"Der Mensch nimmt sich im System Erde zu wichtig"

Moderation: Christine Deggau |
Nach Einschätzung des Paläontologen Volker Mosbrugger ist der Klimawandel nur eines von mehreren großen Umweltproblemen. Der Direktor des Senckenberg-Forschungsinstituts in Frankfurt am Main äußerte sich kurz vor der Veröffentlichung des dritten Berichts des UN-Klimarates. Landverbrauch sei ebenso ein entscheidendes Problem. Zudem würden etwa 100 Arten pro Tag aussterben, sagte Mosbrugger.
Christine Deggau: Morgen wird in Bangkok der dritte Teil des aktuellen UN-Klimaberichts vorgelegt. Darin haben Experten aus der ganzen Welt zusammengetragen, was man tun muss, um die Folgen des Klimawandels zu stoppen. Das Klima wird zunehmend zum Thema: Dürre in Deutschland, und das im April, Kälte in den südlichen Regionen Europas, da kann niemand mehr wirklich wegkucken. Doch für den Direktor des Frankfurter Senckenberg-Instituts, Professor Volker Mosbrugger, ist der Klimawandel selbst nur Teil eines globalen Problems, für das eine Lösung gefunden werden muss, um die Bewohnbarkeit unseren Planeten Erde zu garantieren. Er fordert die Entwicklung eines Erdsystem-Managements. Darüber möchte ich jetzt mit ihm sprechen. Herr Mosbrugger, guten Tag.

Volker Mosbrugger: Guten Tag.

Deggau: Gehen wir gleich mal in medias res: Was ist denn ein Erdsystem-Management?

Mosbrugger: Das Grundprinzip ist einfach, die Realität ist natürlich kompliziert. Wenn wir wissen, dass die Erde eigentlich ein ganz kompliziertes System ist aus vielen einzelnen Komponenten – das spielt die Atmosphäre eine Rolle, da spielt die Lebewelt, die Biosphäre, eine Rolle, die Ozeane, die Eismassen –, und all diese Komponenten sind vernetzt und bilden ein System. Wann immer Sie eine Komponente verändern, also jetzt etwa die Atmosphäre, hat das Konsequenzen für das gesamte System.

Und wenn wir mit so einem komplexen System wie mit der Erde umgehen, müssen wir auch letztlich das komplexe System behandeln, wenn wir etwas ändern wollen. Das heißt, heute geht es eben nicht nur darum, mit der Atmosphäre etwas zu tun, so dass der Klimawandel nicht diese dramatischen Konsequenzen hat, wie wir vorhersehen. Sondern es geht wirklich auch darum, das gesamte System Erde letztlich im Blick zu haben.

Deggau: Zu dem gesamten System gehört auch der Mensch, und doch sagen Sie, es sei grundsätzlich falsch, das Wohlergehen der Erde und das Wohlergehen des Menschen gleichzusetzen. Anders gesagt übersetze ich jetzt mal: Wir denken zu kurz und wir nehmen uns zu wichtig.

Mosbrugger: Richtig. Ich glaube, dass wir doch immer noch sehr in einem anthropozentrischen Weltbild verhaftet sind. Der Mensch, die Krone der Schöpfung – formal sagen wir immer, wir haben das inzwischen verstanden, wir sind nur eine Art von vielen. Realiter ist es aber dann doch anders: Wir nehmen immer wieder den Menschen als das Element, das den Maßstab letztlich bildet für alles.

Und ich glaube, dass das falsch ist, weil es uns auch den Blick verstellt für die natürlichen Entwicklungen, die einfach in dem System Erde auch immer vorgegeben sind. Und da ist der Mensch eben nur eine von vielleicht zwei Millionen oder zehn Millionen Arten mit einem Leberecht wie andere Arten eben auch, aber auch nicht als etwas so besonders Herausragendes, wie wir das vielleicht gerne hätten.

Deggau: In einem Artikel schreiben Sie, dass der Mensch sehr eitel sei und sich Homo sapiens nennt, es aber eigentlich gar nicht verdient, sich als Wissenden zu bezeichnen, da er ja sozusagen offenen Auges in das Unglück rennt und die Erde mit sich zieht.

