Der Mann, der den Weltmeister schlug

Von Thomas Jaedicke · 23.06.2006
Obwohl die Erfolge der DDR-Fußballer, die 1976 in Montreal sogar Olympiasieger wurden, sich an vielen Spielern festmachen ließen, sind sie doch bis heute fast ausschließlich auf einen Namen reduziert: Jürgen Sparwasser. Bei der Weltmeisterschaft 1974 besiegelte Sparwassers Tor gegen die Bundesrepublik die einzige Niederlage des späteren Weltmeisters.
"Er kann sich schneller machen. Dann kommt ein langer Pass in den Raum zu Sparwasser. Nimm den Ball mit Jürgen! ... Und jetzt schieß! ... Und Toooor!"

"Drei japanische Teams, RAI, BBC. Gestern hat ein Schwede noch angerufen, der wollte noch kurz rein. Die kommen, und dann immer im letzten Augenblick. Aber dann ist zu. Das kann man, das kann man nicht schaffen."

Jürgen Sparwasser ist im Dauerstress. Der 59-Jährige sieht etwas mitgenommen aus. Im eng anliegenden, dottergelben Pulli mit V-Ausschnitt sitzt er morgens um kurz nach 9 Uhr in einem Berliner Hotel. Gleich muss er raus nach Potsdam zu Dreharbeiten. Das ZDF macht einen Film über das Tor von damals.

"Wenn die WM 2006 hier vorbei ist, da werde ich mit der Geschichte auch meine Ruhe haben. Dann wird man das Kapitel wahrscheinlich abschließen. Nicht ganz, aber in dem Maße, wie man das jetzt im Moment behandelt, wird das nicht mehr zur Diskussion stehen."

Schon zu DDR-Zeiten verfolgte ihn der legendäre Treffer wie ein Fluch oder eine chronische Krankheit. Oft wurde der Stürmer aus Halberstadt ganz auf diesen einen Treffer reduziert. Neider traten auf den Plan: Woher kommen denn Kühlschrank, Auto und Wohnung, bitteschön? Die Partei schlachtete den 1:0-Sieg über den westdeutschen Klassenfeind im einzigen deutsch-deutschen Fußballvergleich der Nationalmannschaften als Beweis für die Überlegenheit des ostdeutschen Systems aus. Sparwasser lächelt gequält.

"Also das Tor war der Anfang vom Ende. Weil mit diesem Tor sich etwas entwickelt hat, wo ich im ersten Moment noch nicht dran geglaubt habe."

1979 muss Jürgen Sparwasser seine Karriere beim 1. FC Magdeburg wegen einer Hüftverletzung beenden. Da ist er 31. An der Pädagogischen Hochschule in Magdeburg war er zunächst im Bereich Theorie und Praxis der Sportspiele Assistent, um dann später im Rahmen dieser Tätigkeit als Hochschullehrer zu arbeiten. Sparwasser, der immer davon geträumt hatte mit Jugendlichen zu arbeiten, und seine Kollegen hatten den Auftrag, das DDR-Schulsystem im Sport zu verändern. Über Sportspiele und speziell über Fußball wollte er seine Doktorarbeit schreiben. Doch dann kam die SED und suchte einen neuen Trainer für den 1. FC Magdeburg. Das war 1986.

"Ich habe das drei Mal abgelehnt. Und von diesem Zeitpunkt aus musste ich also praktisch andere Dinge an der Hochschule machen, konnte also meine Doktorarbeit dann nicht schreiben. Und dann kommen Sie natürlich dann in eine Situation, wo Sie sagen, wenn Sie frühmorgens in den Spiegel gucken: 'Bist Du das noch, oder bist Du das nicht?'"

Im Winter 1988 nutzt Sparwasser, der mit ehemaligen Magdeburger Mannschaftskollegen bei einem Prominententurnier in Saarbrücken spielt, die Gelegenheit und bleibt im Westen. Zusammen mit seiner Frau Christa, die zeitgleich ebenfalls in der Bundesrepublik ist, gehen sie nach Frankfurt am Main. Nur die 19-jährige Tochter, die auf eigenen Wunsch in Magdeburg zurückbleibt, ist eingeweiht.

