Der Kultur und den Künsten verpflichtet

Von Carmela Thiele · 03.03.2010
Die Zeitschrift hieß nicht nur "Der Sturm", sie fegte auch im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wie ein Sturm über bestehende Auffassungen von Literatur, Musik und Malerei hinweg. 1910 erschien die erste Ausgabe des von Herwarth Walden gegründeten expressionistischen Blattes.
"Wir haben uns entschlossen, unsere eigenen Verleger zu sein. Denn wir sind immer noch so glücklich, glauben zu können, dass an die Stelle des Journalismus und des Feuilletonismus wieder die Kultur und die Künste treten können."

Diese Notiz von Herwarth Walden war auf der ersten Seite der ersten Ausgabe der Zeitschrift "Der Sturm" zu lesen, erschienen am 3. März 1910 in Berlin. Walden war der Begründer des Blattes, das sich als Sprachrohr einer Kunst, erweisen sollte, die heute als Klassische Moderne bekannt ist: des Expressionismus, des Futurismus, des Kubismus und vieler Spielarten der Abstraktion. Der Begriff "Expressionismus" umschrieb damals eine Kunst, in der das Gefühl triumphierte. Herwarth Walden:

"In der Kunst wird das Unmögliche möglich. Man sagt schon vom Denken, dass es blitzschnell geschieht. Das Unbewusste, aus dem Kunst stammt, das Gefühl, fühlt schneller als man sich den Blitz denken kann."

Zu Beginn war es die Literatur, der die Publikation als Forum diente. Herwarth Walden, geboren 1878 in Berlin, hatte bereits als junger Mann Kontakt zu Alfred Döblin und Richard Dehmel. Als ausgebildeter Pianist verfügte er aber auch über Verbindungen zur Arnold Schönberg und dessen Kreis. Das Autorenblatt "Der Sturm" war inspiriert von der legendären "Fackel", die der Schriftsteller Karl Kraus seit 1899 in Wien herausgab. Der programmatische Titel "Der Sturm" stammte von Waldens damaliger Frau, Else Lasker-Schüler, und auch Herwarth Walden selbst, der eigentlich Georg Levin hieß, verdankte seinen Namen der Dichterin. In der ersten Ausgabe publizierte Lasker-Schüler ein Porträt des Schriftstellers Peter Baum:

"Er versäumt den Tag, und die Dunkelheit erreicht er, wenn es zu spät ist. Aber er träumt noch schnell unter dem schwindenden Mond."

Der "Sturm" reüssierte zu einem Blatt, in dem Autoren wie Adolf Loos, August Stramm und Salomo Friedlaender publizierten. Doch zu beispielloser Berühmtheit brachte es die Zeitschrift erst 1912 mit Eröffnung der Sturm-Galerie in einer Villa im Berliner Tiergarten-Viertel. Walden zeigte erstmals, was damals neu war: den Blauen Reiter, Wassily Kandinsky und seinen Kreis - und die italienischen Futuristen. Manche Künstler standen dem Kunstpromotor jedoch skeptisch gegenüber. So auch Paul Klee:

"Da konnte man den kleinen Herwarth Walden beim Hängen der Futuristen in der Galerie Tannhäuser beobachten. Lebt von Zigaretten, befiehlt wie ein Stratege, er ist wer. Aber irgendetwas fehlt."

Aber auch Paul Klees Werke sollten bald mit Bildern von Oskar Kokoschka, Marc Chagall, Piet Mondrian und vielen anderen in einer Sturm-Ausstellung hängen, im legendären "Ersten Deutschen Herbstsalon", 1913 organisiert von Herwarth Walden und dessen zweiter Ehefrau Nell. Was heute wie ein "Who is who" der Klassischen Moderne klingt, wurde damals von der Presse an den Pranger gestellt. Das "Berliner Tageblatt":

"Gegen die Zumutung, diese Fatzkereien als Kunst überhaupt auch nur negativ zu bewerten, gibt es keinen ernsten Protest mehr. Wir lachen."

Hier erwies sich die Kunstkritik einmal mehr als zahnloser Tiger, denn Waldens "Sturm" begrub die Polemik wie die Argumente seiner Widersacher unter einer Flut von Aktionismus. Neben der Zeitschrift entstanden eine Sturm-Kunsthandlung, ein Sturm-Verlag, eine Sturm-Bühne, sogar eine Sturm-Kunstschule, an der zeitweilig Oskar Kokoschka lehrte. Im Rückblick konstatierte der nüchtern,

"... dass dieser magere Jude in einer energischen Propaganda über die Interessenverbände hinweg, ähnlich den Machtkämpfen der Wirtschaftsmetropole um Absatzmärkte, den Sieg des 'Sturm' in wenigen Jahren erzielen konnte."

Die Zeitschrift "Der Sturm" erschien bis zum wirtschaftlichen Bankrott 1932 und unterschied sich von anderen Blättern wie der "Aktion" durch eine bewusste Distanz zur Politik. Umso tragischer erscheint es im Rückblick, dass Herwarth Walden, der 1933 in die Sowjetunion emigriert war, 1941 einer stalinistischen Säuberungsaktion zum Opfer fiel. Sein Vermächtnis sind Hunderte von Seiten gedruckten Papiers, 22 Sturm-Jahrgänge, bis heute eine beredte Quelle der damaligen Zeit.