Der Künstler als Theoretiker

25.02.2013
Der Kunstgeschichtler Bernd Roeck versammelt in seinem Buch Texte von Künstlern der Renaissance, die schriftlich über Malerei, Skulptur und Architektur nachgedacht haben. Sehr hilfreich ist dabei seine historische Einordnung der Zeit.
Es gab Gelehrte in der Renaissance die man, wären sie Künstler geworden, heute in einem Atemzug mit Michelangelo, dem Göttlichen, nennen würde. Man denke nur an Galileo Galilei. Galilei, der ein außerordentlicher Maler war und dessen Urteil von den Künstlern seiner Zeit geschätzt wurde, hat sich auch theoretisch mit den Künsten beschäftigt. Beispielsweise hat ihn interessiert, ob der Malerei oder der Bildhauerkunst die Krone im Wettstreit der Künste zustehe.

Galilei aber bleibt eine Leerstelle in dem Buch "Gelehrte Künstler" von Bernd Roeck, Professor für Geschichte an der Universität Zürich. Im Fokus seines Interesses stehen die italienischen Künstler der Renaissance, die eine Kunsttheorie hinterlassen haben. Darunter versteht er "schriftlich überliefertes Nachdenken über Malerei, Skulptur und Architektur".

Es geht also um Texte von Künstlern, wobei doch Künstler sich gerade für das Bild oder die Skulptur als die ihnen angemessene Ausdrucksform entschieden haben. Dürfte man einem Künstler wie Raffael nicht den Status eines "Gelehrten" zusprechen – auch angesichts der Tatsache, dass man ihm nach Bramantes Tod die Leitung der Baustelle St. Peter in Rom (1514) übertrug? Angesichts der ungeheuren Geldmittel, die man in das Bauwerk stecken wollte und den damit verbundenen künstlerischen Möglichkeiten, spricht etwa der Kunsthistoriker Horst Bredekamp von St. Peter als einer Schule "der Phantasie, wie sie vermutlich kein europäisches Bauwerk zuvor oder danach provoziert hat". Raffael setzte diese Provokation in Kunst um, er hat seine Arbeit nicht in Schrift, sondern in Bildkunst dokumentiert.

Unter der Überschrift "Höhe der Renaissance: Raffael" taucht der Maler der "Sixtinischen Madonna" in Roecks Buch auf; er wird mit dem Satz eingeführt:

"Raffael spricht praktisch nur durch seine Kunst."

Eben diese Sprache aber kommt in Roecks Analyse zu kurz. Entwürfe, Zeichnungen, Bilder und Skulpturen werden nicht oder nur in geringem Maße als "gelehrte" Zeugnisse angesehen und untersucht. Raffael wird auf einer einzigen Seite abgehandelt.

Die Stärken dieses Buches liegen eindeutig im Bereich der Historie. Im ersten von drei Kapiteln fragt Bernd Roeck nach den ökonomischen und politischen Voraussetzungen für die Herausbildung der Renaissance. Interessant sind für das Gesamtbild die Exkurse zum Krieg, dem Wetter, der Buchkunst und dem Einfluss der Pest. Mit dieser Kunstperiode – Roeck gliedert sie in Früh-, Hoch- und Spätrenaissance – verbindet sich das Wissen um eine faszinierende Bild- und Skulpturenwelt. Gelernt haben die Künstler von der Natur, die eine ebenso große Lehrmeisterin war wie die Antike.

Das Buch ist sehr schön gestaltet, es gibt zahlreiche Abbildungen. Doch das vermag nicht über seine Schwächen hinwegzutäuschen. Roeck hat sich dafür entschieden, in die Breite zu gehen. Im Kapitel Spätrenaissance I etwa wendet er sich – beginnend mit Michelangelo und endend mit dem Holländer Karel Mander – auf 32 Seiten elf "Gelehrten" zu. Das Buch vermittelt einen Einblick, gibt einen Überblick. Durch Konzentration auf beispielhafte Kunstgelehrte aber wäre möglich gewesen, was es nicht leistet: in die Tiefe zu gehen.

Besprochen von Michael Opitz

Bernd Roeck: Gelehrte Künstler, Maler, Bildhauer und Architekten der Renaissance über Kunst
Wagenbach Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 29,90 Euro
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