Für viele kommt die Nachricht überraschend. Beruflich war Jürgen Sparwasser abgesichert. Er war SED-Mitglied. Von einem Ghostwriter ließ er nach der 74er WM eine wöchentliche Oberligakolumne schreiben, die unter seinem Namen im "Neuen Deutschland" erschien. Nie habe er, der der DDR viel verdanke, schlecht über das System geredet. Andererseits habe er sich aber auch, wie er selbst sagt, nie vor den Karren der Parteipropaganda spannen lassen.

"Ich hab mir denn daraus noch einen Spaß gemacht. Wir waren noch zu einem Mittagessen dort beim Bürgermeister eingeladen. Und der Vorsitzende von uns damals sagte: ´Du, Paul, guck doch mal, der Jürgen fehlt und der kleene Martin Hoffmann.' Der hat sich verlaufen, der kam etwas später."

Wolfgang "Paule" Seguin war damals eng mit Jürgen Sparwasser befreundet. Zusammen mit Mannschaftskapitän Manfred Zapf spielten sie oft in der Nationalmannschaft. Zusammen holten sie mit dem 1. FC Magdeburg am 8. Mai 1974 in Rotterdam gegen den favorisierten, von Giovanni Trappatoni trainierten AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger.

"Neuer Versuch, jetzt Seguin. Seguin ist da! Schuss…Tor!... Toooooooaar!..Paule Seguin hat es gemacht. Von der gleichen Stelle aus, wo eben Sparwasser nicht getroffen hat."

Es war der einzige große, internationale Erfolg einer DDR-Vereinsmannschaft. Das Team bestand ausschließlich aus Spielern aus dem Bezirk Magdeburg. "Paule" Seguin hatte in der 74. Minute den Treffer zum 2:0-Endstand besorgt. 14 Jahre später - nach dem Promi-Turnier in Saarbrücken und auf der Suche nach seinem vermissten Freund - habe Wolfgang Seguin immer noch nichts geahnt.

"Dann bin ich zum Hotel gegangen und war der Koffer natürlich nicht da. Da hab ich dann gesagt, ich glaube, der hat sein Hotelzimmer nicht wieder gefunden. Und hinterher war die Aussprache hier bei uns in Magdeburg, war nicht angenehm."

Der heute 60-jährige Wolfgang Seguin habe den Herren von der Staatssicherheit, die sich für Sparwassers Republikflucht interessierten, nichts über dessen Motive sagen können. Bis heute versteht Seguin, der in Magdeburg Geschäftsführer einer Gebäudereinigungsfirma ist, nicht, warum sich Sparwasser nicht schon als Spieler abgesetzt hat, wenn er wirklich weg wollte. Gelegenheiten hatte es genug gegeben bei den zahlreichen Auslandsreisen mit den Magdeburgern oder der Nationalmannschaft.

"Es war mehr oder weniger eine Erziehungssache. Denn die sind durch die sozialistische Schule gegangen und waren sehr Heimat verbunden. Das war ich auch, obwohl ich mehrere Schulen in meinem Leben schon durch hatte."

Heinz Krügel war der Trainer der legendären Magdeburger Mannschaft, die den Europapokal der Pokalsieger gewann. Der Sachse aus Ober-Planitz begann seine Trainerkarriere schon in den 50er Jahren bei der Kasernierten Volkspolizei – KVP – Vorwärts Leipzig. Nach einem kurzen Intermezzo als DDR-Nationaltrainer galt er als Spezialist für schwierige Aufgaben. Mit den Magdeburgern, die er in der zweiten Liga übernommen hatte, gewann er vor dem Europacupsieg von 1974 Anfang der 70er Jahre drei Mal die DDR-Meisterschaft.

