Der Mensch steht im Mittelpunkt
Die Foto-Serie "Wohnzimmer und Schlafzimmer", die Studie "Spuren der Macht" und die "Jüdischen Porträts" haben Herlinde Koelbl bekannt gemacht. Nun präsentieren die Berliner Festspiele im Martin-Gropius-Bau in Berlin unter dem Titel "Mein Blick – Herlinde Koebl" eine Retrospektive mit 400 Bildern - darunter Koelbls berühmte Porträts, Reportage-Aufnahmen und abstrakte Arbeiten.
"Ich glaube, ich lasse die Menschen wirklich so sein, wie sie sind, dass sie sich wohlfühlen. Wichtig ist, dass die Menschen nicht funktionieren müssen für die Kamera, dass sie das Gefühl haben, dass sie das bleiben dürfen, was sie sind. Und nicht irgendetwas tun müssen. Und von mir ist es ein ganz starkes Sich-Einlassen auf den anderen. Ein Dialog. Manchmal wortlos, manchmal direkt. Aber es muss eine offene, entspannte Atmosphäre sein."
1991 etwa entstehen Nacktfotos einer alten russischen Adligen. Herlinde Koelbl zeigt sie mit ihrer erschlafften Haut, den Falten und Runzeln, ohne sie jedoch zu entblößen. Und genauso schaut die Fotografin vor neun Jahren in die Schlafzimmer fremder Menschen hinein - ohne eine Spur von Voyeurismus. Den britischen Finanzberater und die malende Gattin "ertappt" sie etwa beim Frühstück im Bett, beide mit Telefonhörer am Ohr, er mit Aktenkoffer, sie mit Mops ist es ein Bild vertrauter Zweisamkeit. Ganz weit entfernt dagegen das Berliner Rentnerpaar, das angekleidet und voneinander abgewandt auf der jeweiligen Bettkante sitzt. Bedrückend auch das Foto zweier älterer Damen im Tanzcafé. Offensichtlich unaufgefordert geblieben, sitzen sie beide vor einem Glas Wein - im verlegen zur Seite schweifenden Blick eine Mischung aus enttäuschter Hoffung und Resignation. Dass Herlinde Koelbl genau in diesem Moment auf den Auslöser drückt, zeigt, dass sie genau weiß, was sie tut, dass sie spürt, worauf sie wartet. Ihre Fotos sind keine Schnappschüsse, sondern die Ergebnisse einfühlsamer Beobachtung.
Genauso bei der zwischen 1991 und 2006 entstandenen Serie "Spuren der Macht". Diese berühmt gewordene Folge von Politikerportraits darf natürlich bei einer Retrospektive nicht fehlen. Und so trifft man im Martin-Gropius-Bau auf Joschka Fischer, im Auf und Ab, im dick und dünn seiner Karriere. Man sieht Angela Merkel als unsicher und dabei offen lächelnde junge Frau im viel zu weitem Blazer und später als unnahbar scheinende Kanzlerin.
Und Gerhard Schröder. 1998 triumphiert er noch in Männermodelpose mit Zigarre in der Hand - 2005 steht ihm dann die ungeschminkte Wahrheit des Machtverlustes ins zerfurchte Gesicht geschrieben.
"Eigentlich ist es ja auch sympathisch und schön, wenn jemand noch zeigt, dass er sich freut, dass er es geschafft hat. Das heißt, dass er sich noch nicht so versteckt. Viel zu viele verstecken sich ja. Dann, 2005, da sieht man auch, dass Wahlkampf eine solche Belastung ist, physisch einen wirklich auslaugt. Und dann 2006: da hat er den Schmerz des Verlustes einigermaßen überwunden. Und da ist er viel entspannter, lockerer. Er lächelt ein bisschen wieder. Es ist etwas abgefallen von ihm. Und das finde ich so wunderbar, dass man diese Dinge sieht."
Der Mensch steht im Mittelpunkt von Koelbls Werk, das neben Auftrags- und künstlerischer Fotografie auch Filme und Gespräche mit den jeweiligen "Modellen" umfasst. Gespräche, aus denen neben den Fotos Zitate zu lesen sind.
Manchmal aber geht es auch ohne den Menschen. So zeigt die Ende Oktober 1939 in Lindau geborene Koelbl in der von ihr selbst konzipierten, dicht und doch nie überladen wirkenden Schau auch vor neun Jahren entstandene Aufnahmen von Asphaltstücken. Die Risse darin werden gemeinsam mit den Überresten der Fahrbahnmarkierungen zu abstrakten Bildern. Auch wenn diese Aufnahmen schwächer wirken als Koelbls intensive Portraits, so stehen sie doch für ihr Credo, immer wieder neue, eigene Wege zu gehen. Genauso wie die Tochter eines Bauern es tat, als sie nach einer Ausbildung als Modedesignerin und nach Jahren als Hausfrau und Mutter von vier Kindern Mitte der 70er-erstmals eine Kamera in Händen hielt:
"Ich hatte keine Lehrer. Aber ich hatte mich intuitiv damals bei dem ersten Bild, wo ich meine Kinder beim Gummitwist fotografiert hatte, gleich auf die Wiese gesetzt, um bei ihnen zu sein, Teil des Geschehens zu sein. Und das, was ich damals gemacht hatte, dass ich dabei bin und irgendwann mal auch Teil des Spiels bin, das hat sich durchgezogen durch die ganze Arbeit. Dass ich versuche, nicht nur distanziert zu sein, sondern wirklich interessiert bin und dabei bin und mich aber auch den Emotionen der anderen aussetze."
