Der Mensch - Schmied seines Glücks?

Von Sibylle Tönnies |
"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern." -Bis heute steht dieses Marx-Wort im Eingang der Berliner Humboldt-Universität. Aus Taktgefühl hat man es dort stehen gelassen. Aber man glaubt nicht mehr daran.
Im Gegenteil haben sich die Philosophen in den letzten Jahrzehnten um den Nachweis bemüht, dass die Welt nicht zu ändern sei, und sie haben dabei die verschiedensten Argumente eingesetzt. Dominierend war dabei die Behauptung der Systemtheorie, dass die Verhältnisse eine unbeherrschbare Eigendynamik besäßen, dass sie selbstläufig funktionierten und unregierbar seien. Was wir altmodischer Weise unter Zielen und Zwecken verstehen – Endpunkte absichtlich angestoßener Kausalketten - hat sich in dieser Forschung als Trug erwiesen. Veränderung ist die Bewegung überpersönlicher Systeme, die nur ein Ziel haben: sich selbst. Sie wollen sich selbst erhalten, sonst nichts.

Und das ist nach dieser Auffassung auch gut so. Denn eine Zweckorientierung, die mehr will als die Erhaltung des jeweiligen Systems, kann nur Schaden anrichten. Die Verhältnisse sind zu komplex, als dass sie von außen her gesteuert werden könnten; jede Einwirkung zerstört die Automatik, die die Abläufe von innen her reguliert. Interventionen von außen – seien sie auch noch so gut gemeint - haben unbeherrschbare Nebeneffekte. "Komplexität" war lange Zeit der Schlüsselbegriff, mit dem die Unmöglichkeit zweckgerichteter Planung begründet wurde, dann trat Niklas Luhmann mit dem Begriff der "Autopoiesis" auf, mit dem er den Drang der Systeme, sich selbst zu erhalten, bezeichnete. Und wenn dieser Begriff auch nicht mehr in Mode ist, so ist die Denkweise, die ihn bestimmt hat, doch Ausdruck des Zeitgeistes, wie er bis heute unangefochten ist.

Die alte wirtschaftsliberale Überzeugung, dass die Unternehmer am besten unreguliert ihren Egoismus befriedigen und das Allgemeinwohl von einer unsichtbaren Hand automatisch hergestellt wird, wurde übertragen auf alles Geschehen.

Nur Toren wollen noch die Welt verändern. Wer davon nicht durch die Systemtheorie belehrt wurde, glaubt nicht daran, dass die Menschen überhaupt einen freien Willen haben. Die Gehirnforscher können ja auf dem Bildschirm schon sehen, was wir vorhaben, noch bevor wir bewusst daran gedacht haben. Das animiert nicht zu Welt-Verbesserung. Oder man wird vom Konstruktivismus belehrt: auch dann verhält man sich lieber still. Man meint in dieser Denkwelt, dass die Dinge nur Bilderwelten seien, kulturell so überformt, dass das "Ding an sich" nicht erkennbar ist. Eine alte Grundfigur der Philosophie tritt in immer neuen Gestalten auf, die immer dieselbe Wirkung haben: den Menschen das Vertrauen in die Wahrheit ihrer Erkenntnis, die Richtigkeit ihrer Bewertungen und die Verlässlichkeit ihrer Impulse zu nehmen. Unter solchen Auspizien steht Veränderung nicht an. Zynismus ist deshalb die Pose des Belehrten.

Aber auch die Wohlmeinenden sind davon erfasst. Wenn sie sich von den Zynikern dadurch unterscheiden, dass sie das Richtige dem Falschen und das Gute dem Bösen vorziehen, so bewegen doch auch sie sich in dem defätistischen Fahrwasser. Denn sie sehen das Böse überall dort, wo Menschen am Wirken sind. "Macht euch die Erde untertan!" dieses Psalmwort drückt für sie der Anfang allen Übels aus.

Je wirkungsvoller menschliches Eingreifen ist, je machtvoller es gebündelt ist, desto mehr verstehen sie es als "Imperialismus". Nein, vom Menschen kann man nichts erwarten. Am besten ist, er verhält sich still. Quietismus nannte man diese Haltung in früheren Zeiten.

In diese mentale Grundsituation ist jetzt eine Nachricht getreten: die Erdhülle wird zu warm. Wenn man die Verhältnisse weiter sich selbst überlässt, kommt es zu Katastrophen, denen sich niemand entziehen kann: Überschwemmungen, Versteppungen, Hungersnöte, Kriege. Niemand kann die Welt retten: nur der Mensch.

Macht euch die Erde untertan! ist das Gebot der Stunde. Denn plötzlich muss planendes Handeln einen hyperkomplexen Vorgang erfassen, der die Menschheit noch nie etwas anging, dem sie unterworfen war wie dem Wetter – würde man sagen, wenn es nicht tatsächlich ums Wetter ginge. Eine gezielte, zentrierte, geplante, koordinierte Großaktion ist gefragt, wie sie der Menschheit noch nie vor Augen stand.

Vielleicht stimmt es ja gar nicht. Vielleicht handelt es sich bei der Furcht vor der globalen Erwärmung um eine menschheits-kollektive Psychose. Auch in diesem Fall aber ist der Kontrast zwischen der quietistischen philosophischen Grundhaltung zu dem neuerdings angenommenen Handlungsbedarf bemerkenswert. Seit sogar George W. Bush an Global Warming glaubt, ist ein Sachverhalt geschaffen, der auch von der Philosophie nicht mehr ignoriert werden kann. Sie muss den kollektiven Homo faber entdecken: die Menschheit als den Schmied ihres Glückes.

Sibylle Tönnies, 1944 in Potsdam geboren, studierte Jura und Soziologie. Sie arbeitete zunächst als Rechtsanwältin und war Professorin im Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Bremen. Heute unterrichtet sie an der Universität Potsdam. Zu ihren zahlreichen Veröffentlichungen zählen die Bücher "Der westliche Universalismus", "Linker Salon-Atavismus" und "Pazifismus passé?".