Mosbrugger: Ja, ich denke, der Mensch ist sicher schon ein wissender Mensch insofern, als er Dinge verstehen kann, die keine andere Art – zumindest soweit wir das wissen – verstehen kann. Auf der anderen Seite ist er aber nicht so vernunftbegabt, wie wir es eigentlich gerne hätten.

Wenn Sie sich nur die Diskussion um den Klimawandel anschauen, dann hat es eben doch über 17 Jahre gedauert, bis nun endlich verstanden wird, dass Klimawandel tatsächlich stattfindet. Wenn Sie sich die Aussagen dieses Intergovernmental Panel on Climate Change anschauen, dann sagen die seit 17 Jahren nichts grundsätzlich Neues. Und trotzdem ist es erst jetzt eigentlich in das Bewusstsein der Leute, der breiten Bevölkerung, so eingedrungen, und eben auch in der Politik.

Deggau: Der UN-Klimabericht, der am Freitag vorgelegt wird, sagt, wir haben noch 15 Jahre, um den Klimawandel aufzuhalten. Wenn wir nichts tun bis dahin, womit müssen wir denn dann rechnen?

Mosbrugger: Die meisten Leute gehen inzwischen natürlich davon aus, es wird zu einer Erwärmung kommen in der Größenordnung von drei Grad vielleicht im Durchschnitt über die nächsten 100 Jahre. Das wird an einzelnen Stellen wesentlich mehr sein, insbesondere in den hohen Breiten, in anderen Regionen, etwa in den Tropen, wird es weniger sein. Es wird Verschiebungen des Wasserkreislaufes geben, verschiedentlich wird geschätzt, dass gerade die subtropischen Regionen, also auch das Mittelmeergebiet, trockener werden. Das heißt, wir müssen uns schon drauf einstellen, dass unsere Umwelt sich ganz signifikant verändern wird.

Das wird nicht die große Katastrophe sein wie eine Sintflut oder wie es Roland Emmerich in seinem Film seinerzeit gezeigt hat, aber es wird eben doch eine schleichende und sehr deutliche Veränderung nicht nur des Klimas, sondern auch der Umwelt und damit der Zivilisation zur Folge haben. Und man darf auch nicht vergessen, dass Kohlendioxid ist nicht das einzige Problem, das wir haben. Landverbrauch ist ein ganz entscheidendes Problem. Wir verbrauchen Oberfläche, zerstören Umwelt, zerstören Wälder. Wir haben Artenverluste, die enorm sind. Es wird geschätzt, dass 100 Arten letztlich pro Tag aussterben. Das heißt, der Klimawandel ist eben auch nur eines unserer großen Probleme.

Deggau: Kommen wir noch mal auf den UN-Klimabericht zu sprechen, Herr Mosbrugger. Am Freitag wird er vorgelegt, und die Ergebnisse bringen, wie zu hören ist, wenig Neues. Der Tenor: Der Mensch verstärkt den Treibhauseffekt, erhitzt den Planeten mit unabsehbaren Folgen. Das wissen wir ja schon lange. Wofür brauchen wir einen Klimabericht, an dem rund 2.500 Menschen seit über sechs Jahren arbeiten, wenn dann solche Ergebnisse wieder rauskommen?

Mosbrugger: Das, was nachher zur Umsetzung führen muss, sind ja die ganz konkreten Daten auch für die einzelnen Regionen. Und da gibt es ganz erhebliche Fortschritte, gerade was auch die Präzisierung und die Zuverlässigkeit der Aussagen anbelangt. Was sich nicht grundsätzlich geändert hat, ist die Kernaussage: Der Mensch ist verantwortlich für einen deutlich beobachtbaren Klimawandel. Was sich deutlich verändert hat, ist die Sicherheit unserer Vorhersagen oder auch die Präzision bezogen auf die einzelnen Regionen. Und das ist etwas, was grundsätzlich gilt.

