Der "Meister von Montauban"
Nach fast 40 Jahren gibt es in Frankreich wieder eine große Ausstellung mit Werken von Jean Auguste Dominique Ingres (1780-1867). Im Pariser Louvre gibt es nicht nur ein Wiedersehen mit berühmten Werken wie "Die Badende von Valpençon" oder "Die große Odaliske". Insgesamt 180 Gemälde und Zeichnungen werfen auch ein neues Licht auf den "Meister von Montauban".
Die monumentale Werkschau empfängt uns mit zwei monumentalen Werken, die am Eingang Spalier stehen. Ingres hat sie innerhalb von nur zwei Jahren gemalt, doch Farbgebung, Maßstab der Personen, Tiefenschärfe und Atmosphäre könnten unterschiedlicher nicht sein. Zur Rechten "Jupiter und Thetis" mit einer wunderschönen, sinnlichen und langgestreckten Frau, die Jupiter mit einer fast frivolen Geste anfleht, ihren Sohn zu retten. Auf der Linken ein Deckengemälde für das Schlafzimmer Napoleons, auf dem der schlafende Dichterheld Ossian im Mondschein träumt. Die Ausstellung zeigt erstmals sämtliche Facetten des Künstlers und Kurator Louis-Antoine Prat verspricht einen Ingres, wie wir ihn noch nie gesehen haben:
"(…) Ich glaube, dass wir eine erneuerte Sicht auf Ingres präsentieren, denn seit der letzten Retrospektive vor 40 Jahren hat sich die Kunstgeschichte stark verwandelt: wie hat er die Frauen gesehen, wie stand er der Geschichte gegenüber, welche Beziehungen zur Politik unterhielt er? Es gibt viele Themen, die vor 40 Jahren nicht behandelt worden sind und die heute auf viel Interesse stoßen. Ich glaube, dass wir einen neuen Ingres präsentieren."
Die kunstgeschichtliche Literatur beseitigte in den vergangenen Jahren bereits viele Klischees über Ingres, aber erstmals können fest verankerte Vorurteile mit Hilfe einer Retrospektive aus dem Weg geräumt werden. Die Ausstellung überzeugt dabei durch Vielfalt. Etwa wenn Ingres Ruf als "Maler der Grautöne" und als Antithese des flammenden Kolorits Delacroix' farbenträchtige "Troubadour" Malereien und Aquarell-Arbeiten von Ingres entgegengestellt werden. Ingres wird immer noch vielfach als akademischer Künstler gesehen. Tatsächlich folgte er zwar den damaligen Regeln der neoklassischen Malerei, überschritt sie dabei jedoch ständig:
"…Delacroix, den man immer als Anführer der Romantiker präsentierte, sagte von sich: 'Ich bin ein reiner Klassiker', und Ingres, der immer Klassiker sein wollte, war letztlich ein ständig von der Norm abweichender, seltsamer, voller Überraschungen steckender Künstler."
Erstaunlich ist beispielsweise, wie vielen Einflüssen Ingres unterlegen ist. Die zusammen getragenen Gemälde und Zeichnungen lassen keinen Zweifel daran, dass er längst nicht nur von der Antike und Raffael geprägt worden ist, wie Ingres selbst immer kategorisch behauptet hatte:
"Die Ausstellung zeigt, dass ihm die Werke vieler anderer Meister eine Lehre waren. Letztlich dienten ihm genauso Werke von Jean Goujon als Vorbild wie Charles Dorigny, Poussin oder - was sehr überraschend ist - Watteau. Wir wissen heute, dass er Watteau liebte und sämtliche seiner Stiche studierte, die in seinem Besitz waren. Er hat selbst die Meister des florentinischen Quattrocento kopiert und die letzte Zeichnung, die er 30 Tage vor seinem Tod angefertigt hat, ist eine Komposition nach Giotto. Der Umfang seiner Einflüsse, seine visuelle Kultur, sind sehr weitreichend."
