Der Malerstar als Dichter

17.07.2007
Gedichte von Pablo Picasso, jetzt von Androula Michael in einem Band zusammengestellt, sind ein klangmalender Rausch aus Sprache. Ohne jegliche Interpunktion verfasst, zwingen sie den Leser, die zusammenhängenden Bruchstücke des jeweiligen Textes zu identifizieren und auf diese Weise den lautmalenden Rhythmus zu reproduzieren.
"Eigentlich bilden alle Künste eine einzige, man kann ein Gemälde in Worten schreiben, ebenso wie man Sinneseindrücke in einem Gedicht malen kann."

Pablo Picasso, das Maler-Genie des 20. Jahrhunderts, hat sich durchaus nicht als Spezialisten gesehen. "Die Leute (...) nehmen mich nur als Maler ernst. Ihr Pech." wird Picasso von einem seiner Biographen zitiert, und diese Aussage zielt tatsächlich auf seine literarische Produktion ab. Hat es also auch den Schriftsteller Picasso, den Dichter gar, gegeben? Nicht eigentlich. Denn die literarische Facette des universalen Künstlers muss genau als solche begriffen werden - als Facette, als eine der Entäußerungen seiner Produktivität.#

Die hier versammelten Texte - sie entstanden zwischen 1935 und 1954 - illustrieren, wie diese "Gemälde in Worten" aussehen könnten. Metaphernreich, in assoziativer Reihung, paradox, phantasievoll und von überbordender Intensität, legen sie die Vermutung nahe, dass sie das Nicht-Malbare, die Exzesse der Phantasie, die sich nicht in Bilder oder Skulpturen bringen ließen, enthalten.

Picassos Gedichte sind ein klangmalender Rausch aus Sprache, der nur insofern einen Sinn enthält, als dass er beständig und in schneller Folge Bilder evoziert, Bilder allerdings, die nur denkbar, nicht aber malbar sind. Ohne jegliche Interpunktion verfasst, zwingen sie den Leser, die zusammenhängenden Bruchstücke des jeweiligen Textes zu identifizieren und auf diese Weise den lautmalenden Rhythmus zu reproduzieren:

"zum schallenden Gelächter der Feuerkugel erscheint mitten auf dem Platz der in das Bronzekleid gewickelte Körper einer jungen Frau mit Stierkopf die Rose von Sperma besudelt und von Blüten umkränzt die ein weißes Federkleid trägt aufrecht in ihrem Boot das aus Marmorfels besteht wogend in der flüssigen Luft des Eierauges ..."

Jeder dieser Texte ist datiert, was darauf schließen lassen könnte, dass sie eine tagebuchartige Struktur ergeben. Das trifft nur sehr bedingt zu. Denn der Wort- und Sprachrausch, der sich hier entfaltet, erlaubt kaum Rückschlüsse auf tatsächliche Begebenheiten oder Personen aus dem Umfeld Picassos. Eine gelegentliche Liebeserklärung am Ende eines Eintrags oder das Auftauchen antiklerikaler Metaphern nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs ergeben eher spärliche Verweise auf die Realitäten der jeweiligen Zeit.

Allerdings muss man bedauerlicherweise anfügen, dass die hier präsentierten Texte Picassos nur eine Auswahl darstellen. Sämtliche auf Spanisch verfassten "Gedichte" wurden ausgespart, auch fehlen jegliche Anmerkungen zu diesem Teil der literarischen Produktion des Meisters. So verbleibt der Leser mit einem unvollständigen Eindruck, ohne die geringste Ahnung, was genau ihm vorenthalten wurde von der literarischen Produktion Picassos.


Rezensiert von Gregor Ziolkowski


Pablo Picasso: Gedichte
Ausgewählt und mit einem Vorwort von Androula Michael.
Aus dem Französischen von Holger Fock.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2007, 190 Seiten, 14,95 Euro