Nach wie vor sind unsere Aussagen für einzelne Regionen – also wenn Sie sagen, mich interessiert, was passiert in Hessen oder in Berlin –, die sind sehr viel schwieriger zu machen als Aussagen für das globale Mittel. Im globalen Mittel werden drei bis vier Grad wärmer werden. Das sind Aussagen, die sehr viel leichter zu treffen sind, als zu sagen, was wird mit der Sahara passieren, was wird mit dem Mittelmeer passieren, was wird mit der Bundesrepublik passieren. Und dafür brauchen wir nach wie vor intensive Forschung, gerade was auch die Folgen anbelangt. Also was für Konsequenzen hat das eigentlich für die Umwelt, wenn es feuchter wird an einer Stelle, trockener an einer anderen, wärmer an einer dritten.

Deggau: Und das leistet dieser Klimabericht der UN?

Mosbrugger: Dieser Klimabericht ist ja aus mehreren Teilstücken zusammengesetzt. Der erste Bericht, der bereits im Februar vorgelegt worden ist, der gibt die physikalischen Grundlagen, die Prognosen für das Klima. Das, was wir jetzt erwarten für den Freitag, da geht es eigentlich um die Mitigation, also um die Schadensminderung. Wie kann ich eigentlich mit dem Klimawandel umgehen, was muss ich machen, um die Konsequenzen so minimal wie möglich zu halten. Und da wird es vor allem um Maßnahmen gehen, die wir auf der technischen Seite, aber eben auch im Bereich Forstwirtschaft und im Bereich Landwirtschaft tun können. Und da erwarte ich schon ganz grundsätzliche Aussagen, die für die Politik als auch für die Regionalpolitik nachher wichtig sind.

Deggau: Frau Merkel beteuert ja auch die ganze Zeit, dass sie es jetzt begriffen hat. Das Leben auf der Erde ändert sich – Sie haben es eben schon gesagt, dass täglich rund 100 Arten aussterben. Etwas naiv gefragt: Gibt es denn vielleicht so etwas wie allmähliche Rundum-Erneuerung der Erde, wozu auch gehören könnte, dass die dominante Spezies Mensch irgendwann einer anderen weichen wird?

Mosbrugger: Die Erde ist ja nie stabil gewesen und wird es auch nie sein. Durch die Tätigkeit des Menschen ist diese natürliche Veränderung ganz sicher beschleunigt worden, und zwar ganz erheblich beschleunigt. Völlig unabhängig, ob der Mensch etwas tut oder nicht, kann man schon voraussagen, dass auch die Lebensdauer der Art Mensch begrenzt ist.

Wir wissen aus der Säugetier-Paläontologie, dass eine durchschnittliche Säugetierart etwa eine Lebensdauer von einer Million Jahre hat im Durchschnitt, den Menschen gibt es vielleicht seit 100.000 Jahren, vielleicht auch seit 200.000 Jahren, das heißt, rein biologisch gesehen würden wir erwarten, dass der Mensch schon noch ein paar 100.000 Jahre leben kann. Aber einfach von der Evolution her gesehen muss man damit rechnen, dass auch die Art Mensch natürlich sich wandelt und irgendwann vom Aussterben betroffen ist.

Deggau: Sie sagen ja, der Mensch wird das Problem des Klimawandels nicht lösen können. Wer dann?

Mosbrugger: Nein, ich glaube schon, dass der Mensch das Problem Klimawandel nicht lösen kann, aber bewältigen kann. Ich denke, es ist ganz wichtig zu verstehen, dass der Klimawandel vom Menschen gemacht ist, aber ist auch durch den Menschen beherrschbar. Und zwar beherrschbar insofern, dass der Planet Erde auch langfristig bewohnbar bleibt, auch bewohnbar für einen Menschen.

Das heißt, meine Aussage ist eigentlich die: Der Klimawandel ist ganz wesentlich eine technologische Frage. Wir müssen unsere Vernunft einsetzen, wir können wir das, was wir an Energie, an Ressourcen aus unserem Planeten Erde herausziehen, so tun, dass eben auch langfristig der Planet bewohnbar, und zwar angenehm bewohnbar für alle bleibt. Und genau ist das, was letztlich dieses Erdsystem-Management, was also die Gesamtheit der Probleme betrachtet, auch leisten soll.

Deggau: Professor Volker Mosbrugger vom Frankfurter Senckenberg-Institut, ich danke Ihnen für das Gespräch.