Der Maler als Fotograf

Von Oliver Seppelfricke |
Der kanadische Künstler Jeff Wall gehört zu den bestbezahlten Fotokünstlern der Welt. Wie ein mittelalterlicher Maler komponiert er seine Bilder als Stillleben im Studio. Die Ausstellung ist im Schaulager Basel zu sehen.
Jeff Wall ist einer der bestbezahlten Fotokünstler der Welt. Seine Werke können Preise von bis zu einer Million Euro erzielen. Für Fotografie ist das sehr, sehr viel. Dabei ist das Oeuvre von Jeff Wall relativ klein. Gerade mal 120 Fotografien in Form großer Leuchtkästen hat der kanadische Künstler seit 1978 geschaffen. Seit dem Jahr, als er von der Malerei, die er früher studiert hatte, zur Fotografie gewechselt ist.

" Anfang der 60er Jahre war so viel los in der Kunst, soviel hat sich verändert, vieles wurde ganz neu und anders gemacht. Als junger Mann hat mich das alles interessiert. Und das meiste war in der Fotografie los. Da bin ich also von der Malerei fort.“

Ganze 65 der insgesamt 120 Leuchtkästen, also fast die Hälfte des gesamten Werkes, ist nun im Schaulager zu sehen. Es ist die größte Jeff-Wall-Retrospektive, die es je gegeben hat. Und es ist die beste Schau, die er je in seinem Leben machen werde. Sagte Jeff Wall heute bei der Eröffnung.

Sie zeigt Fotos, vielmehr Diapositive, aufgezogen in bis zu 2 mal 3 Meter großen Leuchtkästen, auf denen Menschen in sprechenden Situationen zu sehen sind. Menschen in der Einsamkeit ihrer Wohnung, in der Einsamkeit einer belebten oder verlassenen Straße oder in der Einsamkeit einer Millionenstadt. Bilder, die ganz unauffällig und mit einem schwer fassbaren Geheimnis unter die Haut gehen. Bilder, die schweigend ansprechen ... Wie „Ein Dorfbewohner bei seiner Ankunft in Istanbul“. Das Jeff Wall in einem herunterkommenden Stadtviertel aufgenommen hat.

" Ich wollte ein Bild machen von einer Person, die vom Land in die Stadt abwandert. Ich kann nicht genau sagen, warum ich dieses Thema machen wollte. Häufig weiß ich bei meinen Fotos nicht, warum ich sie mache. Irgendetwas treibt mich da an. Das Motiv von der Landflucht fand ich wunderbar. Ich hätte es überall machen können. In Kairo, Lima, Sao Paolo, aber ich wollte es in Istanbul machen. Ich fuhr also dorthin, suchte einen Ort und fand diese Vorstadt nicht weit vom Flughafen entfernt. Sie hatte alle Zeichen, die ich für das Thema brauchte: die Moschee, die Autobahn davor, die Telegrafenmasten, die Stromleitungen – alle diese Zeichen zeigen die Veränderung in der modernen Welt. Als ich das sah, war klar: Hier ist es! Hier machst du dein Foto! "

Fast alle Fotos von Jeff Wall sind minutiös komponiert und inszeniert. Nichts ist dem Zufall überlassen. Jeff Wall kann ein Foto in fünf Minuten machen, wie er einmal sagte, wenn Licht und Setting stimmen, meist dauern seine Fotos jedoch mehrere Monate, sogar Jahre. Häufig hat Jeff Wall das ganze Bild vorher im Kopf. Er weiß bis ins kleinste Detail hinein, wie es aussehen soll. Alles, was er dann noch tun muss, ist, das Bild im Kopf in die Wirklichkeit zu bringen. Es seiner Vorstellung entsprechend nachzustellen, es im Studio oder draußen zu inszenieren.

Und das kann sehr aufwändig sein. Wie bei der naturgetreuen Nachbildung einer afghanischen Berglandschaft im Studio oder beim Nachbau einer Autobahnlandschaft. Jeff Wall engagiert zudem Schauspieler, die haarkleingenau die Posen einnehmen, er bestimmt Sekundenbruchteile bei der Aufnahme, legt fest, wann wer wie zu agieren habe, wann das Milchglas umzuschütten ist, wann das Garagentor zufällt, wo sich die im Garten auf dem Rasen sitzenden Familienmitglieder befinden und wie sie sich anschauen.

Jeff Wall komponiert seine Fotos so wie es früher die mittelalterlichen Maler mit ihren Bildern getan haben. Jeff Wall ist eigentlich ein Maler als Fotograf. Er schafft „Bilder“, wahre Stillleben als Fotos. Und er ist ein Pedant und ein Perfektionist.

" Für viele Fotos gibt es eine Begebenheit, die ich einmal gesehen habe, aber nicht fotografiert habe. Ich fahre viel in meiner Heimatstadt Vancouver herum und sehe viel. Fast alle meine Fotos haben ihren Ausgang irgendwie in Vancouver. Wenn ich also etwas gesehen, aber nicht fotografiert habe, und wenn ich es später dann festhalten will, muss ich es irgendwie nachstellen. Ich muss es nachkonstruieren. Sagen wir einmal, ich habe eine Begebenheit mit zwei Leuten gesehen. Ich brauche also für mein Foto zwei Menschen. Ich frage Freunde, Verwandte, ich engagiere aber auch Schauspieler. Oder alles zusammen. Dann muss ich mich entscheiden, ob ich das Foto an dem Ort machen will, wo mir das Ereignis begegnet ist. Manchmal ist der Platz gar nicht interessant. Nur das, was dort passiert ist, war interessant. In dem Fall suche ich mir also einen anderen Ort.“

Fast immer zeigen seine Fotos Menschen in alltäglichen Situationen, in Momenten, die wir alle kennen. Häufig sind es unscheinbare Momente der Leere, des Stillstands im rasenden Wandel. Die Einsamkeit an der U-Bahn-Rampe, die ausgelassene Stimmung auf einer Feier, die endlose Weite einer Autobahn, die Fremde und Ferne zwischen uns Menschen. Es sind Dramen des Alltäglichen. Man hat Jeff Wall in Anlehnung an Baudelaires berühmtes Diktum über Eduard Manet als den „Maler des modernen Lebens“ bezeichnet. Wall zeigt uns, wie wir leben und mit welchen Folgen. Den offensichtlichen, aber vor allem den weniger sichtbaren, den kaum spürbaren Prozessen der Entfremdung und Vereinzelung.

Jeff Wall hat mit seinen großen Leuchtkästen eine Kunst gefunden, die uns fotografisch Stillleben zeigt, die uns mit einer subtilen Schwebe zwischen Bewegung und Stillstand, zwischen Konzentration und Kontemplation, zwischen Einzelding und Allgemeinheit anspricht. Eine Kunst, auf die man sich wirklich einlassen muss, eine Bilderkunst zum Innewerden...
Service:

Die Ausstellung „Photographs 1978 – 2004“ ist im Schaulager Basel vom 30. April bis 25. September 2005 zu sehen.

Link:

Schaulager: Jeff Wall