Der Menschensammler

Von Johannes Halder · 29.11.2007
Das Kunstmuseum Stuttgart widmet unter dem Titel "Getroffen. Otto Dix und die Kunst des Porträts" erstmals den Porträts des Künstlers eine große Ausstellung. Sie werden zusammen mit beispielhaften Werken von Künstlern wie Lukas Cranach oder Andy Warhol gezeigt. Im Zentrum steht die Frage nach dem Bild des Menschen in der Moderne.
Bullig und breitbeinig sitzt der Schauspieler Heinrich George vor einer Wand, ein wilder, schrötiger Geselle in dunkelbraunem Lederhemd, und stiert mit dionysischem Blick sein Gegenüber an. Schön ist das Bildnis nicht, aber gut getroffen, und der Mime spielt auf dem Porträt von 1932 keine andere Rolle als die, die der Maler Otto Dix ihm zugewiesen hat. Typisch Dix, sagt Kurator Daniel Spanke, denn der Maler verstand sich keineswegs als Seelendeuter:

" Es interessiert ihn eigentlich gar nicht, wie jemand wirklich ist, ihn zu kennen, sondern für ihn ist die Oberfläche wichtig, für ihn ist das, was sichtbar ist, wichtig, davon geht er aus. Er geht also wirklich vom Auge aus, davon, wofür ein Künstler kompetent sein kann. Und das ist sehen. "

Das war nicht immer schmeichelhaft für den Betroffenen. Zum Beispiel, als er 1921 in Dresden seinen Freund und Förderer Fritz Glaser konterfeite, einen jüdischen Rechtsanwalt.

" Das Bild wurde im Hause Glaser niemals aufgehängt. Es war immer im Schrank versteckt, weil man das doch in der Familie eben nicht geschätzt hat. "

Keiner war sicher vor der treffenden Linie und dem "bösen Blick" des Malers, der überhaupt erstaunlich viel porträtierte.

" Er ist eigentlich ein Menschensammler. Er hat Typen gesammelt, Typen seiner Zeit. Und man sieht, dass die Porträts der Zwanziger spezifisch diese Typen der Zeit suchen. Ich glaube, kein Künstler hat so sehr unser Bild zum Beispiel der 20er Jahre geprägt wie Otto Dix, und die Porträts spielen da eben eine große Rolle."

Es ist eine grandiose Parade der Porträts, die das Stuttgarter Kunstmuseum da zelebriert, in einer Art Wohnzimmeratmosphäre mit historisierenden Sitzmöbeln und vor farbig tapezierten Wänden. 65 Mal die typischen Dix-Gesichter: die Fratzen und Fressen, die alten Weiber, die schwitzenden Bürger und fetten Kriegsgewinnler, die verarmten, schwindsüchtigen Künstler und die verhärmten Bettler, das traurige Fleisch der abgemagerten, abgehalfterten Huren, die versehrten, zerlumpten Soldaten, die hässlichen, hohläugigen Kinder, die hoffnungslos Schwangeren.

Man hat die Porträts nach Motiven sortiert und nach Geschlechtern getrennt: "Die Gezeichneten" heißt ein Raum, in dem Dix seine Zeitgenossen wie ein sozialer Spürhund beschnüffelt, es gibt ein Familien- und ein Herrenzimmer und in einem anderen hängen lauter Frauenbildnisse, darunter das der legendären Nackttänzerin Anita Berber, die das Laster lebte und daran zugrunde ging.

" Die Frauen sind für ihn erotische Wesen zunächst einmal. Er war ja durchaus sehr an Frauen interessiert, das ist kein Geheimnis. Er hat ja mal gesagt: Nee, in die kommunistische Partei tret ich nicht ein, das kostet 5 Mark, da geh ich lieber in den Puff! Und das sieht man ja auch der Anita Berber an. Dieses Spiel mit Verfall einerseits, mit dem sich selbst Zugrunderichten, was auch seine Hurenporträts haben, und auch dieser erotischen Affizierung, das fehlt bei den Männern vollkommen. "

Dem Dirnenmaler und Sexisten Dix gefielen in der Kunst wie im Leben die Hässlichen, von Not und Laster Entstellten. Und gerade ein Weibsbild wie Anita Berber war für Dix das sexuelle Raubtier, ein gefundenes Fressen.

" An diesem Mythos Anita Berber hat natürlich dieses Bild, das Dix ohne Auftrag gemalt hat, einen enormen Anteil gehabt. Davon profitiert dann auch ein Andy Warhol, der dann 1962 anfängt, Marilyn Monroe zum Beispiel zu malen im Jahr ihres Todes. "

Ja, auch Warhol gibt es hier zu sehen: eine Handvoll poppiger Porträts, zwar nicht von Marilyn, aber von Liz Taylor und Jackie Kennedy. Denn als Zugabe zeigt die Schau 85 Vergleichswerke, allen voran ein ägyptisches Mumienporträt, gefolgt von einigen Cranachs, dazu Bildnisse von Francis Bacon und Gerhard Richter, von Kirchner, Kokoschka, Felixmüller oder Hodler, aber auch von Fotografen wie August Sander, Thomas Ruff oder Wolfgang Tillmans. Selbst ein Obdachloser des Plastikers Duane Hanson sitzt uns leibhaftig gegenüber. Es sind vor allem solche Konfrontationen, aus denen die Schau ihre Spannung bezieht und ihren Erkenntniswert gewinnt.

" Die Zeitgenossen sind uns deshalb so wichtig, weil natürlich nur von unserer Zeit und von unseren bildlichen historischen Erfahrungen ein Licht auch auf Dix geworfen werden kann. "

Dix erweist sich in dieser Gesellschaft als erstaunlich modern, nicht zuletzt durch seine überraschenden Stilwechsel: Der splitternde Futurismus, der entlarvende Gestus seiner expressiven Phase, die Dada-Grotesken, und schließlich die sachliche, akademisch spitzpinselige Altertümelei, mit der Dix der Fotografie nacheifert, sie aber an Ausdruckskraft übertrifft.

" Für ihn war die altdeutsche Malerei ein Referenzpunkt. Er hat sich im Grunde genommen als neuer Cranach auch inszeniert, das geht bis in die Behandlung der Haare hinein. Das kann man in der Ausstellung zum ersten Mal wirklich gegenüber zusammen sehen und vergleichen. "

Ein Kuriosum sind zwei Zeichnungen, die der exilierte Kaiser Wilhelm II., der eigentlich lieber Künstler als Regent geworden wäre, in den 20er Jahren von seiner zweiten Frau Hermine angefertigt hatte.

" Er zeigt sie wie einen Berliner Vamp. Mit einem halben Handschuh, einem Schlangenarmband und einem unglaublich erotisierenden Blick. Und das Diadem, das sie trägt, sieht aus wie ein Moderfirlefanz. Das heißt, diese Wandlungen der sozialen Rollen machen auch vor dem Exponenten des deutschen Kaiserreichs Wilhelm II. nicht halt. "

Eine intime Männerphantasie, die zeigt, dass die gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit auch den abgedankten Hochadel erreichten. Der Kaiser als Künstler – und man kann sich lebhaft vorstellen, wie sein professioneller Kollege Dix die durchlauchte Dame wohl im Bild fixiert hätte.

Service:
Die Ausstellung "Getroffen – Otto Dix und die Kunst des Porträts" ist im Kunstmuseum Stuttgart bis zum 6. April 2008 zu sehen.