"Und das Größte bei uns war zum Beispiel Martin Hoffmann und ich bei Juventus Turin. Wir sollten dort einige Millionen bekommen. Ich habe das Martin Hoffmann aber erst erzählt vor vier Jahren. Und da sagte der zu mir: ´Menschenskind, Trainer, da haben wir ja einen n Fehler gemacht!´ Aber wir haben keinen Fehler gemacht. Wir haben auch hier unser tägliches Brot."

Wenn sie damals gegangen wären, hätten sie heute vielleicht fünf Hotels an der Riviera, sagt Heinz Krügel. Der 85-Jährige lebt in Magdeburg von Grundrente. Aber sie hätten auch im DDR-Fußball eine schöne Zeit gehabt. 1972 hatte die DDR-Mannschaft bei den Spielen in München die Bronzemedaille geholt, vier Jahre später in Montreal sogar Gold. Für seine Spieler, die allesamt Könner gewesen seien und viele Angebote aus dem Ausland bekommen hätten, legt Krügel noch heute die Hand ins Feuer. Auch Jürgen Sparwasser sei charakterlich absolut in Ordnung gewesen. Genau wie sein berühmter Stürmer bekam aber auch der erfolgreiche Trainer Heinz Krügel Ärger mit den Parteifunktionären. Ein halbes Jahr nach dem Europapokalsieg spielte Magdeburg im November 1974 zuhause gegen den FC Bayern.

"Und zur Halbzeitpause kam ein Stasi-Mann zu mir und sagte: ´Trainer, gehen Sie mal in die Kabine, der Lattek hat allerhand besprochen und tun Sie mal das alles aushorchen und alles verarbeiten.' Ich sagte: 'Junger Mann, Sie sind vom Fußball nicht begeistert und verstehen nichts. Denn während der Halbzeitpause hat der Trainer was anderes zu tun, als wie andere abzuhören. Und ich mache das nicht, weil Lattek ein Kollege von mir ist.'"

Heinz Krügel, der nie ernsthaft daran dachte, die DDR zu verlassen, bezahlt teuer. Ein gutes Jahr später wird er mit Berufsverbot bestraft. Als offiziellen Grund nennt der Deutsche Fußballverband DFV "ungenügende Leistungsentwicklung der Olympiakader des 1. FC Magdeburg". Heinz Krügel wird zum Objektleiter einer Magdeburger Kegelhalle im Heinrich-Germer-Stadion degradiert. Bis zu seiner Pensionierung, 1986, arbeitet er dort. Doch verziehen hat er nie.

"Ich kann nur von Glück reden, dass ich von den Kommunisten bis zurzeit, die das mit mir gemacht haben, noch keinen gesehen habe. Noch keinen! Ob die mir aus dem Wege gehen, weiß ich nicht. Aber sie würden auch einiges von mir erfahren, nachträglich gesehen, ja, so."

Sparwasser: "Das wussten wir ja, wenn das passiert, dass sie da vorgeladen wird, verhört zu werden, ob sie was weiß. Aber sie war so standhaft von der Persönlichkeit her, dass sie dann nach 24 Stunden wieder entlassen worden ist. Es gab dann noch einmal eine Situation, wo ich, sie wollten ihr also die Wohnung auch wegnehmen."

Nachdem Jürgen Sparwasser nicht in die DDR zurückkehrte, lässt die Stasi seine Tochter in Magdeburg erst in Ruhe, als die "Bild"-Zeitung eine große Story daraus macht und sich das Bonner Außenministerium bei Erich Honecker beschwert. Fußballtrainer Karl-Heinz Feldkamp vermittelt Jürgen Sparwasser nach seiner Ankunft im Westen zu Eintracht Frankfurt, wo er zunächst die Amateurmannschaft trainiert. Seine Frau Christa, die er schon als Jugendlicher in Magdeburg kennen gelernt hat, arbeitet als Teilzeitkraft bei einer Versicherung. Jürgen Sparwasser erinnert sich, dass sie sich damals ohne fremde Hilfe und nur mit ein bisschen Menschenverstand eine Wohnung gesucht hätten.

"Wer geglaubt hat, der Sparwasser kommt nach dem Westen und da gehen die Türen auf und fallen die Hähnchen runter. Also das ist alles, was wir da uns erarbeitet haben in der Zeit, das waren wir beide, das waren auch keine anderen. Keine Gelder gekriegt oder Unterstützung."

