Der Krise voraus

Von Tobias Wenzel |
Fünf Jahre lang hatte der amerikanische Autor Adam Haslett an seinem Roman über die US-Finanzwelt geschrieben. Die erste Fassung wurde fertig, als Lehman Brothers Pleite gingen. Nun ist der Roman auf Deutsch erschienen, wirkt aber wegen des späten Erscheinens nur noch wie ein Lagebericht zur Krise. Derzeit hält er sich in Deutschland auf wegen seiner Poetik-Dozentur an der Uni Tübingen, die er zusammen mit seinem Kollegen Jonathan Franzen innehat.
Zwei Scheiben Sonnenblumenbrot, Butter und Marmelade liegen nebeneinander auf dem großen Frühstücksteller von Adam Haslett. Der schlanke Mann mit hoher Stirn und einer dunkelbraunen Intellektuellenbrille entschuldigt sich, dass er auch am späten Morgen noch nicht gefrühstückt hat. Aber dafür macht der US-amerikanische Schriftsteller klar, dass er hellwach ist. Wie könnte er sonst erzählen, dass ihn Immanuel Kant zu einem Skeptiker gemacht hat, auch hinsichtlich Gott:

"Ich würde sagen, dass ich ein Agnostiker im wörtlichen Sinn bin. Es ist doch Hybris, mit Sicherheit zu glauben, dass es einen Gott gibt oder eben keinen. Ich weiß es einfach nicht. Mein Unvermögen, etwas zu wissen, macht meine Position aus."

Wer Adam Hasletts Debüt-Roman "Union Atlantic" liest, könnte daran zweifeln und dem Autor gar hellseherische Fähigkeiten zuschreiben. In dem Buch schildert er den Zusammenbruch des Finanzsystems. Im Zentrum steht der Banker Doug, der durch waghalsige Transaktionen Millionen für seine Bank gewinnt und später Milliarden verliert.

"Ich habe fünf Jahre lang an dem Roman gearbeitet und hatte die erste Fassung in der Woche fertig, in der Lehman Brothers zusammenbrach. An dem Tag fühlte sich mein Kopf an, als wäre in ihm etwas explodiert. Andererseits hatte sich ein Problem von selbst gelöst: Ich hatte mir so lange den Kopf darüber zerbrochen, ob sich die Leser überhaupt für die Finanzwelt interessieren. Die Krise hat dazu geführt, dass die Menschen wissen wollten, was da vor sich geht."

Jahrelang hatte Haslett die Wirtschafts- und Finanzseiten der Zeitungen studiert und so die großen Zusammenhänge verstanden. Doug, die Hauptfigur des Romans, zieht in die Stadt Findon und lässt dort Wald roden, um eine überdimensionierte Villa zu bauen und damit anzugeben. Diese fiktive Stadt hat viel von Wellesley, einem Ort westlich von Boston, in dem Adam Haslett seine späte Kindheit und Jugend verbrachte.

"Meine Familie hatte nicht besonders viel Geld. Aber dort ließen neureiche Leute riesengroße, geschmacklose Villen hochziehen. Das habe ich damals also selbst erfahren und beobachtet. Dazu musste ich dann nicht mehr recherchieren."

Adam Haslett wurde 1970 im Bundesstaat New York geboren, wuchs in Massachusetts und in England auf, um dann wieder in die USA zurückzukehren. Er arbeitete auf Benefizveranstaltungen und in einem Möbelladen, studierte Jura an der Yale University und veröffentlichte ein Jahr vor seinem Abschluss sein literarisches Debüt, den Erzählband "Das Gespenst der Liebe", in dem psychisch Kranke eine wichtige Rolle spielen.

Auch in seinem Roman "Union Atlantic" ist eine Figur, die pensionierte Lehrerin Charlotte, psychisch auffällig. Sie meint, ihre Hunde sprechen zu hören. Fragt sich, ob auch Adam Haslett einen verrückten Lehrer hatte?

"Sicher mehr als einen! Ich hatte unglaubliche Lehrer. Sie waren so begeistert und besessen von ihrem Gebiet, dass sie mir nicht nur Lernstoffe vermittelten, sondern viel mehr, wie man sein Leben führen kann. Aber auch sonst haben mich verrückte Menschen umgeben. Nicht nur im positiven Sinn. In meiner eigenen Familie gab es eine psychische Krankheit. Die Vorstellung von exzentrischen und extremen Handlungen ist für mich ziemlich normal."

Wenn es um sein Privatleben geht, ist Adam Haslett sehr sparsam mit Worten. Dabei hat er vor Jahren in einem Interview offen darüber gesprochen, dass sein Vater, ein Engländer, manisch-depressiv war. So hätten sich die psychische Krankheit des Vaters und die Tatsache, dass er, Adam Haslett, schwul sei, letztlich auch in dem Erzählband niedergeschlagen. Heute spricht Adam Haslett lieber über seine Schwester, eine Dokumentarfilmerin, und seinen Bruder:

"Er war schon früh ein leidenschaftlicher Leser. Er übertrug mir eine Begeisterung nicht nur für Bücher im Ganzen, sondern vor allem für einzelne Sätze und Absätze. Er las mir immer wieder Sätze vor, die ihn fesselten. Ich lauschte dann diesen oft dramatischen, aber immer wunderschön klingenden Worten. Und das ist mir immer noch eine Herzensangelegenheit. Denn die meiste Zeit meines Lebens verbringe ich damit, an Sätzen zu feilen, damit von einem Absatz zum anderen der Leser Genugtuung verspürt."

Sein Roman ist allerdings viel verhaltener von der Kritik aufgenommen worden als sein gefeierter Erzählband. Vielleicht weil der hellsichtige Roman zur Finanzkrise einfach zu spät veröffentlicht wurde und nun als Lagebericht zur Krise erscheint. Und zu Neureichen, die mit ihren Luxushäusern protzen, während andere kaum über die Runden kommen:

"Ein guter Freund von mir hat einen jungen Sohn. Und der geht regelmäßig zum Haus eines Klassenkameraden, um dort zu spielen. Denn im Innern des Hauses befindet sich ein ganzer Basketballplatz."