Stefan Bošković: „Der Minister“

Parasiten im Schritt

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Cover von Stefan Boškovićs „Der Minister“.
© Eta Verlag

Stefan Bošković

Aus dem Montenegrinischen von Elvira Veselinović

Stefan BoškovićEta, Berlin 2022

202 Seiten

19,90 Euro

Von Roland Zschächner |
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Eine Schauspielerin in Montenegro stirbt und der neue, ambitionierte Kulturminister gerät deswegen unter Druck. Der Debütroman von Stefan Bošković beschreibt ein Land, in dem Korruption und Vetternwirtschaft zum Alltag gehören.
Auf den montenegrinischen Straßen, hinauf zu den schwarzen Bergen, kann es einem wegen der vielen Kurven schon mal flau im Magen werden. Auch in der Politik des Landes geht es hoch her, wie Stefan Bošković in seinem Debütroman „Der Minister“ zeigt. In flottem Tempo zeichnet der Autor neun Tage im Leben des Kulturministers Valentino Kovačević nach. Ein Sittengemälde der montenegrinischen Gesellschaft - zwischen Verrat, Korruption und der Suche nach Identität.

Die Realität wird zur Groteske

Eigentlich ist Kovačević, selbst aus der Kulturszene kommend, ein beliebter Politiker. Doch er gerät unter Druck, weil er trotz Warnungen die Performance einer Künstlerin besucht. Dabei geschieht ein tragischer Unfall, an dem der Minister beteiligt ist.
Zwar trifft ihn juristisch keine Schuld am Tod der Frau, doch moralisch sieht es anders aus. Nun scheinen seine Tage gezählt zu sind. Alle wollen etwas von ihm – der zwielichtige Investor, die orthodoxe Kirche, ein EU-Beamter und dann auch noch der über allem stehende Ministerpräsident. Letzterer bleibt zwar namenlos, doch ist die Figur deutlich an den seit drei Jahrzehnten über das Adrialand herrschenden Milo Đukanović angelehnt.
Und dann ist da noch die Presse, die sich auf den ehemaligen Theatermann eingeschossen hat, allen voran seine Ex-Frau Jasna und ihr neuer Mann Stefan Bošković. Ja, Bošković. Der Autor hat sich selbst in seinen Roman eingebaut.
Die montenegrinische Realität – einem Land mit rund 600.000 Einwohnern, wo fast jeder jeden kennt – wird so zur Groteske, die zuweilen ins Fantastische kippt. Immer wieder wird der Minister etwa in Tagträumen von der ums Leben gekommenen Künstlerin heimgesucht, er trifft auf Prostituierte, die vom Werk des Schriftstellers Junot Díaz schwärmen, oder er kämpft gegen Parasiten an, die ihn im Schritt befallen haben.

Spion für Brüssel

Zugleich ist „Der Minister“ auch Gesellschaftskritik. Wer als Künstler etwas werden will, muss wie Kovačević in die regierende Partei eintreten, sonst bleibt nur das prekäre Entlanghangeln von einem zum nächsten Projekt.
Anders steht es um die politische Klasse, die das Land zum eigenen Vorteil untereinander aufgeteilt hat und an deren Spitze der Premierminister steht. Wer einmal Teil des Systems ist, findet schwer heraus; als Ausweg scheint nur noch Verrat zu bleiben. Diesen begeht Kovačević, indem er sich einer ominösen EU-Agentur als Spion andient und diese mit Informationen versorgt.
Doch nach außen gibt sich der Minister als loyaler Bewahrer der nationalen Identität. Sie steht für ihn im Mittelpunkt, wenn er von Kultur spricht und dabei zugleich verschweigt, dass es um handfeste Interessen geht.
Im Hintergrund beginnt währenddessen, das überkommene Patriarchat zu bröckeln. Symbolisch steht dafür der plötzliche Tod des Vaters von Kovačević, der seinen Sohn zu Härte erziehen wollte, doch daran scheiterte, weil der sich lieber in die Obhut der Mutter begab. Es sind die Frauenfiguren wie Jasna oder die Assistentin Olivera, die eigentlich das Heft in der Hand haben.

Mit dem Literaturpreis der EU ausgezeichnet

Der Roman ist von Elvira Veselinović versiert ins Deutsche übertragen worden. Immer wieder wird die Geschichte von kontextualisierenden Rückblenden, autobiografischen Notizen oder zuweilen unfreiwillig komischen Internetkommentaren unterbrochen. Dabei zeigt sich die literarische Stärke Bošković’, der auch Dramaturg ist.
Wenig Gegenwartsliteratur aus Montenegro ist bislang auf Deutsch erschienen. Mit „Der Minister“ – der Roman erhielt 2020 den Literaturpreis der Europäischen Union – liegt nun ein ebenso politisches wie unterhaltsames Werk vor. Es gewährt einen Einblick in ein Land, das sich auch 30 Jahren nach dem Zerfall Jugoslawiens im Umbruch befindet.
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