Der Liebestest
Obama kein Drama? Die Europäer werden sich noch wundern, was auf sie zukommt. Vielleicht wird der eine und andere an George W. zurückdenken. Der wusste, dass er in Europa nicht viel zu gewinnen hatte, und ließ die Europäer in Ruhe. Anders Barack Obama.
Seine Reise von Washington nach London, Straßburg/Kehl und Prag und dann weiter nach Istanbul und Ankara und, wenn er schon in der Nähe war, auch nach Bagdad, hat viele Erkenntnisse gebracht – darunter keine wichtiger als die, dass die Zeiten vorbei sind, da Europa sich auf die Zuschauerrolle zurückziehen konnte, Beifall klatschte oder, wie meist, den Beifall verweigerte. George W. Bush wurde gehasst. Jetzt lernen die Europäer, die zu mehr als 70 Prozent Obama den Sieg wünschten, die Schmerzen der Liebe.
Die Vereinigten Staaten verlangen nicht allein, dass die Nato schneller, leichter und beweglicher wird. Das Bündnis soll vor allem einsatzfähig und einsatzbereit sein. Dafür will Obama den mittlerweile 28 Mitgliedern Konsultation und Mitsprache bieten. Doch die gibt es nicht umsonst. Alle für einen, einer für alle – das war die Klammer, die die Nato zusammenhielt über 60 erfolgreiche Jahre. Wenn das auch in Zukunft gelten soll, dann müssen die Europäer sich anstrengen – nicht zuletzt die Deutschen. Dann hilft kein Verstecken hinter dem Grundgesetz, kein Bundesverfassungsgericht, kein Out-of-Area-Vorbehalt wie in der Vergangenheit. Sonst wird es kalt über dem Atlantik, und das Bündnis ist auf Termin gestellt – mit unausdenklichen politischen und materiellen Folgen.
Checkpoint Charlie und der Eiserne Vorhang sind Sache der Vergangenheit – Gott sei Dank. Die neue zentrale Front, in Wahrheit viele Fronten, liegt im weiteren Mittleren Osten, vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean. Das erklärt, warum Obama die Türkei umwirbt, nicht nur mit ehrenden Worten über alte Kultur und modernen Staat, sondern auch in Gestalt von Geschäften, für deren Kosten andere aufkommen sollen, namentlich die Europäer.
Die Türkei ist, jeder Blick auf den Globus beweist es, geostrategisch in einer Schlüsselstellung zwischen dem Westen und den Staaten des islamischen Krisenbogens. Obama sieht die Türkei als Teil der Lösung – die Europäer sind gespalten, sehen sie aber mehr und mehr als Teil des Problems.
Um den dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen als Generalsekretär der Nato durchzusetzen, begab sich Obama, und er nicht allein, in den Basar. Da wurde um Führungspositionen gefeilscht, und die Türkei bekam den Posten eines Stellvertretenden Nato-Generalsekretärs. Über die Sache lässt sich vielleicht noch streiten, über die Methode nicht. Der türkische Ministerpräsident ging bis an den Rand der Erpressung – und bekam, was er wollte. Hat er dafür Zugeständnisse gemacht in Sachen Zypern? Das türkische Nato-Veto für Informationsaustausch mit der EU aufgeweicht? Man war so taktvoll, derlei Pressionen gar nicht erst zu erwähnen.
Was die europäischen Staatsfrauen und -männer bisher unkommentiert ließen, war die größte aller Zumutungen aus den USA. Obama machte sich, wie seine Vorgänger zuvor, zum Anwalt der Türkei in Sachen EU-Beitritt. Die amerikanischen Interessen sind klar: Stabilisierung eines schwankenden, schwierigen Landes im Kreuzungspunkt der Weltpolitik. Zählt dazu aber auch Überdehnung, Entzweiung und gar Lähmung der EU? Alles das ist absehbar, wenn die Europäer die längst festgefressenen Verhandlungen wieder in Gang bringen – nicht weil Ankara nachgibt, sondern weil Washington insistiert.
Wenn man diese Ereignisse in die Zukunft projiziert, dann wird die Liebe der Europäer zu Obama hart getestet, noch mehr aber ihre Fähigkeit, die eigenen Interessen zu vertreten, gerade in Sachen Türkei-Beitritt. Geht es nach Washington und Ankara und die Türkei wird Mitglied der EU, sind die besten Zeiten vorbei. Der dann größte EU-Staat würde, so ist die Lehre, permanent die islamische Karte spielen, die Amerikaner als Anwalt vorschicken, die deutsche Innenpolitik verwandeln und, was finanzielle Wohltaten anlangt, Koppelgeschäfte ohne Ende erbitten, verhandeln, erpressen. Die immer engere Union, die Europa einmal wollte, wird dann zum immer weiteren Basar.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u. a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: „Das ruhelose Reich“, „Dissonanzen des Fortschritts“, „Bismarck – die Grenzen der Politik“ und zuletzt „Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte“. Im sogenannten ‘Historikerstreit’ entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, schreibt jetzt für die „Welt“ und die „Welt am Sonntag“.
