Der kurioseste Kosmopolit

William Lithgow gilt in England als der erste Reiseschriftsteller. Seine Reisen führten ihn im 17. Jahrhundert bis nach Kairo. Dank des Herausgebers Roger Willemsen erscheint das bibliophil gestaltete Buch zum ersten Mal auf Deutsch.
Wer sich als Kind ergötzen durfte an "Des Freiherrn von Münchhausen wunderbaren Reisen zu Wasser und zu Lande", nacherzählt von Erich Kästner und illustriert von Walter Trier, der ist entzückt, neue aberwitzige Abenteuer aus aller möglicher Herren Länder erzählt und durch hintersinnige wie vorwitzige Illustrationen bebildert zu bekommen.

Aber auch wer Münchhausen-Kästner-Trier noch nicht kennt, den schlagen "Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow" sofort in Bann - als bibliophiles Kleinod: Knapp 400 nach den Regeln der Buchkunst gestaltete Seiten, vorzüglich übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Deggerich und illustriert von Papan, dazu das gescheite Nachwort des Herausgebers Roger Willemsen, dem wohl auch zu verdanken ist, dass dieses Buch endlich zum ersten Mal auf Deutsch erscheint.

400 Jahre nach Lithgows erster erzählter Reise, die ihn ab 1609 nach Italien und durch die Länder ums östliche Mittelmeer herum bis nach Kairo führt, Jerusalem inbegriffen. Ab 1614 erscheinen seine "Rare Adventures and Painefull Peregrinations". In England ist er seitdem berühmt als einer der ersten Reiseschriftsteller und vermutlich der kurioseste Kosmopolit contre-cœur.

Entdeckerdrang treibt ihn nicht an. Er hatte sich als Jüngling schon kurz auf schottischen Inseln und dem Kontinent umgesehen und offenbar nichts Attraktives gefunden. Aber 1603 soll etwas passiert sein, das ihn bald auf Reisen gehen lässt: Er geht seiner Ohren verlustig. Angeblich hat er unterm Fenster eine Frau angesungen, und etwas daran war falsch, entweder sein Gesang oder die Frau. Deren Brüder sollen ihm darob beide Ohren abgesäbelt haben. Also, lieber weg hier. Wo fällt ein ohrloser Kopf nicht auf? Im Orient, wo jedermann Turban trägt. Lust zum Reisen hat Lithgow nicht, zumal das damals vor allem zu Fuß passiert und am Wegesrand in der Tat rare adventures lauern - Betrüger, Straßenräuber, Krankheiten. Also macht er das Beste draus, guckt sich um, beschreibt Stadt, Land und Leute, beobachtet Sitten und Gebräuche, sammelt Beweise fürs Dagewesensein und schreibt alles auf: pöbelnd, dünkelhaft, aus gänzlich unbefangenem sexistisch-rassistisch-chauvinistischen Blickwinkel.

Neunzehn Jahre verbringt er so, auf drei Reisen, die letzte nach Spanien wird wahrhaft painefull: In Malaga wird er als englischer Spion verdächtigt und gefoltert. Da "singt" er nicht. Er tut nur laut kund, was er - der protestantische Schotte - von "Papisten" hält. Worauf die richtige brutale Folter folgt, in den Verliesen der Inquisition. Dieses Kapitel erspart dem Leser nichts, auch die Erkenntnis nicht, dass waterboarding, das simulierte Ertränken, eine uralte "christliche" Foltermethode ist.

Trotzdem lesen sich Lithgows Erzählungen vergnüglich. Sie sind dramatisch übertrieben, wie sich das gehört. Sie sind komisch, wenn auch oft unfreiwillig. Und sie bieten uns heutigen, mit allen touristischen Wassern gewaschenen, politisch-korrekten Globaltrotteln einen dialektisch-grotesken Bonus: Lithgow hatte seinerzeit nichts weniger im Sinn als Selbst-Entdeckung durch Konfrontation mit dem Fremden - sentimental journeys kamen erst gut 100 Jahre später in Mode. Aber jede Zeile enthüllt mehr über ihn, den Vertreter des "überlegenen" Westens/Nordens, als über den vermeintlich enthüllten Osten/Süden. Also, alas! wohl auch über uns.

Besprochen von Pieke Biermann

Die wundersamen Irrfahrten des William Lithgow
Herausgegeben von Roger Willemsen
Übersetzt von Georg Deggerich
Mit Illustrationen von Papan
mareverlag
Hamburg 2009
380 Seiten, 24,- EUR