Um einen neuen Blick auf Ingres Werke zu bekommen, neue Eindrücke zu erlauben, reicht es oftmals aus, ein Gemälde an eine andere Stelle zu platzieren, erzählt Kurator Louis-Antoine Prat. Ingres gigantische "Romulus"-Freske hängt beispielsweise immer im Louvre, allerdings normalerweise in sechs Metern Höhe und nicht wie jetzt wenige Zentimeter über dem Boden. Resultat: die sich aufbäumenden Pferde, die brennende Festung und blutenden Körper gleichen nunmehr eher einem Kinofilm als einem Gemälde:
"… Das ist eine immens große Bild-Komposition, wie eine Kino-Großleinwand, das ganze konzipiert wie ein griechisches Flachrelief, das heißt sämtliche Figuren befinden sich auf der gleichen Ebene. Das Werk ist mit Wasserfarben gemalt, also mit einem sehr flachen Ausdruck, wie eine Freske. Das kündigt bereits die Malerei der 30er Jahre an. … eine sehr figürliche, flache Malerei."
Moderne Anklänge, die auch in vielen seiner Zeichnungen stecken. Ohnehin sind viele der nun neu präsentierten Erkenntnisse eher in den Zeichnungen versteckt als in berühmten Gemälden wie "Die große Odalisk" oder "Die Badende von Valpençon":
"Er machte auch viele Collagen - das mag verwundern - aber das kündigt bereits Matisse und Picasso an. Ingres machte viele Collagen anhand seiner Zeichnungen. Er vereinigte sie, stückelte sie aneinander, um daraus seine neuen Kompositionen anzufertigen. Das ist eine Technik, die natürlich extrem modern ist und bislang nicht gezeigt worden ist."
"Die kleinen Tänzerinnen" von Dégas stecken bereits in Ingres Porträt der "Schwestern Montagu", Picasso hatte sich selbst einmal als "Monsieur Ingres" bezeichnet, Rauschenberg huldigte Ingres "Odaliske" mit einem ausgestopften Hahn. Der 1867 verstorbene Ingres bleibt weiterhin ein äußerst moderner Zeitgenosse:
"Der Einfluss ist enorm. … Cindy Sherman hat Photos angefertigt, auf denen sie die Pose eines Ingres-Modells einnimmt, Bacon hat in seinen Gemälden oft Ingres verwendet, ihn oft zitiert. Botero hat großformatige Interpretationen der 'Mademoiselle Rivière' angefertigt, David Hockney war ein leidenschaftlicher Ingres-Fan und hat ganze Theorien über Ingres verfasst. Viele zeitgenössische Künstler lieben Ingres und sind leidenschaftliche Anhänger."
"(…) Ich glaube, dass wir eine erneuerte Sicht auf Ingres präsentieren, denn seit der letzten Retrospektive vor 40 Jahren hat sich die Kunstgeschichte stark verwandelt: wie hat er die Frauen gesehen, wie stand er der Geschichte gegenüber, welche Beziehungen zur Politik unterhielt er? Es gibt viele Themen, die vor 40 Jahren nicht behandelt worden sind und die heute auf viel Interesse stoßen. Ich glaube, dass wir einen neuen Ingres präsentieren."
Die kunstgeschichtliche Literatur beseitigte in den vergangenen Jahren bereits viele Klischees über Ingres, aber erstmals können fest verankerte Vorurteile mit Hilfe einer Retrospektive aus dem Weg geräumt werden. Die Ausstellung überzeugt dabei durch Vielfalt. Etwa wenn Ingres Ruf als "Maler der Grautöne" und als Antithese des flammenden Kolorits Delacroix' farbenträchtige "Troubadour" Malereien und Aquarell-Arbeiten von Ingres entgegengestellt werden. Ingres wird immer noch vielfach als akademischer Künstler gesehen. Tatsächlich folgte er zwar den damaligen Regeln der neoklassischen Malerei, überschritt sie dabei jedoch ständig:
"…Delacroix, den man immer als Anführer der Romantiker präsentierte, sagte von sich: 'Ich bin ein reiner Klassiker', und Ingres, der immer Klassiker sein wollte, war letztlich ein ständig von der Norm abweichender, seltsamer, voller Überraschungen steckender Künstler."
