Der Liberalismus – ein Auslaufmodell?
Genau vor einem Jahr war alles noch ganz sonnenklar: 1:0 gegen Polen in der letzten Spielminute, und ab die Kirsche. Olé olé. Doch pünktlich zum Jubiläum des deutschen Sommermärchens tauchen die Probleme wieder auf.
SPD-Chef Kurt Beck ist frustriert über den Höhenflug von Angela Merkel und wettert gegen den „Neoliberalismus“ in der CDU, die selbst nicht weiß, was das eigentlich ist. Von Heiner Geißler einmal abgesehen, der deshalb ja auch Mitglied bei „attac“ ist.
Claudia Roth, die grüne Wiedergeburt der posttrojanischen Sirene aus dem Geiste der Kindertröte, marschiert mit den G8-Gegnern im „Klimablock“ und beschwert sich über den bösen Zaun von Heiligendamm. Vor zwei Jahren hätte sie ihre Erklärungen noch auf der anderen Seite des Zauns abgegeben.
Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU, näselt weiter ziellos am kaum sichtbaren Profil der CDU herum, und die CSU ist vor allem mit sich selbst beschäftigt: Horst Seehofer, ein Mann, zwei Frauen, ein Baby – und dann noch CSU-Vorsitzender werden wollen: Geht das?
Am wenigsten Probleme hat die neue Linkspartei. Ihre politischen Thesen sind so alt, dass sie vielen Wählern schon wieder ganz jung erscheinen: Vorwärts im Friedenskampf, nieder mit dem Manchesterkapitalismus vulgo Globalisierung!
Apropos Manchesterkapitalismus: Was macht eigentlich die FDP? Man hört so gar nichts mehr. Hat sie keine Probleme? Oder sind es so viele, dass sie gar keiner hören will?
Eben noch „Projekt 18“, nun nur noch, laut „Forsa“, 8 Prozent – hinter Grünen und Linkspartei. Guido Westerwelle, einst mit dem Guidomobil auf der Überholspur, wirkt im Augenblick wie ein Mann im Fiat Uno. Da hat er was mit Kurt Beck gemeinsam, dem Senioren-Knut aus Mainz am Rhein.
Jetzt soll der FDP-Parteitag in Stuttgart am Wochenende das Signal zum Aufbruch geben. Das Motto „Freiheit, Fairness, Chancen!“ klingt zwar ein bisschen nach „Media Markt“ und „Möbel Hübner“, aber Generalsekretär Dirk Niebel verspricht, dass die Liberalen eine „Programmpartei“ mit „konkreten Handlungsoptionen“ bleiben. Wie schön. Die „vergessene Mitte“ wird sich freuen. Neben dem Leitantrag „Freiheit, Fairness, Chancen“ gibt es 34 „Fachanträge“ und über 100 „inhaltliche Anträge“. Sind die Fachanträge also nicht inhaltlich?
Ein sehr FDP-typischer Satz steht ganz am Ende der liberalen Niebel(ungen)-Prosa, bei dem es um Personalentscheidungen geht: „Es wird voraussichtlich keine Veränderungen geben“ – für den Generalsekretär nicht mehr und nicht weniger als „ein weiteres Element für den Substanzgewinn der Partei“. Aha. Wenn sich nichts ändert, ist das also ein liberaler Substanzgewinn. Wie ist das bitte zu verstehen? Soll sich am Ende also doch nichts ändern, damit keine Substanz verloren geht?
Derart vertrackte Gedankenführung macht es dem Liberalismus in Deutschland immer wieder schwer. Dabei hat er durchaus etwas zu sagen, aber seine Botschaften kommen oft noch phrasenhafter daher als die Grundsatzbekenntnisse anderer Parteien.
„Nur die Freiheit taugt für morgen!“ lautete etwa die Überschrift einer programmatischen Westerwelle-Rede zu Zeiten von Rot-Grün, dem politischen Erzfeind. „Jedes Mehr an Freiheit“ bedeute auch ein „Mehr an Verantwortung“.
