Der Lockruf des ewigen Eises

25.10.2011
Vor hundert Jahren lieferten sich zwei Männer ein Rennen zum Südpol: Der Wettlauf zwischen dem Norweger Roald Amundsen und dem Briten Robert Scott. Immer wieder neu thematisiert in Filmen und Büchern, gibt es jetzt zwei neue Bücher zum Thema.
1911 brachen zwei Männer auf, den letzten Punkt der Erdkugel zu erreichen, an dem noch kein Mensch stand: Der Norweger Roald Amundsen und der Brite Robert Falcon Scott starteten ihren Wettlauf zum Südpol. Amundsen triumphierte; er gelangte am 14. Dezember 1911 zum Pol. Scott kam sechs Wochen später dort an; er und seine vier Begleiter erfroren auf den Rückweg. 100 Jahre später würdigen nun zwei Bücher die Eroberung des Pols.

Beide Bücher erzählen dieselbe Geschichte – eine Geschichte von Leidenschaft und Ehrgeiz, von der Faszination des ewigen Eises, einer menschenfeindlichen und doch anziehenden Natur, eine Geschichte von Hunger und Kälte, menschlichem Durchhaltevermögen und großer Dramatik. Und beide Bücher schaffen es, den Leser mitzunehmen – das eine traditionell und besser, das andere von der Herangehensweise mutiger, aber weniger mitreißend.

Kari Herbert, die Tochter des Polarforschers Wally Herbert, und ihr Ehemann Huw Lewis-Jones, Historiker am Scott Polar Research Institute in Cambridge, bieten einen informativen und toll aufgemachten Text-Bild-Band mit vielen, auch bislang unveröffentlichten Fotos von Expeditionen. Sie erzählen von James Cook, der Ende des 18. Jahrhunderts erstmals auf das südliche Packeis stieß, vom russischen Forscher Thaddeus von Bellinghausen, der vermutlich 1820 als erster den Kontinent – das Festland – betrat, und über weitere frühe Entdeckungsfahrten wie die von James Ross, der das große Schelfeisfeld entdeckte, von dem aus Amundsen und Scott 1911 aufbrachen.

Das Rennen der beiden ist entschieden, bevor es anfängt: Die Norweger sind extrem gut vorbereitet, körperlich und mental, sie sind polarerfahren, erstklassige Skifahrer und Hundeführer, während die Engländer von Beginn an unter falscher Planung und fehlender Erfahrung litten. So zeigte Scotts Idee, Ponys, deren Futter man extra mitnehmen musste, als Zugtiere zu nutzen, nicht von ausgeprägtem Pol-Sachverstand.

Der gründlichen und genauen Darstellung des Wettlaufs zum Pol folgt in "77° Süd" ein Abriss der weiteren Entdeckungsgeschichte. All das wird begleitet von Ausrissen aus Tagebüchern von Polareisenden der letzten hundert Jahre, von ihren Gedanken zum Südpol als Sehnsuchtsziel und ihren Erlebnissen.

Christian Jostmann hingegen versucht sich dem Wettlauf zwischen Scott und Amundsen literarisch zu nähern. Das hat einen gewissen Reiz, vor allem, weil es ihm oft gelingt, die Faszination des Polarraumes und der Entdecker sprachlich zu beschwören. Er beschreibt anhand von Tagebucheinträgen einzelne Szenen, die er filmisch montiert. Und doch überzeugt sein Buch nicht ganz. Zum einen, weil nicht klar ist, was historisch belegt ist und was Jostmanns eigene Rekonstruktion ist; zum anderen, weil er nicht offen legt, mit welcher Haltung er an den Stoff herangeht. Jostmann schreibt die Heldengeschichte Scotts – dessen Fehler in der Vorbereitung der Expedition lässt er aber weitgehend unberücksichtigt. Das dürfte er als Romancier, als Historiker darf er dass nicht.

Besprochen von Günther Wessel

Christian Jostmann: Das Eis und der Tod. Scott, Amundsen und das Drama am Südpol
Beck Verlag, München 2011
320 Seiten, 19,95 Euro

Kari Herbert und Huw Lewis-Jones: 77° Süd. Entscheidung am Südpol
Theiss Verlag, Stuttgart 2011
192 Seiten, 29,95 Euro
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