Der lächelnde Prophet

Von Kirsten Dietrich · 19.01.2008
Wenn hierzulande vom Islam die Rede ist, denken viele zunächst an fundamentalistische Fanatiker, die dem Leben auf Erden wenig Freuden abgewinnen können. Dabei ist der Islam keineswegs eine humorlose Religion. Der Prophet Mohammed soll oft und gerne gelacht haben.
"Es gibt Hadithsammlungen, islamische Überlieferungen, die zeigen, dass Mohammed ein humorvoller Mensch war. Es kam einmal eine ältere Frau zu ihm, die sagte, Oh Gesandter Allahs, bitte Gott, dass ich in das Paradies eintreten kann. Und er meinte, alte Frauen kommen nicht ins Paradies. Darauf fing die Frau an zu weinen, weil sie dachte, dass sie nicht ins Paradies kommen wird, woraufhin der Prophet sagte, es ist richtig, dass alte Frauen nicht ins Paradies kommen werden – du kommst ins Paradies, aber als junge Frau. Also er hat sozusagen sich durch die zweideutige Aussage ein kleines Späßchen mit der alten Frau erlaubt."

Der Prophet Mohammed als milder Scherzemacher im Kreis von Freunden und Familie – dieses Bild hat sicher selten vor Augen, wer über den Islam spricht. Zumindest nicht im westlichen Kulturkreis. Der Islam hat ein Humorproblem. Nämlich das Vorurteil, er hätte keinen. Ein führender Funktionär forderte vor nicht allzu langer Zeit von deutschen Komikern, endlich auch Scherze über den Islam zu wagen – wohlmeinende natürlich, keine herabwürdigenden. Als Beispiel zitierte er die Geschichte vom Propheten und der alten Frau. Recht hat er, findet Ferit Heider, Imam am interkulturellen Zentrum für Dialog und Bildung in Berlin.

"Wichtig ist, dass der Islam eine Religion ist, die alle Lebensbereiche umfasst. Wenn ich Späße mache als Muslim, weiß ich, dass das auch zu meinem Glauben gehört, solang ich auf Grenzen achte, dass ich sie nicht überschreite. Wenn ich das tue, dann spricht dem auch nichts entgegen, dass ich meinen Spaß habe und über bestimmte Sachen lache."

"Es ist überliefert, dass der Prophet Mohammed sehr ausgiebig gelacht hat, Scherze erzählt hat, dass er Humor hatte, ich finde es deshalb so faszinierend, weil von anderen Religionsstiftern nicht in der Weise überliefert ist, es gibt zahlreiche Stellen, wo von seinem Lachen, sehr ausgiebigen Lachen, so stark, dass man seine Weisheitszähne gesehen hat, berichtet wird, das fand ich was sehr faszinierendes und erfrischendes."

Der Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp beschäftigt sich mit dem Verhältnis der Religionen zum Humor. Die islamische Tradition hat es ihm besonders angetan, vielleicht, weil man von ihr außerhalb der Religionsgemeinschaft so wenig weiß.

"Ein Mann kam zum Propheten und sagte: 'Ich habe im Ramadan meiner Frau beigewohnt.' Daraufhin sagte der Prophet: 'Als Strafe sollst du den Ärmsten Datteln schenken.' Da sagt der Mann: 'Aber ich bin selbst der Ärmste!' Daraufhin musste der Prophet lachen und sagte: 'Dann schenk die Datteln eben deiner Frau!'"

"Jetzt ist die Frage, wie interpretiert man die Geschichte. Man kann das durchaus als wohlwollenden, menschenfreundlichen Humor betrachten, so würde ich es interpretieren, weil Prophet an diesem Punkt vielleicht auch gemerkt hat, dass Gesetze und Strafen eben von Menschen gemacht sind und an dem Punkt auch an ihre Grenzen kommen, und an dem Punkt ist es eben paradox, sich selbst die Datteln zu schenken, macht keinen Sinn, deshalb sagt er, wie ich finde sehr weise, dann schenk sie eben deiner Frau."

Wenn Mohammed lacht, dann meist über Dinge, die einem Auserwählten Gottes zukommen: über einen Sündenerlass durch Gott oder Träume, die die Reihen der Betenden zeigen. Ein frommes, wohlgefälliges Lachen. Selten allerdings eines aus reiner Belustigung. In den frühen Überlieferungen wird ein prophetisches Lachen überliefert, das bis zu den Weisheitszähnen reicht. Späterer Tradition war das wohl unheimlich – man verstand die entsprechenden Passagen dann lieber als Lächeln. Denn wer aus vollem Herzen lacht, bis auf die Weisheitszähne eben, steht immer auch in der Gefahr, seine Würde zu verlieren.

"Gibt durchaus viele Verse im Koran, in denen Lachen erwähnt wird, nicht immer im positiven Kontext, auch spöttisches Lachen, aber Lachen wird erwähnt, nicht unbedingt im Zusammenhang mit Humor, ist ja Offenbarung, wo nicht um Humor geht, sondern um Glaubensfragen. Unser Prophet Mohammed hat immer gelächelt. So gut wie immer. Außer natürlich, wenn er zornig gewesen war, das ist andere Sache, aber sonst immer gelächelt."
Aus der Überlieferung: Er war einer der heitersten Menschen, wenn er allein mit seiner Familie war, und einer der ernstesten, wenn er Audienz hielt.