Auch nach Überwindung der ersten Startschwierigkeiten fassten die Sparwassers im Westen nie richtig Fuß. Dann kam die Wende. Die DDR zerfiel. Von Juni 1990 bis November 1991 trainierte Jürgen Sparwasser den damaligen Zweitligisten Darmstadt 98. Die Voraussetzungen seien gut gewesen. Es wurde Geld zum Aufbau einer neuen Mannschaft versprochen, das dann aber doch nicht da war. Schon während seiner ersten Cheftrainer-Station im Profifußball musste Jürgen Sparwasser einsehen, dass er nicht der richtige Mann für dieses Geschäft war.

"Dann kommt eben mal der Tag, wo man sich dann trennt. Wo auch die Spieler gesagt haben, also sie verstehen es nicht. Aber das ist ja meistens so, ob da nun die Wahrheit dahinter steckt oder das nur Geheuchle ist, das kriegt man ja dann so gar nicht raus."

Sein Arzt habe ihm damals dringend geraten, den Beruf zu wechseln, weil er seinem Patienten ansonsten schwerwiegende gesundheitliche Probleme voraussagte. Jürgen Sparwasser befolgte den Rat.

"Deshalb hab ich dann auch gesagt, das tust Du dir nicht mehr an, weil ich auch nicht der Typ dafür bin. Ich fresse das in mir rein und das bleibt drin. Bei dem einen geht es hier rein und da raus. Und da muss man eingestehen, dass man das nicht über längere Zeit machen kann, weil das der Körper auch nicht mitmacht."

"Croy. Ohne Fehl und Tadel bis hierher. Hoffentlich können wir das alle gemeinsam, liebe Zuschauer, nach 90 Minuten sagen… Sparwasser, Sparwasser! ... Und….Tor! ...Jürgen Sparwasser aus Magdeburg."

"Was ist Freiheit? In der Entwicklung von den Aufklärern, von Voltaire über Kant über alle Kriege bis heute."

Heinz Florian Oertel war in DDR sehr bekannt, vielleicht sogar populär, wie er etwas kokett fragt und sich dabei die Antwort gleich mitliefert. Heinz Florian Oertel war ein DDR-Medienstar. Er moderierte viele Fernsehshows, war aber vor allem wegen seiner Sportreportagen bekannt. Der mittlerweile 79-Jährige kommentierte im Staats-Fernsehen auch den DDR-Sieg über die Bundesrepublik bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1974.

"Was ist Freiheit? Man operiert damit sehr. Aber, Freiheit muss jeder Mensch leben. Aber er kann sie nicht auf der grünen Wiese leben. Er kann sie auch nur mit anderen Menschen leben."

Als Jürgen Sparwasser, Held des DDR-Fußballs, 1988 einfach im Westen blieb und damit den historischen Sieg für das ohnehin im Todeskampf liegende SED-Regime ideologisch entwertete, sei das für ihn kein "Umfaller", keine besonders brisante Nachricht gewesen, sagt Heinz Florian Oertel. Natürlich habe die Freiheit in der DDR strenge und böse Grenzen gehabt. Und das sei zu kritisieren, sagt der 79-jährige Journalist.

"Aber dennoch: Mit Freiheit an sich, da würde ich immer bitten, erklärt mir das. Und wie soll das praktisch aussehen? Genauso mit Demokratie. Deutsche Demokratische Republik. Die DDR war kein demokratischer Staat. Das ist heftigst zu kritisieren. Aber in welcher Demokratie leben wir? In einer Demokratie, die jedes Referendum ablehnt, also grundsätzliche Volksabstimmungen, kann da auch schon was nicht stimmen. Und so könnte ich vieles andere anführen."

