Der Maler und der Kritiker

Der Schotte Iain Pears ist nicht nur ein angesehener Kunstkenner, sondern auch ein erfolgreicher Autor. In seinem neusten Buch lässt Pears einen Maler und einen Kritiker aufeinander treffen. Und während der Maler seinen ehemaligen Freund und jetzigen Rivalen porträtiert, lüftet er nach und nach das Geheimnis um ihre erbitterte Feindschaft.
Der schottische Autor Iain Pears, Jahrgang 1955, ist in der Welt der Kunst ein renommierter Mann. Als Spezialist für die italienische Renaissance, die englische Malerei des 18. Jahrhunderts und die französische Moderne tritt er im Fernsehen auf, berät Museen und veröffentlicht in internationalen Zeitschriften.

Mit sieben weltweit, auch ins Deutsche übersetzten Kriminalromanen, die vornehmlich in einem venezianischen Polizeidepartment für Kunstraub angesiedelt sind, genießt Iain Pears auch großes belletristisches Ansehen. Seit einigen Jahren ist der Schriftsteller auch im historischen Fach aktiv und erfolgreich, "Das Urteil am Kreuzweg" (dt. 1999) und "Scipios Traum" (dt. 2003) sind umfangreiche Mittelalter- und Renaissance-Romane, wahre Schmöker-Schinken, bis zu 1000 Seiten stark. Dagegen überrascht Iain Pears jüngster Roman "Das Portrait" durch konzentrierte Kürze und eine stilistisch völlig andere, überaus reizvolle Form: In einem 200-seitigen Monolog spricht ein Maler zu seinem Modell, währenddessen ein Porträt entsteht.

Ort der Handlung ist eine unwirtliche, sturmumbrauste bretonische Insel, wohin sich der Künstler Henry MacAlpine zurückgezogen hat, nachdem er es in der Metropole Londons zu einigem Ruhm brachte. Etliche Jahre sind vergangen, man schreibt das Jahr 1913, als an seine Tür der englische Kritiker William Nasmyth klopft, mit dem Wunsch, sich porträtieren zu lassen. Einst waren sie Freunde, zusammen sind beide in der Kunstszene bekannt geworden, jetzt aber verbindet sie ein dunkles Geheimnis, das in Zerwürfnis und erbitterter Feindschaft endete. Davon weiß der Leser zu Beginn noch wenig, man spürt nur die Distanz zwischen den Männern, die immer eisiger wird. Was ist passiert in jenen wilden Jahren um 1900, als William Nasmyth die französischen Impressionisten in England bekannt machte, die bürgerlichen Kunstvorstellungen schockierte und mit der Zeit zur unangefochtenen kritischen Instanz, zum Kunstpapst wurde, der über Wohl und Wehe so manchen Künstlers entschied? Und warum kommt er nun auf diese Insel, ausgerechnet zu jenem Mann, der sich offen als ein Feind charakterisiert?

Nach und nach lichten sich in Henry MacAlpines Monolog die Nebel und das Projekt einer einzigen großen Rache wird sichtbar. Auf ungemein elegante Weise entwickelt der Autor Iain Pears ein künstlerisches Drama. Mit britischer "Coolness", vornehm in Stil und Diktion lässt er den Maler bei der Arbeit erzählen: Vom Verhältnis zwischen Kunst und Kritik, von den Eitelkeiten, Intrigen und Ränkespielen, die sich in den Ateliers, Galerien und Museen abspielen. Von den ästhetischen Krisen und persönlichen Abstürzen, die William Nasmyth mit seiner ironischen Feder herbeigeschrieben hat. Es sind Katastrophen, die Henry MacAlpine direkt betreffen und letztlich zu seiner Flucht in die Einsamkeit führten. William Nasmyth muss – im Wortsinn sprachlos - erkennen, dass er nun zur Verantwortung gezogen wird. Durch seine Krimi-Erfahrung hat Iain Pears gelernt, wie man literarische Spannung bis zur letzten Seite aufrechterhält. Und sein meisterliches "Porträt" zeigt, dass Rache auch eine Kunst sein kann.

Rezensiert von Joachim Scholl

Iain Pears: Das Portrait
Aus dem Englischen übersetzt von Malte Krutzsch,
Droemer Verlag München
204 Seiten, 18,00 Euro