Rund 50 Belege sind überliefert davon, dass Mohammed gelacht habe – zum Vergleich: von Jesus oder Moses gibt es nichts dergleichen, nur von Abraham. Allerdings erzählt nicht der Koran vom lachenden Propheten, sondern die Hadithen, die begleitenden Überlieferungen aus dem Leben und der Zeit Mohammeds. Wenn auch deren Authentizität immer wieder Gegenstand von Debatten ist, so ist doch eines unbestritten: in der islamischen Welt kommt den Hadithen höchster Rang zu, wenn es um Quellen zu Fragen des Verhaltens im Alltag geht. Die Hadithen für das beispielhafte Lachen, der Koran für die Glaubensfragen - Imam Ferit Heider findet die zweigeteilte Überlieferung zum Lachen der Sache angemessen.

"Der Koran ist ein Buch, in dem es auch Geschichten gibt, aber Geschichten, aus denen man als Muslim Lehren ziehen sollte. Oft werden Details weggelassen, es geht wirklich nur um das Wesentliche, die Lektionen, die man aus den Geschichten ziehen kann. Und dann geht es natürlich um den Glauben selbst, den Eingottglauben, dass immer wieder dieses Thema behandelt wird, da gibt es eigentlich nicht viel zu lachen. Der Koran ist dazu da, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, dass sie sich über sich selbst, die Natur, die Schöpfung Gedanken machen sollen, um dadurch zum Glauben zu finden an Gott."

"Humorvolle und auch spottende Lehrgeschichten, die insbesondere die Bigotterie sehr in Frage stellen, dass es die gibt, gepflegt werden, auch in ziemlicher Kontroverse zum orthodoxen Islam stehen, aber sie werden gepflegt und immer weiter erzählt, in der Form des Witzes ist es eben möglich, Kritik zu üben. Der normale Mensch kann an der Bigotterie von einigen Gläubigen Kritik üben, ohne dafür gleich zur Rechenschaft gezogen zu werden."

"Ein Mann, der behauptete, ein Prophet zu sein, wurde dem Kalifen al-Mahdi vorgeführt. Der Kalif fragte ihn: 'Bist du ein Prophet?'
'Gewiss, o würdiger Fürst der Gläubigen', sagte der Mann.
'Zu welchem Volk wurdest du gesandt?'
Da entgegnete der Mann: 'Habt Ihr mir denn Zeit gelassen? Kaum hatte ich die Botschaft Gottes empfangen, da habt Ihr mich schon in Ketten gelegt!'
Da lachte der Mahdi und ließ den Mann frei."

Es gibt einen Zweig der islamischen Tradition, in der diese Form von Humor regelrecht zur Kunstform erhoben wurde: in der Gemeinschaft der Aleviten.

"Humor nimmt in der alevitisch-bekdaschidischen Religion einen bedeutenden Platz ein, das führt auch dazu, dass die Menschen allgemein im Umgang mit Religion und Glauben etwas toleranter und zugänglicher sind und nicht so dogmatisch sind. Durch den Humor."

Ahmed Tana, Vorstandsmitglied im Kulturzentrum der Anatolischen Aleviten in Berlin. Die Aleviten teilen Überlieferungen mit der schiitischen Ausrichtung des Islam, betrachten den Koran aber nicht als normativ und folgen nicht den sogenannten fünf Säulen des Islam für die ethisch-religiöse Strukturierung des Alltags.

"Unser Gott oder Gott in alevitischer Vorstellung ist eben viel menschlicher und hat auch seine Schwächen. Wenn man die ganzen Restriktionen, Regeln, Gebote aufstellt, das können Menschen zu 100 Prozent nie erfüllen, Menschen denken vielfältig und tun Sachen, die andere Menschen vielleicht nicht für richtig empfinden, aber so sind Menschen, daher kann Gott nicht verlangen, dass Menschen 100 Prozent nach Regeln leben, sondern unsere Auffassung ist, dass eben ein System da sein muss oder Wertegerüst, für die Menschen sich allgemein drin befinden, ohne dass sie sich jetzt irgendwo festnageln oder verbissen an einer Regel festhalten."

Die Freiräume zwischen den tragenden Säulen des Wertegerüsts sind dann der Ort, an dem der Humor wohnen kann. Ein Humor, der durchaus bissig ist, vor allem, wenn es gegen Heuchlerei und falsche Frömmigkeit geht. Träger dieses Humors ist oft der dem mystischen Sufismus nahe stehende Orden der sogenannten Bektaschi-Mönche. Von ihnen sind umfangreiche Sammlungen von Witzen überliefert. Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp:

"Ein Bektaschi ist in der Moschee und hört, wie ein Gläubiger murmelt: 'O Gott gib mir mehr Glauben.' Daraufhin fängt der Bektaschi an: 'O Gott, gib mir Schnaps!' Das hören die anderen und sagen: 'Wie kannst du es wagen, in der Moschee um Alkohol zu bitten?' Darauf sagt der Bektaschi: 'Jeder betet um das, was er nicht hat.'"