Dabei müsse man vor allem auf „Bildung und Innovation“ setzen, auf „das Gold in den Köpfen“, auf das „konsequente Eintreten für Zukunftschancen“. Kabarettisten vom Schlage eines Dieter Hildebrandt würden das Bonmot natürlich sofort umändern in das „Eintreten von Zukunftschancen“. Aber eine Spaßpartei will die FDP ja nun nicht mehr sein.
Der idealistische Kern des Liberalismus ist der Glaube an „die Entfaltungsmöglichkeiten des Bürgers“. Also spricht Guido Westerwelle und ist damit so konkret wie die Globalisierungsgegner von Heiligendamm, die riefen „Eine andere Welt ist möglich“.
Ja klar.
Aber wie? Und welche?
Die Krux der FDP besteht in einem Grundkonflikt: Einerseits will man alle Wähler ins Paradies der Freiheit locken, andererseits ist klar,
dass der Liberalismus, wenn man sein Freiheitspathos ernst nimmt, eher eine individuelle Herausforderung ist als ein Parteiprogramm mit schönen Versprechungen: Steuern runter, freie Fahrt für freie Bürger!
Es kommt also tatsächlich auf den Einzelnen an, auf seinen Mut, seine Unabhängigkeit, seine Aufgeklärtheit und Vernunft. Er muss sich gegen Widerstände auch von Mehrheiten behaupten, wenn sie das Falsche wollen, und er muss seinen Preis dafür zahlen, den keine Versicherung der Welt übernimmt. Nicht mal Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer. Menschen dieses Schlages sind aber überall in der Minderheit. Auch in der FDP.
Deshalb kann Westerwelles Prophezeiung „Wir werden den Bürgern ihren Staat zurückgeben“ auch als Drohung aufgefasst werden. Gott sei Dank aber, und da ist er wieder ganz Guido, meint er es nicht wirklich ernst.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für „Spiegel Online“. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des „Spiegel“. Weiter journalistische Stationen waren der „Stern“, „Pflasterstrand“, die „tageszeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Letzte Buchveröffentlichungen: „Das Deutschlandgefühl“ und „Generation Z“. Mohr lebt in Berlin-Mitte.
Claudia Roth, die grüne Wiedergeburt der posttrojanischen Sirene aus dem Geiste der Kindertröte, marschiert mit den G8-Gegnern im „Klimablock“ und beschwert sich über den bösen Zaun von Heiligendamm. Vor zwei Jahren hätte sie ihre Erklärungen noch auf der anderen Seite des Zauns abgegeben.
Ronald Pofalla, Generalsekretär der CDU, näselt weiter ziellos am kaum sichtbaren Profil der CDU herum, und die CSU ist vor allem mit sich selbst beschäftigt: Horst Seehofer, ein Mann, zwei Frauen, ein Baby – und dann noch CSU-Vorsitzender werden wollen: Geht das?
Am wenigsten Probleme hat die neue Linkspartei. Ihre politischen Thesen sind so alt, dass sie vielen Wählern schon wieder ganz jung erscheinen: Vorwärts im Friedenskampf, nieder mit dem Manchesterkapitalismus vulgo Globalisierung!
Apropos Manchesterkapitalismus: Was macht eigentlich die FDP? Man hört so gar nichts mehr. Hat sie keine Probleme? Oder sind es so viele, dass sie gar keiner hören will?
Eben noch „Projekt 18“, nun nur noch, laut „Forsa“, 8 Prozent – hinter Grünen und Linkspartei. Guido Westerwelle, einst mit dem Guidomobil auf der Überholspur, wirkt im Augenblick wie ein Mann im Fiat Uno. Da hat er was mit Kurt Beck gemeinsam, dem Senioren-Knut aus Mainz am Rhein.