Oertel sagt, er habe nie wirklich daran gedacht, der DDR den Rücken zu kehren. Das habe auch mit seiner Biografie zu tun. Als 17-Jähriger wurde er als Marinesoldat zur Wehrmacht eingezogen und verbrachte nach dem Krieg anderthalb Jahre in britischer Gefangenschaft. Zutiefst habe ihn enttäuscht, als er sehen musste, wie nach 1949 in der Bundesrepublik gesellschaftliche Schlüsselpositionen wieder mit Nazis besetzt wurden. Später habe er nach und nach begriffen, dass auch in der DDR Vieles schief laufe. Aber die DDR öffentlich für ihre Missstände zu kritisieren, sei nicht möglich gewesen, auch, weil Heinz Florian Oertel seine berufliche Karriere nicht aufs Spiel setzten wollte.

"Wem nutzt es? Wem nutzt es? Wem hätte also ein Revolutionär Heinz Florian Oertel genutzt? Im Grunde genommen nur der Bundesrepublik Deutschland und den Medien für kurze Zeit, für kürzeste Zeit. Jetzt wird beispielsweise so getan, dass jeder DDR-Bürger doch eigentlich hätte ein Revolutionär sein sollen. Was wäre denn gewesen, wenn 15 Millionen auf einmal an bundesdeutschen Türen klopften? Gebt mir Arbeit, gebt mir Wohnung! Ihr wolltet doch, dass wir alle abhauen. Was wäre denn gewesen?"

Seine Wohnung im Westen hatte sich Jürgen Sparwasser allein gesucht. Das dunkelblaue DDR-Trikot mit der Nummer 14 hing, bis es für einen guten Zweck versteigert wurde, im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Nach seiner ersten und letzten Profi-Trainerstation bei Darmstadt 98 arbeitete er einige Jahre in verschiedenen Funktionen und zuletzt auch als Präsident für die Vereinigung der Vertragsfußballer (VdV). Als Hauptziele nannte Sparwasser unter anderem ein Versorgungswerk für die Spieler, etwa bei Berufsunfähigkeit oder Arbeitslosigkeit, und eine bessere medizinische Versorgung der Spieler, sowie Berufsplanung für Lizenzspieler für die Karriere nach der Karriere. Im Oktober 1999 wird Sparwasser von seinen VdV-Ämtern abberufen. Die VdV-Kollegen warfen dem ehemaligen DDR-Nationalspieler mangelndes Engagement vor. Zudem enthüllte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", dass Sparwasser angeblich an Sponsorengeschäften mit verdienen wollte.

"Und von dem Zeitpunkt an hab ich versucht, mich doch intensiver für den Nachwuchs zu interessieren und habe dann jahrelang einen Sponsor gesucht, der mit mir zusammen ein Konzept für die Nachwuchsförderung unterstützt finanziell, und ich den Inhalt dieser Nachwuchsförderung erarbeite."

Mit dem ersten Sponsor war sich Jürgen Sparwasser schnell einig. Fast zwei Jahre lang fuhr er jede Woche von Frankfurt am Main nach Magdeburg, um die Eröffnung einer Fußballschule vorzubereiten. Doch dann meldete sein Sponsor Insolvenz an.

"Das wäre auch ein Vorreiter gewesen im gesamten Osten. Aber dann knallt die Welt, platzt der Ballon und man steht wieder da, ne. Und dann fängt man an zu suchen. Und Gott sei dank ist dieser Kontakt zustande gekommen."

Mit einem neuen Geldgeber will Jürgen Sparwasser seinen Traum doch noch verwirklichen. Im brandenburgischen Brieselang, vor den Toren Potsdams, wird eine Fußballschule mit angeschlossenem Internat für etwa 100 Schüler gebaut. Zu den nächsten Osterferien soll alles fertig sein: vier Felder draußen, dazu eine Halle mit drei Handballfeldern. Alles Kunstrasen, neueste Qualität, von der FIFA genehmigt.