Die Vereinigten Staaten verlangen nicht allein, dass die Nato schneller, leichter und beweglicher wird. Das Bündnis soll vor allem einsatzfähig und einsatzbereit sein. Dafür will Obama den mittlerweile 28 Mitgliedern Konsultation und Mitsprache bieten. Doch die gibt es nicht umsonst. Alle für einen, einer für alle – das war die Klammer, die die Nato zusammenhielt über 60 erfolgreiche Jahre. Wenn das auch in Zukunft gelten soll, dann müssen die Europäer sich anstrengen – nicht zuletzt die Deutschen. Dann hilft kein Verstecken hinter dem Grundgesetz, kein Bundesverfassungsgericht, kein Out-of-Area-Vorbehalt wie in der Vergangenheit. Sonst wird es kalt über dem Atlantik, und das Bündnis ist auf Termin gestellt – mit unausdenklichen politischen und materiellen Folgen.
Checkpoint Charlie und der Eiserne Vorhang sind Sache der Vergangenheit – Gott sei Dank. Die neue zentrale Front, in Wahrheit viele Fronten, liegt im weiteren Mittleren Osten, vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean. Das erklärt, warum Obama die Türkei umwirbt, nicht nur mit ehrenden Worten über alte Kultur und modernen Staat, sondern auch in Gestalt von Geschäften, für deren Kosten andere aufkommen sollen, namentlich die Europäer.
Die Türkei ist, jeder Blick auf den Globus beweist es, geostrategisch in einer Schlüsselstellung zwischen dem Westen und den Staaten des islamischen Krisenbogens. Obama sieht die Türkei als Teil der Lösung – die Europäer sind gespalten, sehen sie aber mehr und mehr als Teil des Problems.
Um den dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen als Generalsekretär der Nato durchzusetzen, begab sich Obama, und er nicht allein, in den Basar. Da wurde um Führungspositionen gefeilscht, und die Türkei bekam den Posten eines Stellvertretenden Nato-Generalsekretärs. Über die Sache lässt sich vielleicht noch streiten, über die Methode nicht. Der türkische Ministerpräsident ging bis an den Rand der Erpressung – und bekam, was er wollte. Hat er dafür Zugeständnisse gemacht in Sachen Zypern? Das türkische Nato-Veto für Informationsaustausch mit der EU aufgeweicht? Man war so taktvoll, derlei Pressionen gar nicht erst zu erwähnen.
Was die europäischen Staatsfrauen und -männer bisher unkommentiert ließen, war die größte aller Zumutungen aus den USA. Obama machte sich, wie seine Vorgänger zuvor, zum Anwalt der Türkei in Sachen EU-Beitritt. Die amerikanischen Interessen sind klar: Stabilisierung eines schwankenden, schwierigen Landes im Kreuzungspunkt der Weltpolitik. Zählt dazu aber auch Überdehnung, Entzweiung und gar Lähmung der EU? Alles das ist absehbar, wenn die Europäer die längst festgefressenen Verhandlungen wieder in Gang bringen – nicht weil Ankara nachgibt, sondern weil Washington insistiert.
Wenn man diese Ereignisse in die Zukunft projiziert, dann wird die Liebe der Europäer zu Obama hart getestet, noch mehr aber ihre Fähigkeit, die eigenen Interessen zu vertreten, gerade in Sachen Türkei-Beitritt. Geht es nach Washington und Ankara und die Türkei wird Mitglied der EU, sind die besten Zeiten vorbei. Der dann größte EU-Staat würde, so ist die Lehre, permanent die islamische Karte spielen, die Amerikaner als Anwalt vorschicken, die deutsche Innenpolitik verwandeln und, was finanzielle Wohltaten anlangt, Koppelgeschäfte ohne Ende erbitten, verhandeln, erpressen. Die immer engere Union, die Europa einmal wollte, wird dann zum immer weiteren Basar.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u. a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: „Das ruhelose Reich“, „Dissonanzen des Fortschritts“, „Bismarck – die Grenzen der Politik“ und zuletzt „Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte“. Im sogenannten ‘Historikerstreit’ entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, schreibt jetzt für die „Welt“ und die „Welt am Sonntag“.

Michael Stürmer© Deutschlandradio / Bettina Straub