Jetzt soll der FDP-Parteitag in Stuttgart am Wochenende das Signal zum Aufbruch geben. Das Motto „Freiheit, Fairness, Chancen!“ klingt zwar ein bisschen nach „Media Markt“ und „Möbel Hübner“, aber Generalsekretär Dirk Niebel verspricht, dass die Liberalen eine „Programmpartei“ mit „konkreten Handlungsoptionen“ bleiben. Wie schön. Die „vergessene Mitte“ wird sich freuen. Neben dem Leitantrag „Freiheit, Fairness, Chancen“ gibt es 34 „Fachanträge“ und über 100 „inhaltliche Anträge“. Sind die Fachanträge also nicht inhaltlich?
Ein sehr FDP-typischer Satz steht ganz am Ende der liberalen Niebel(ungen)-Prosa, bei dem es um Personalentscheidungen geht: „Es wird voraussichtlich keine Veränderungen geben“ – für den Generalsekretär nicht mehr und nicht weniger als „ein weiteres Element für den Substanzgewinn der Partei“. Aha. Wenn sich nichts ändert, ist das also ein liberaler Substanzgewinn. Wie ist das bitte zu verstehen? Soll sich am Ende also doch nichts ändern, damit keine Substanz verloren geht?
Derart vertrackte Gedankenführung macht es dem Liberalismus in Deutschland immer wieder schwer. Dabei hat er durchaus etwas zu sagen, aber seine Botschaften kommen oft noch phrasenhafter daher als die Grundsatzbekenntnisse anderer Parteien.
„Nur die Freiheit taugt für morgen!“ lautete etwa die Überschrift einer programmatischen Westerwelle-Rede zu Zeiten von Rot-Grün, dem politischen Erzfeind. „Jedes Mehr an Freiheit“ bedeute auch ein „Mehr an Verantwortung“.
Dabei müsse man vor allem auf „Bildung und Innovation“ setzen, auf „das Gold in den Köpfen“, auf das „konsequente Eintreten für Zukunftschancen“. Kabarettisten vom Schlage eines Dieter Hildebrandt würden das Bonmot natürlich sofort umändern in das „Eintreten von Zukunftschancen“. Aber eine Spaßpartei will die FDP ja nun nicht mehr sein.
Der idealistische Kern des Liberalismus ist der Glaube an „die Entfaltungsmöglichkeiten des Bürgers“. Also spricht Guido Westerwelle und ist damit so konkret wie die Globalisierungsgegner von Heiligendamm, die riefen „Eine andere Welt ist möglich“.
Ja klar.
Aber wie? Und welche?
Die Krux der FDP besteht in einem Grundkonflikt: Einerseits will man alle Wähler ins Paradies der Freiheit locken, andererseits ist klar,
dass der Liberalismus, wenn man sein Freiheitspathos ernst nimmt, eher eine individuelle Herausforderung ist als ein Parteiprogramm mit schönen Versprechungen: Steuern runter, freie Fahrt für freie Bürger!
Es kommt also tatsächlich auf den Einzelnen an, auf seinen Mut, seine Unabhängigkeit, seine Aufgeklärtheit und Vernunft. Er muss sich gegen Widerstände auch von Mehrheiten behaupten, wenn sie das Falsche wollen, und er muss seinen Preis dafür zahlen, den keine Versicherung der Welt übernimmt. Nicht mal Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer. Menschen dieses Schlages sind aber überall in der Minderheit. Auch in der FDP.
Deshalb kann Westerwelles Prophezeiung „Wir werden den Bürgern ihren Staat zurückgeben“ auch als Drohung aufgefasst werden. Gott sei Dank aber, und da ist er wieder ganz Guido, meint er es nicht wirklich ernst.
Reinhard Mohr, geboren 1955, schreibt für „Spiegel Online“. Zuvor war Mohr langjähriger Kulturredakteur des „Spiegel“. Weiter journalistische Stationen waren der „Stern“, „Pflasterstrand“, die „tageszeitung“ und die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Letzte Buchveröffentlichungen: „Das Deutschlandgefühl“ und „Generation Z“. Mohr lebt in Berlin-Mitte.