Beim DFB sei man dagegen wie immer reserviert, sagt Sparwasser. Dabei hatte der ehemalige DFB-Präsident Egidius Braun ihn vor Jahren sogar beauftragt, ein Nachwuchskonzept auszuarbeiten. Doch offenbar konnte Sparwasser den Verband nicht überzeugen. Aber er werde trotzdem seinen eigenen Weg gehen, damit kenne er sich aus. Turbine Potsdam habe eine Kooperation zugesagt, mit Hertha BSC sei er im Gespräch. Sparwasser will vier Trainer beschäftigen, aber auch selbst vor Ort sein, weil es nicht seine Art sei, nur seinen Namen zu geben. Entweder ganz oder gar nicht.

"Und man kann es so sehen, dass ich ja diesem Teil Deutschlands viel zu verdanken habe. Ja, wahrscheinlich wieder zurückgehe, um das zu verwirklichen, um auch dem Osten ein bisschen Unterstützung zu geben. So kann man das sehen. Es ist ja nicht so einfach, wenn man 18 Jahre lang jetzt in Frankfurt am Main lebt und zu sagen mit fast 60: Packst du noch mal die Möbel und ziehst dort hoch."

Vom DFB unten in Frankfurt am Main ist er nicht nur enttäuscht, weil er den Verband nicht wirklich für sein Konzept gewinnen konnte. Nach dem Bundesliga-Abstieg von Hansa Rostock wurde Hilfe für den Osten angekündigt. Aber nichts sei seither passiert. Außerdem hat sich Jürgen Sparwasser darüber geärgert, dass er und seine Mannschaftskameraden aus der 74er DDR-Elf vom DFB keine Karten für diese Fußball-Weltmeisterschaft bekommen hätten. Zufällig habe er neulich Franz Beckenbauer getroffen, dem er davon erzählte. Zwei Tage später habe er die Tickets im Briefkasten gehabt. Alle ehemaligen DDR-Spieler haben inzwischen Tickets bekommen, auch Wolfgang Seguin in Magdeburg.

"Ich meine, ich freu mich auch auf die Fußball-Weltmeisterschaft. Werde die meisten Spiele dann auch im Fernsehen mir anschauen. Habe natürlich auch die Gelegenheit gehabt, ich habe eine Einladung bekommen vom DFB, dass ich mir doch als Ehrengast einige Spiele aussuchen könnte, hab ich leider versäumt, weil ich das zu spät gemacht habe, will es aber noch mal versuchen. Ich hoffe, ich kriege das Endspiel noch hin, dass ich dann in Berlin das Endspiel sehen kann."

Neulich haben sich einige Spieler der beiden deutschen WM-Mannschaften von 1974 in Berlin getroffen. Über einen der Spieler aus der späteren Weltmeisterelf hat sich Wolfgang Seguin besonders gefreut.

"Da war der Jürgen Croy dabei, der Peter Ducke, Martin Hoffmann, meine Wenigkeit. Da hat sich der Bernd Hölzenbein noch bedankt, dass wir sie geschlagen haben, denn sie waren in der schwächeren Gruppe nachher."

In der nächsten Saison wird der 1. FC Magdeburg in der Regionalliga Nord spielen. Trainer Dirk Heyne hat den Aufstieg mit der jungen Mannschaft als Oberligameister geschafft. Der lange Keeper hat selbst noch als ganz junger Mann mit Wolfgang Seguin gespielt. Den legendären 1:0-WM-Sieg der DDR verfolgte er als 16-Jähriger zuhause in Magdeburg vor dem Fernseher.

"Da haben erst einmal ein paar ´Hoppla!´ geschrieen. Wie kann die kleine DDR auf einmal den Gastgeber mit den riesengroßen Stars schlagen. Das ist ja uns im Europapokal auch öfter passiert, dass wir da auch gegen westdeutsche Mannschaften gut ausgesehen haben. Und dass ganz einfach das Bild, das da gezeichnet wurde von den so genannten riesengroßen Profis und wir armen DDR-Fußballer, jetzt mal arm auf Leistung bezogen, dass die Unterschiede da eigentlich überhaupt nicht so groß waren. Bei uns gab es keinen Starkult. Es war alles nur das Kollektiv. Und im Westen da war eben ein Fußballer ein Held. Und da haben die Siege und der Sieg bei der WM schon ein bisschen was ins rechte Licht gerückt."