Der Lichtschneider

Von Jochen Stöckmann |
Der in Berlin lebende Künstler Matthias Mansen ist einer der profiliertesten Holzschneider der Gegenwart. Die Ausstellung "Matthias Mansen. Land und See" zeigt mit rund 30 Werken erstmals in größerem Umfang die in den letzten zehn Jahren entstandenen Holzschnitte mit Landschaften und Seestücken.
Segeltörn, die erste: Weiß sprüht die Gischt über bleigrauem Grund, Wolken treiben vorüber, Regen prasselt, mächtige Wellen rollen heran. Segeltörn, die zweite: Da ist das Steuerrad, ein Kompass, Bullaugen und die Leinen, der Fender hinter den Lüftungsstutzen. Segeltörn, die dritte: Gestalten tauchen auf, einer liegt in der Koje, der andere steht am Steuer, ein dritter macht sich am Segel zu schaffen – zu sehen ist nur Stückwerk, ein Kopf, die Beine, die Arme. So hat es Matthias Mansen bei seiner Atlantiküberquerung erlebt – und ins Bild gesetzt.

"Diese drei Ebenen habe ich ineinander verschoben, wirklich physisch auf- und übereinander gelegt, auch so gedruckt, immer weiter zersägt. Es ist ein kompliziertes Puzzle entstanden. Und ich hatte als Grundvorstellung eigentlich immer so einen Orientteppich, einen Bilderzählungsteppich letzten Endes."

Das zu erreichen, bedurfte es einer althergebrachten Technik. Nicht literarisch, nicht malerisch, ohne Foto oder Film – sondern allein mit dem Holzschnitt hat Mansen seine Eindrücke umgesetzt. Extreme Hoch- und Querformate, Papierbahnen von bis zu drei Metern hängen in der Rotunde der Hamburger Kunsthalle. Die dazugehörigen Vorlagen sind wesentlich kleiner, werden im Berliner Atelier nacheinander und mit überraschender Farbigkeit von Hellgrün über Preußischblau bis Englischrot in Handarbeit aufs Papier gebracht:

"Klar, das Durchreiben von sehr unterschiedlichen Druckstöcken, die unterschiedliche Höhen haben, die grob sind, fein sind, erfordert einen gewissen Druck auf das Papier und mutet ihm auch einiges zu. Deshalb bin ich auch auf gute, langfasrige Kunstdruckpapiere angewiesen, die das mitmachen. Häufig nehme ich aber auch gerne ein Packpapier oder irgendetwas industriell Vorgefertigtes – das ist heikler, da muss ich mehr aufpassen."

Und genau darauf kommt es Mansen an, der Anfang der Achtziger bei Georg Baselitz und Markus Lüpertz Malerei studierte, dann aber nach neuen Herausforderungen suchte: Holzschnitt verlangt permanente Konzentration, stets gespannte Aufmerksamkeit, denn dieser Werkprozess lässt kein Übermalen, kein Ausbessern zu. Hier trägt jedes Bild die Spuren seiner Entstehung unauslöschlich mit sich:

"Eine Platte schneiden, sie abdrucken, die Platte verändern, eine neue hinzufügen, einen neuen Abdruck machen. So entstehen wirklich Dokumente einer Arbeitsweise. Und das gibt einfach eine Dimension, die ich so in der Malerei nicht gefunden habe. Ich war immer sehr enttäuscht über das auslöschende Überlagern in der Malerei."

Der Holzschneider dagegen arbeitet immer auf der Kippe. Kaum zu glauben, aber vier Birkenmotive im schlanken Hochformat – soeben für das Hamburger Kupferstichkabinett angekauft – sind allesamt Unikate. Von Abzug zu Abzug hat Mansen ein und denselben Druckstock fortwährend verändert, das Bild dabei bis in die Abstraktion getrieben. So etwas erfordert nicht nur präzise Vorarbeit, sondern auch Vorstellungsvermögen, Imagination. Denn wer kann heute noch einer schlichten Holzplanke – oft ist es einfach nur ein billiges Regalbrett – ansehen, welches Druck-Bild daraus hervorspringen wird?

