Der Komponist der Gesichter

Von Jochen Stöckmann |
Im Alter von 88 Jahren ist am 7. Juni in New York der Porträtfotograf Arnold Newman gestorben. Der Meister des Lichtbilds setzte Berühmtheiten wie Picasso, Konrad Adenauer oder Marilyn Monroe mit seiner Kamera ungewöhnlich in Szene. Dabei hatte er selbst eine Abscheu vor "celebrity" und einer auf Reflexe reduzierten "Prominenz".
Kaiser und Könige machten Arnold Newman, den abgebrochenen Kunststudenten aus New York, in den Dreißigern populär. Mit dem Foto Haile Selassies, dessen Schatten sich als drohender Doppelgänger auf der Rückenlehne des krönchenverzierten Empiresessels abzeichnet oder mit der Aufnahme eines Zepter schwingenden Watussiherrscher vor ärmlichster Steppenlandschaft verschaffte Newman sich das Entree für große Illustrierte vom Format des Magazins "Life".

Unübertroffen sein Porträt des Komponisten Igor Stravinsky am Konzertflügel, dessen schwarzglänzender Deckel als monumentale Notenskulptur in den weißen Raum ragt. Oder die geradezu diabolische Inszenierung des deutschen Industriellen Alfried Krupp im düsteren Gegenlicht einer Werkshalle.

Eine Masche kann man in diesen fein- und hintersinnigen Allegorien nicht erkennen – dafür aber legt sich der Newman-Touch wie ein zarter Schmelz über jedes Bild, schimmert ganz fein eine typische Handschrift durch. Das liegt wohl auch daran, dass Newman nicht einfach mit der Zeit ging, sondern die Zeitläufte in Gesicht und Mienenspiel seines jeweiligen Gegenübers aufzudecken verstand.

Im Verlauf der folgenden Jahre, mit der Wendung vieler Künstler zur Abstraktion, änderten sich auch die Porträts: Jackson Pollock, dieser psychisch so labile Vorreiter des abstrakten Expressionismus, schaut auf einem düsteren Foto grimmig über eine wildbewegte Landschaft aus aufgetürmten Farbdosen, in denen kreuz und quer die Pinsel stecken, als seien sie eben noch wie Pfeile durch die Luft geschwirrt.

Gewaltvisionen und Deformationen des menschlichen Körpers, wie Francis Bacon sie malt, übersetzt Newman ins Foto einer Glühbirne, die am schlangenförmig gewundenen Kabel wie an einem bloßgelegten Nervenstrang von der Decke herabbaumelt, das Gesicht des Malers mit schwarzen Augenhöhlen und einer grotesk deformierten Nase aus der Dunkelheit schält.

Alberto Giacometti schließlich, dieser ewige Zweifler und größte Könner unter den Bildhauern, er blickt von unten herauf in die Kamera, die Schultern ein wenig hochgezogen und hinter sich eine ganze Geisterarmee aus verstaubten Weinflaschen, zwischen denen eine angefangene Skulptur fast unbemerkt verschwindet.

Multimediakünstler wie Larry Rivers oder der "Factory"-Betreiber Andy Warhol schließlich ließen den Fotografen immer öfter in die eigene Trickkiste greifen. Newman beließ es nicht bei Doppelbelichtungen oder Solarisationen in der Art seines Vorbildes Man Ray: Ausrisse und Ausschnitte von mehreren Abzügen ein und desselben Larry-Rivers-Porträts collagierte der Künstlerfotograf übereinander und verhängte diese Fragmente mit übereinandergefalteten Klarsichtfolien. Ein zweites Gesicht von Andy Warhol montierte er als starre Maske über ein Frontalporträt, so dass der einst so umtriebige Star der New Yorker Szene mit schreckgeweitetem Auge seine eigene Larve mustert.

Da zeigt sich Newmans Abscheu vor "celebrity", sein Widerwillen gegenüber maskenhafter "Berühmtheit" und einer auf Reflexe reduzierten "Prominenz". Bei diesem Fotografen galt nur als Persönlichkeit, wer sich in seine formal perfekt ausgeklügelten Kompositionen fügte – und dadurch seine unverwechselbare Individualität erlangte.