Der krächzende Anti-Star

Einen Mann wie Tom Waits per Biografie zu erfassen, ist ein mehr als schwieriges Unterfangen. Schließlich gilt der Sänger mit der rauchigen Reibeisenstimme als Außenseiter. Dem Musikjournalisten Patrick Humphries ist mit dem Band „Die vielen Leben des Tom Waits“ dennoch eine unterhaltsame, zuweilen jedoch überinterpretierende Lebensbeschreibung gelungen.
Irgendwie sieht er aus wie der perfekte Anti-Star, trägt zerknitterte Klamotten, einen schäbigen Hut und balanciert die Zigarette im Mundwinkel wie einst Humphrey Bogart. Mit rauchiger Reibeisenstimme singt, oder besser krächzt er seine dunklen, teils bluesigen, teils rockigen Balladen mit expressionistischen Arrangements – meist virtuose Einsamkeits-Reports, die von den Schattenexistenzen am Rande der amerikanischen Gesellschaft erzählen.

Als „Privatdetektiv der Nacht“ hat sich Waits einmal selbst bezeichnet. Die vorliegende Biografie versucht das Leben und die Karriere eines Künstlers zu beleuchten, der trotz großer weltweiter Erfolge nie wirklich in Gefahr war, seine Glaubwürdigkeit an den Mainstream zu verlieren. Dabei gab sich der musikalische Außenseiter anfangs selbst das Image einer undurchsichtigen Person, die zwischen heruntergekommenen Hotelzimmern, ausrangierten Oldtimern und Billig-Bistros dahintreibt.

1969 trat der „Bukowski des Rock“, wie ihn ein Journalist nannte, erstmals in kleinen Bars und Spelunken in Los Angeles auf und sang seine, von den Beat-Poeten Jack Kerouac und Allen Ginsberg beeinflussten, jazzig vertonten Songs. Nachdem er sich als Nachtclub-Entertainer einen Namen gemacht hatte, durfte er 1973 sein erstes Album aufnehmen, das allerdings nicht viel Aufsehen erregte.

Nach einigen weiteren Produktionen zwischen Blues, Ragtime, Schlager-Schmalz und Bebop wurde Tom Waits Anfang der achtziger Jahre von Francis Ford Coppola für den Film „Outsiders“ als Schauspieler entdeckt. Durch den Kinoerfolg baute sich Waits nicht nur eine respektable Filmkarriere auf, sondern schaffte letztendlich auch den Durchbruch in der Musikszene und gilt seitdem als einer der ganz großen und einflussreichen Singer-Songwriter. Etliche Songs des außergewöhnlichen Musikers wurden im Laufe der Jahre von Rod Stewart, Bruce Springsteen, den Eagles, Elvis Costello und vielen anderen interpretiert. Der mittlerweile vielfach Oscar-, Grammy- und Golden Globe-nominierte und ausgezeichnete Künstler komponierte seit den achtziger Jahren auch Musik für zahlreiche Filme und Theater-Inszenierungen.

Paul Humphries‘ Biografie beginnt mit der Geburt von Waits, die vom Künstler selbst in die Ladezone eines Krankenhauses auf den Rücksitz eines parkenden Taxis mit laufendem Taxometer plaziert wird. Schon auf diesen ersten Zeilen wird klar, dass Humphries Waits’ selbstgestrickter Vita an vielen Stellen breiten Raum lässt, sie aber leider zu selten hinterfragt.

Dafür geht Humphries mit großer Detailgenauigkeit auf die Herkunft von Waits’ Familie ein, deren Vorfahren aus Norwegen und Irland kamen, beschreibt dessen Kindheit und Jugend und versucht die einzelnen Stationen in einen historischen Rahmen einzubetten. Dabei übertreibt es der Autor zuweilen und gleitet von der Person Waits völlig ab, um zum Beispiel seitenweise über die sechziger Jahre zu fabulieren. Auch in der Beurteilung und Einordnung der Songs und vor allem der Texte von Waits ergeht sich Humphries zu sehr in persönlichen, überinterpretierenden Einschätzungen.

Originalkommentare, Interviewpassagen und Zitate des Künstlers gibt es trotzdem reichlich; nur Aussagen von der Familie, Freunden, Begleitmusikern oder anderen Zeitzeugen, die direkt mit dem Musiker in Kontakt standen, vermisst man. So sind alle Kommentare sehr von Waits dominiert. Bei dessen Talent und Neigung, seiner Vita ein bestimmtes Image zu verpassen, muss der Wahrheitsgehalt der Biografie deshalb zumindest in Teilen angezweifelt werden; und obwohl der Autor jeden Karriereschritt bis ins Detail beschreibt, gelingt es ihm kaum, den wirklichen Menschen Tom Waits hinter dem Image zu zeigen.

Dass die Biografie dennoch unterhaltsam und zumindest zu großen Teilen informativ ist, liegt daran, dass Patrick Humphries ein talentierter Schreiber ist, dem es gelingt, ein Stimmungsbild der letzten knapp sechzig Jahre des amerikanischen Showbusiness abzuliefern, in dem Tom Waits eine Hauptrolle spielt. So kann das Buch, das mehr Erzählung als Biografie ist, trotz der genannten Einschränkungen dennoch empfohlen werden.

Der Autor Patrick Humphries schreibt seit 1976 über Pop Musik. Als Journalist arbeitete er für den New Musical Express, The Times, Mojo und den Guardian.

Rezensiert von Uwe Wohlmacher

Patrick Humphries: Die vielen Leben des Tom Waits
Aus dem Englischen von Andreas Reihse
Bosworth Edition
400 Seiten, 24,95 Euro