Ihre Verkörperung findet dieser Humor in der Figur des Nasreddin Hodscha. Ob es wirklich einen Mystiker dieses Namens gegeben hat, ist unsicher. Doch seit dem 13. Jahrhundert wird von diesem heiligen Narren des alevitischen Humors erzählt, der mit seinem Verhalten aufgeblasene Würdenträger genauso wie allzu heilige Gläubige auf die Schippe nimmt – als Zeugnis seines Glaubens, sagt Ahmed Tana.

"Viele bekdaschidische Geschichten scheinen im ersten Betrachten respektlos zu wirken, aber sie erklären es damit, dass es eigentlich nicht respektlos ist, sondern es ist eine andere Verbundenheit mit Glauben und Gott. Sie gehen sogar so weit, dass sich als Liebende bezeichnen. Und Liebende in Bezug auf Gott. Aber die Herangehensweise an Gott ist fundamental anders als die gängige Art Glaubensverrichtung, aber durch solche Einstellung dachten und denken sie immer noch – und die Menschen, die diesem Glauben angehören – dass sie sich Gott in besonderer Weise annähern."

"In jeder Religionsgemeinschaft gibt es ein Misstrauen gegen Humor und Lachen letztlich, weil jedes lachen Autoritäten in Frage stellt. Und die Frage ist, wie weit kann ein Mensch überhaupt in einer Gemeinschaft zulassen, dass eine Autorität in dieser Gemeinschaft in Frage gestellt wird. Das ist ja das Faszinierende am Humor, dass gerade das eine Möglichkeit ist, die Begrenztheit des Menschen auszudrücken, und das kann nicht jeder zulassen. Grad wenn Autoritäten wie Mohammed dadurch vielleicht in Frage gestellt würden, bewegen wir uns in Bereich, der für Religionen empfindlicher Bereich ist."

Religionswissenschaftler Harald-Alexander Korp. Im Islam lässt sich dieses explosive Potenzial des Humors gut beobachten: natürlich wird auch im Islam gelacht – aber dieses Lachen soll kein Selbstzweck sein. Es wird geregelt. Imam Ferit Heider:

"Wichtig ist, das ist die Nummer eins, man sollte nicht lügen. Eine wichtige andere Sache ist, dass man es auch nicht übertreiben sollte. Man sollte wissen, wann man ernst sein muss und wann man Spaß haben kann. Ist eine ganz wichtige Sache. Des Weiteren wichtig: dass man sich nicht über andere lustig macht und versucht, über andere zu spotten, damit man andere zum Lachen bringt. Das kränkt andere Menschen, und als Moslem darf man keine anderen Menschen kränken, weil hier hört der Spaß auf, wo sich einer gekränkt fühlen könnte."

Das klingt klar, ist es aber natürlich nicht – wie immer, wenn Humor im Spiel ist. Was für den einen eine gelungene Satire ist, ist für den anderen Gotteslästerung. Der Imam versucht eine Grenzziehung.

"Man kann Witze über Anhänger machen und über einige Phänomene. Aber über die Religion selbst und die Heiligkeiten dieser Religion, da sollte man einfach Grenzen setzen."

"Aus alevitischer Sicht kann ich das so sehen, wir hatten diese Strenge nicht, zwar haben wir auch Texte, aber wir haben nicht Lebenssituationen versucht, innerhalb dieser Texte zu interpretieren oder auf diese Texte zu beziehen, das wurde sehr viel pragmatischer behandelt und für jede Situation gab's Lösungen, aber Ursprung oder Fundament dieser Denkweise ist wirklich der Humor oder der leichte Umgang mit Glauben und Religion."

Freierer Umgang mit den heiligen Überlieferungen und ein Sinn für Leichtigkeit – für den Aleviten Ahmed Tana gehen sie Hand in Hand.

"Gott lacht, weil die Menschen oder das, was Gott erschaffen hat, auch lacht und auch locker sein will. Wenn wir Gott als etwas empfinden, was in den Menschen oder mit den Menschen zusammen ist, dann gehen wir davon aus, dass Gott auch menschliche Gefühlswelten mitträgt, das heißt, wenn etwas geschieht, was zum lachen ist, dann lacht Gott mit."

Ein Schluss, den dann auch Imam Ferit Heider mittragen würde – auch wenn er ihn vor einem vollkommen anderen theologischen Hintergrund erreicht.

"Ein Muslim ist nicht ein Mensch, der nur ernst ist, nur böse schaut, sondern ein Muslim ist ein Mensch, der versucht, so oft es geht zu lächeln. Das ist eine sehr wichtige Sache. Dass man das bei einigen Menschen nicht sieht, auch nicht bei praktizierenden Muslimen, das ist nicht das Problem der Religion, sondern einfach eine falsche Ausübung der Religion bei diesen Leuten."