Es ist dieses Sich-Einlassen auf die Abgebildeten, diese Lebendigkeit der Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos, die dem Besucher der Ausstellung immer wieder das Gefühl vermitteln, den Menschen auf den Bildern wirklich zu begegnen, in Details und Totalen Geschichten zu entdecken. So dass "Mein Blick" von Herlinde Koelbl dem Betrachter viele eigene, ganz besondere Blicke ermöglicht.
Service:
Herlinde Koelbl: Fotografien 1976 - 2009
17. Juli bis 1. November 2009
Martin-Gropius-Bau, Berlin
1991 etwa entstehen Nacktfotos einer alten russischen Adligen. Herlinde Koelbl zeigt sie mit ihrer erschlafften Haut, den Falten und Runzeln, ohne sie jedoch zu entblößen. Und genauso schaut die Fotografin vor neun Jahren in die Schlafzimmer fremder Menschen hinein - ohne eine Spur von Voyeurismus. Den britischen Finanzberater und die malende Gattin "ertappt" sie etwa beim Frühstück im Bett, beide mit Telefonhörer am Ohr, er mit Aktenkoffer, sie mit Mops ist es ein Bild vertrauter Zweisamkeit. Ganz weit entfernt dagegen das Berliner Rentnerpaar, das angekleidet und voneinander abgewandt auf der jeweiligen Bettkante sitzt. Bedrückend auch das Foto zweier älterer Damen im Tanzcafé. Offensichtlich unaufgefordert geblieben, sitzen sie beide vor einem Glas Wein - im verlegen zur Seite schweifenden Blick eine Mischung aus enttäuschter Hoffung und Resignation. Dass Herlinde Koelbl genau in diesem Moment auf den Auslöser drückt, zeigt, dass sie genau weiß, was sie tut, dass sie spürt, worauf sie wartet. Ihre Fotos sind keine Schnappschüsse, sondern die Ergebnisse einfühlsamer Beobachtung.
Genauso bei der zwischen 1991 und 2006 entstandenen Serie "Spuren der Macht". Diese berühmt gewordene Folge von Politikerportraits darf natürlich bei einer Retrospektive nicht fehlen. Und so trifft man im Martin-Gropius-Bau auf Joschka Fischer, im Auf und Ab, im dick und dünn seiner Karriere. Man sieht Angela Merkel als unsicher und dabei offen lächelnde junge Frau im viel zu weitem Blazer und später als unnahbar scheinende Kanzlerin.
Und Gerhard Schröder. 1998 triumphiert er noch in Männermodelpose mit Zigarre in der Hand - 2005 steht ihm dann die ungeschminkte Wahrheit des Machtverlustes ins zerfurchte Gesicht geschrieben.
"Eigentlich ist es ja auch sympathisch und schön, wenn jemand noch zeigt, dass er sich freut, dass er es geschafft hat. Das heißt, dass er sich noch nicht so versteckt. Viel zu viele verstecken sich ja. Dann, 2005, da sieht man auch, dass Wahlkampf eine solche Belastung ist, physisch einen wirklich auslaugt. Und dann 2006: da hat er den Schmerz des Verlustes einigermaßen überwunden. Und da ist er viel entspannter, lockerer. Er lächelt ein bisschen wieder. Es ist etwas abgefallen von ihm. Und das finde ich so wunderbar, dass man diese Dinge sieht."
Der Mensch steht im Mittelpunkt von Koelbls Werk, das neben Auftrags- und künstlerischer Fotografie auch Filme und Gespräche mit den jeweiligen "Modellen" umfasst. Gespräche, aus denen neben den Fotos Zitate zu lesen sind.
Manchmal aber geht es auch ohne den Menschen. So zeigt die Ende Oktober 1939 in Lindau geborene Koelbl in der von ihr selbst konzipierten, dicht und doch nie überladen wirkenden Schau auch vor neun Jahren entstandene Aufnahmen von Asphaltstücken. Die Risse darin werden gemeinsam mit den Überresten der Fahrbahnmarkierungen zu abstrakten Bildern. Auch wenn diese Aufnahmen schwächer wirken als Koelbls intensive Portraits, so stehen sie doch für ihr Credo, immer wieder neue, eigene Wege zu gehen. Genauso wie die Tochter eines Bauern es tat, als sie nach einer Ausbildung als Modedesignerin und nach Jahren als Hausfrau und Mutter von vier Kindern Mitte der 70er-erstmals eine Kamera in Händen hielt:
"Ich hatte keine Lehrer. Aber ich hatte mich intuitiv damals bei dem ersten Bild, wo ich meine Kinder beim Gummitwist fotografiert hatte, gleich auf die Wiese gesetzt, um bei ihnen zu sein, Teil des Geschehens zu sein. Und das, was ich damals gemacht hatte, dass ich dabei bin und irgendwann mal auch Teil des Spiels bin, das hat sich durchgezogen durch die ganze Arbeit. Dass ich versuche, nicht nur distanziert zu sein, sondern wirklich interessiert bin und dabei bin und mich aber auch den Emotionen der anderen aussetze."
Es ist dieses Sich-Einlassen auf die Abgebildeten, diese Lebendigkeit der Farb- und Schwarz-Weiß-Fotos, die dem Besucher der Ausstellung immer wieder das Gefühl vermitteln, den Menschen auf den Bildern wirklich zu begegnen, in Details und Totalen Geschichten zu entdecken. So dass "Mein Blick" von Herlinde Koelbl dem Betrachter viele eigene, ganz besondere Blicke ermöglicht.
Service:
Herlinde Koelbl: Fotografien 1976 - 2009
17. Juli bis 1. November 2009
Martin-Gropius-Bau, Berlin