der Maler Hirst hier fast ganz ausgeklammert. Vielleicht war das Risiko denn doch zu hoch, denn mit seiner Londoner Ausstellung von Schädelbildern nach dem Vorbild Francis Bacons erntete Hirst letztes Jahr durchweg Verrisse.
Höhepunkt und das Juwel der Ausstellung ist Hirsts bis dato spektakulärstes Werk: sein Memento Mori mit dem Titel "The Love of God" aus dem Jahr 2007: der mit mehr als 8.000 Diamanten besetzte Totenschädel, Schätzwert: 50 Millionen Pfund.
Er funkelt in einem schwarz verkleideten, abgedunkelten Raum in der Turbinenhalle der Tate, bewacht von Sicherheitskräften: Fotografieren verboten! Was ist dieser Schädel? Das Symbol unserer Zeit? Des Mythenmachers satirischer Kommentar auf den Kunstmarkt? Oder am Ende wirklich nur "Con Art", aber das vom Allerfeinsten?
Service:
Die Ausstellung "Damien Hirst" ist vom 4.4. bis zum 9.9.2012 in der Tate Modern in London zu sehen.
Spalding war Galeriedirektor in Glasgow, Sheffield und Manchester. In seinem Traktat zieht er gegen den Megastar der Kunstszene gewaltig vom Leder. Seine Thesen: Hirsts Kurswert tendiere gegen Null; was er mache, sei alles, nur keine Kunst; und selbstverständlich gehöre er auch nicht in die Tate.
"Con Art": Der Begriff steht für "kontemporär", "Konzept" und "to con", was so viel heißt wie "jemanden für dumm verkaufen". Ob Galeristen, Käufer oder Publikum: Im Fall Hirst, findet Spalding, sind wir alle die Gelackmeierten und die großen Verlierer.
Tate-Chef Sir Nicholas Serota hält nichts von der Hirst-Hass-Kampagne des Kollegen:
Das sage er seit fast 30 Jahren. Dabei habe Spalding mit zeitgenössischer Kunst kaum was am Hut. Er beschäftige sich nicht mit ihr und habe auch nur wenig Ahnung von der Materie. Nein, er nehme seine Äußerungen nicht allzu ernst.
Seit einem Vierteljahrhundert polarisiert Damien Hirst die Kunstwelt. Legendär ist sein Genie der Selbstvermarktung. Unter Umgehung von Auktionshäusern, Händlern und Galeristen erschließt er sich strategisch geschickt immer wieder neue Kundengruppen und Vertriebskanäle und bleibt so Herr über seine Wertschöpfungskette und sein Marken- und Marketingimperium.
Angesichts der Rekordsummen, die für Hirst gezahlt werden, fragt man sich freilich seit Jahren: Verstellen die gigantischen Dimensionen nicht den Blick auf das Wesentliche dieser Kunst? Nicholas Serota meint: keineswegs!
"Ein ähnliches Geschäftsgebaren warf man Andy Warhol auch schon vor. Nein, die Kunst steckt natürlich im Werk selbst, und für viele ist die Schau hier eine erste Gelegenheit, die Hirsts im Original kennenzulernen, sozusagen aus nächster Nähe."
Er selbst verstehe seine Midlife-Retrospektive in der Tate Modern nicht als eine "Revue der Greatest Hits", betonte Hirst in Interviews; vielmehr sei sie eine Art "Karte seines Lebens als Künstler". Aber was wäre eine solche "Road Map" zum Gesamtwerk ohne die Meilensteine einer beispiellosen Künstlerkarriere?
Allen voran natürlich der alte Hai in seinem Formaldehydtank. Er reißt immer noch sein Maul auf, wirkt aber inzwischen doch recht abgestanden. Mit dem Ungetüm wurde Hirst 1991 quasi über Nacht zum Star.
In Flüssigkeit präpariert für alle Ewigkeit sind auch sie: die Kühe und Kälber und ein einsames schwarzes Schaf, die einen längs zerlegt, das andere komplett. Im Kontrast dazu die Installation aus dem Jahr 1990 mit dem Titel "A Thousand Years": ein verwesender Rinderschädel, der zigtausenden Fliegen Nahrung spendet. Was beweist: Hirst versteht sich auf beides, auf Vitalität und Vergänglichkeit, Vanitas und Tod.
Für Tate Modern-Direktor Chris Dercon ist Hirst ein Mythenschöpfer und moderner Satyr, der mit seinem Gelächter den Göttervater Zeus in Rage versetzt:
"Aber dieses Lachen ist gesund, weil es reinigt. Wir brauchen solche Satiriker wie Hirst: Sie erklären uns unsere Existenz und sagen uns, was es heißt, Mensch zu sein."
Die Bedingungen des Menschseins, die Conditio Humana: Das ist eines der großen Themen des Künstlers. Ihm gelten auch seine anderen prominenten Arbeiten: die Sammlungen der Anatomiemodelle und chirurgischen Instrumente, die Pillenschränke und die auf Hochglanz polierten Goldvitrinen mit den perfekt angeordneten Zigarettenkippen.
Breiten Raum nehmen die berühmten "Spot" und "Spin Paintings" ein, für deren Anfertigung der Künstler zeitweise einen Stab von mehr als 100 Mitarbeitern beschäftigte. Ansonsten ist der Maler Hirst hier fast ganz ausgeklammert. Vielleicht war das Risiko denn doch zu hoch, denn mit seiner Londoner Ausstellung von Schädelbildern nach dem Vorbild Francis Bacons erntete Hirst letztes Jahr durchweg Verrisse.
Höhepunkt und das Juwel der Ausstellung ist Hirsts bis dato spektakulärstes Werk: sein Memento Mori mit dem Titel "The Love of God" aus dem Jahr 2007: der mit mehr als 8.000 Diamanten besetzte Totenschädel, Schätzwert: 50 Millionen Pfund.
Er funkelt in einem schwarz verkleideten, abgedunkelten Raum in der Turbinenhalle der Tate, bewacht von Sicherheitskräften: Fotografieren verboten! Was ist dieser Schädel? Das Symbol unserer Zeit? Des Mythenmachers satirischer Kommentar auf den Kunstmarkt? Oder am Ende wirklich nur "Con Art", aber das vom Allerfeinsten?
Service:
Die Ausstellung "Damien Hirst" ist vom 4.4. bis zum 9.9.2012 in der Tate Modern in London zu sehen.