Der Mauerradweg

160 Kilometer Berliner Geschichte

Mauerweg in Groß-Glienicke
Mauerweg in Groß-Glienicke © picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Von Verena Kemna · 11.08.2016
Dort, wo früher die Berliner Mauer stand, schlängelt sich heute der Mauerradweg durch die Stadt. Er ermöglicht eine Reise in die Zeit der Teilung - mit viel Herzklopfen und Gänsehaut.
Etwa 50 "Mauerwegradler" haben sich mit ihren Fahrrädern am S-Bahnhof Hennigsdorf im Berliner Norden versammelt. Es ist eine von acht Touren, die auf einer Strecke von 160 Kilometern rund um Berlin den Spuren der Berliner Mauer folgen. Bei fast jeder Tour radelt Michael Cramer, Europa-Abgeordneter der Grünen vorneweg, schließlich hat er den Ausbau und die Ausschilderung des Mauerweges initiiert. Diesmal ist er nicht dabei, aber trotzdem präsent. Viele, die an diesem Tag mitradeln, haben das Erlebnis "Mauerradweg" erst durch ihn kennen gelernt. Vielen hat er irgendwann einmal von seiner ersten Tour, damals im Jahr 1989 erzählt.
"Ich persönlich bin ja den Mauerradweg 1989 im Sommer auf der Westseite auf dem Zollweg abgeradelt, man konnte sich nicht verfahren, immer an der Wand lang. Aber dann 1990 im Frühjahr habe ich es auf dem Kolonnenweg gemacht, zwischen Vorder- und Hinterlandmauer. Mit einem ganz komischen Gefühl, weil ich dachte, halbes Jahr vorher wäre es nicht möglich gewesen oder ich wäre erschossen worden."
Eine Idee war geboren. Doch erst elf Jahre später, im Sommer 2001, startete der erste öffentliche "Mauerstreifzug".

Radtour rund um Berlin

Reste des ehemaligen Kolonnenweges führen bis heute wie ein schmaler geteerter Läufer durch Wälder und nach Heu duftende Wiesen. Auf den insgesamt 160 Kilometern sind die wenigen noch erhaltenen Wachtürme zu besichtigen. Alle paar Kilometer erinnern Stehlen an Fluchtopfer. Hier und da stehen Mauerreste. Für Richard Zeller, 67 Jahre alt, ist die Radtour rund um Berlin einmal im Jahr ein Muss.
"Also das Highlight ist natürlich, dass man viel am Wasser entlang fährt, dass man immer wieder ins Wasser springen kann und es ist teilweise sehr naturbelassen, sprich holprig. Es springen einem Rehe über den Weg oder man trifft Wildschweine, besonders im Süden. Die Natur holt sich alles zurück, so hat man den Eindruck, das ist natürlich schön, ein großes Erlebnis."
Auch Wiebke Möller war schon öfter dabei. Sie erinnert sich an besondere Orte im Grenzverlauf, etwa in der Wollankstraße in Berlin-Pankow. Hinter Garagen verborgen steht heute noch ein Teil der Hinterlandmauer. Zu DDR-Zeiten konnten die Menschen im Ostteil der Stadt die Hinterlandmauer zwar an manchen Stellen sehen, näher heran konnten sie nicht. Der asphaltierte Kolonnenweg führt heute mitten durch eine Kirschbaumallee, gespendet von einer japanischen Initiative. Jedes Detail am Wegesrand wird in einem ausführlichen Tourenbuch zum Berliner Mauerradweg beschrieben. Mein ganz persönliches Geschichtsbuch, erklärt Wiebke Möller. Habe ich bei jeder Radtour dabei, sagt sie und zeigt auf die persönliche Widmung von Michael Cramer.
"Man kriegt auch Herzklopfen und Gänsehaut, an bestimmten Stellen. Also wenn man diesen Mauerweg langfährt, wie schön das ist. Oder, als ich in der Wollankstraße gestanden habe bei der letzten Tour, da ist es auch so. Wenn ich da stehe und die Mauer so ganz dicht ist, dann kommt es bei mir auch immer nochmal hoch."
Kurzer Stopp mitten im Wald, ehemaliges Grenzgebiet am nördlichen Berliner Stadtrand. Frisch geteert, führt der Weg über sandigen Untergrund durch Heidelandschaft und schütteren Kiefernwald. Kurze Verschnaufpause für Nadine Fassbender. Die Leipzigerin lebt seit einigen Jahren in der Hauptstadt. Auch sie radelt nicht zum ersten Mal auf den Spuren der Berliner Mauer, inzwischen weiß sie gut Bescheid.
"Ich fand es nur ziemlich grotesk, dass die die Natur beschnitten haben, also das finde ich heftig. Ich dachte, dass die einfach nur Berlin geteilt haben und dann hört es vielleicht auf oder so, aber ich war mir nicht bewusst, dass die Natur auch noch beschnitten wurde und Dörfer geteilt wurden."

Radweg soll als Denkmal geschützt werden

Immer wieder recken alle die Hälse. Die Beschilderung mit den fast verblichenen Wegweisern "Mauerradweg" wird seit Jahren bemängelt. Nicht nur der Allgemeine Deutsche Fahrradclub, auch Bündnis 90/ die Grünen setzen sich dafür ein, dass der Radweg durchgängig befahrbar bleibt, besser ausgeschildert wird und nicht zuletzt als einmaliges Denkmal geschützt wird. Die Berliner ADFC-Landesvorsitzende Eva-Maria Scheel stellt ihr Rad beiseite und schwärmt.
"Auf der einen Seite Geschichte, auf der anderen Seite auch wirklich landschaftlich schön, man fühlt sich draußen in der Landschaft, also das ist wie Erholung und Urlaub."
Nach 15 Jahren "Berliner Mauerweg" geht es nun darum, die einzigartige Geschichtstour quasi als historisches Denkmal zu erhalten.
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