Erstaunlich ist beispielsweise, wie vielen Einflüssen Ingres unterlegen ist. Die zusammen getragenen Gemälde und Zeichnungen lassen keinen Zweifel daran, dass er längst nicht nur von der Antike und Raffael geprägt worden ist, wie Ingres selbst immer kategorisch behauptet hatte:
"Die Ausstellung zeigt, dass ihm die Werke vieler anderer Meister eine Lehre waren. Letztlich dienten ihm genauso Werke von Jean Goujon als Vorbild wie Charles Dorigny, Poussin oder - was sehr überraschend ist - Watteau. Wir wissen heute, dass er Watteau liebte und sämtliche seiner Stiche studierte, die in seinem Besitz waren. Er hat selbst die Meister des florentinischen Quattrocento kopiert und die letzte Zeichnung, die er 30 Tage vor seinem Tod angefertigt hat, ist eine Komposition nach Giotto. Der Umfang seiner Einflüsse, seine visuelle Kultur, sind sehr weitreichend."
Um einen neuen Blick auf Ingres Werke zu bekommen, neue Eindrücke zu erlauben, reicht es oftmals aus, ein Gemälde an eine andere Stelle zu platzieren, erzählt Kurator Louis-Antoine Prat. Ingres gigantische "Romulus"-Freske hängt beispielsweise immer im Louvre, allerdings normalerweise in sechs Metern Höhe und nicht wie jetzt wenige Zentimeter über dem Boden. Resultat: die sich aufbäumenden Pferde, die brennende Festung und blutenden Körper gleichen nunmehr eher einem Kinofilm als einem Gemälde:
"… Das ist eine immens große Bild-Komposition, wie eine Kino-Großleinwand, das ganze konzipiert wie ein griechisches Flachrelief, das heißt sämtliche Figuren befinden sich auf der gleichen Ebene. Das Werk ist mit Wasserfarben gemalt, also mit einem sehr flachen Ausdruck, wie eine Freske. Das kündigt bereits die Malerei der 30er Jahre an. … eine sehr figürliche, flache Malerei."
Moderne Anklänge, die auch in vielen seiner Zeichnungen stecken. Ohnehin sind viele der nun neu präsentierten Erkenntnisse eher in den Zeichnungen versteckt als in berühmten Gemälden wie "Die große Odalisk" oder "Die Badende von Valpençon":
"Er machte auch viele Collagen - das mag verwundern - aber das kündigt bereits Matisse und Picasso an. Ingres machte viele Collagen anhand seiner Zeichnungen. Er vereinigte sie, stückelte sie aneinander, um daraus seine neuen Kompositionen anzufertigen. Das ist eine Technik, die natürlich extrem modern ist und bislang nicht gezeigt worden ist."
"Die kleinen Tänzerinnen" von Dégas stecken bereits in Ingres Porträt der "Schwestern Montagu", Picasso hatte sich selbst einmal als "Monsieur Ingres" bezeichnet, Rauschenberg huldigte Ingres "Odaliske" mit einem ausgestopften Hahn. Der 1867 verstorbene Ingres bleibt weiterhin ein äußerst moderner Zeitgenosse:
"Der Einfluss ist enorm. … Cindy Sherman hat Photos angefertigt, auf denen sie die Pose eines Ingres-Modells einnimmt, Bacon hat in seinen Gemälden oft Ingres verwendet, ihn oft zitiert. Botero hat großformatige Interpretationen der 'Mademoiselle Rivière' angefertigt, David Hockney war ein leidenschaftlicher Ingres-Fan und hat ganze Theorien über Ingres verfasst. Viele zeitgenössische Künstler lieben Ingres und sind leidenschaftliche Anhänger."