"Man nimmt die Welt nur noch als mediale Module wahr und ich versuche dagegen zu setzen, dass man tatsächlich noch eine eigene Beobachtung machen kann, sie ausarbeiten, darstellen und in einen komplexen Bildzusammenhang einfügen kann. Ganz naiv kann ich es nur ausdrücken: Ich versuche, mir ein Bild der Welt zu machen."

Angefangen hat das nicht auf dem einsamen Segelboot, auch nicht in einer abgelegenen Künstlerkolonie, sondern mitten in New York, wo Matthias Mansen von 1989 bis 1994 gelebt und gearbeitet hat – an einer Serie über alles, was so tagtäglich in einem gewöhnlichen Wohnhaus vorkommt:

"Man sollte annehmen, man stürzt sich auf alles, was man an Neuem sieht. Aber bei mir ist dieser Zyklus 'About the house' entstanden. Man könnte sagen, thematisch ein Rückzug oder eine Rückbesinnung. Das war notwendig für mich, dass man sich innerhalb dieser gesamten Möglichkeiten – und damals noch stärker als heute war die Kunst auf New York konzentriert – sich seines eigenen Platzes erst einmal vergewissert."

Aus dieser Position heraus betrachtet Mansen heute Berlin, etwa den Tiergarten zu verschiedenen Jahreszeiten. Zum Grundton grün kommt für den Frühling gelb und hellblau, im Sommer Orange und Preußischblau, für den Herbst Ocker und Sepia und im Winter schließlich Krapplack und rosa. Aber nicht allein die Farben sorgen für die ganz spezielle Atmosphäre, erst die Mischung mit einer fast abstrakten Struktur von jeweils acht oder neun einzelnen Druckstöcken läßt innerhalb dieser Serie ein typisches Bild entstehen.

"Da gibt es einen Nahbereich, also Blättchenstrukturen, es gibt eine Mitteldistanz, zum Beispiel einen hängenden Zweig, es gibt eine Totale, einen Blick in so ein Waldesdunkel. Und aus diesen drei Eindrücken entsteht in einer collagierenden Arbeitsweise dann das Gesamtmotiv."

Für den "Sonnenuntergang bei Zermützel" taten es noch fünf übereinander angeordnete Planken, die durchgeriebene Holzstruktur eingefärbt von leuchtendrot bis tiefschwarz.
Neuerdings aber richtet Mansen seinen Blick immer häufiger in weite Landschaften – und das hat Folgen:

"Um für die Repräsentation eines Objektes, eines Gegenstandes, einer Figur möglichst wenig tun zu müssen, habe ich im Grunde immer eins zu eins gearbeitet: Eine Flasche in meinem Bild war so groß wie eine Flasche in der Wirklichkeit, ein Kopf auch ungefähr so groß. Das geht bei einer Landschaft nicht. Die fängt meistens größer an, fängt an zu wachsen – und ich bin permanent damit beschäftigt, sie einzuschränken und in ein Format zu zwingen."

Dabei allerdings kommt Mansen eines zugute: Er muss sich nicht um die Bändigung wuchtiger Striche, schroffer Konturen sorgen, denn bei diesem Holzschneider – und das ist ebenso unorthodox wie spannend – bei diesem Griffelkünstler kommt es auf die Vielschichtigkeit der Farbe an, auf räumliche Eindrücke, auf durchaus malerische Effekte:

"Wenn ich mit dem Stecheisen kleine, viereckige Würfel schneide und mir ein Gesicht vorstelle im Profil, dann fange ich an zu schneiden – und ich sehe: Über das entstehende Licht entsteht die Form, entsteht der Kopf. Und das ist wie ein Herauskommen, aus einem dunklen Untergrund baut sich das auf. Ich schneide Licht und keine Linien!"

Service: Die Ausstellung "Matthias Mansen. Land und See" ist vom 13. Juli 2007 bis 16. September 2007 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen.