Der Komponist als Gutachter

Von Claus Fischer |
Johann Sebastian Bach war nicht nur ein begnadeter Cembalo- und Orgelvirtuose - er war auch ein kritischer Orgelinspektor. In dem reich bebilderten Handbuch "Die Orgeln J. S. Bachs" beschreiben Christoph Wolff und Markus Zepf alle Orgeln, die Bach unter seinen Fingern hatte. Das Buch schließt eine schmerzliche Lücke auf beinahe perfekte Art und Weise.
Die Orgel nahm in Johann Sebastian Bachs Musikerdasein, sowohl als Interpret, als auch als Komponist, eine zentrale Stellung ein. Auch weltlichen Orchesterwerken, wie etwa den Orchestersuiten oder den Brandenburgischen Konzerten, merkt man an, dass sie von diesem Instrument her gedacht sind.

Seit über zehn Jahren beschäftige ich mich als Musikjournalist intensiv mit dem Leben und Werk Johann Sebastian Bachs. Auf meinen journalistischen Reisen, vor allem durch Mitteldeutschland, habe ich nach und nach die wichtigsten Orgeln, auf denen Bach nachweislich gespielt hat, kennen gelernt und mit Bedauern festgestellt, dass auf dem Buchmarkt bislang kein ordentlicher "Reiseführer" über sie zu haben war. Die einzige populärwissenschaftliche Monographie, die sich Bachs Orgeln widmete, stammt vom Organologen Werner David (Johann Sebastian Bachs Orgeln, Bärenreiter-Verlag, 1951) – und ist längst vergriffen.

So schließt "Die Orgeln Johann Sebastian Bachs" eine schmerzliche Lücke, und zwar auf beinahe perfekte Art und Weise – kommt es doch aus der wichtigsten wissenschaftlichen Einrichtung, die sich mit dem größten deutschen Komponisten beschäftigt: dem Leipziger Bach-Archiv. Federführend verantwortlich für den Inhalt des Handbuchs sind dessen Leiter, der renommierte Musikwissenschaftler und Harvard-Professor Christoph Wolff, sowie sein Kollege Markus Zepf.

In ausführlichen Artikeln werden im ersten Teil des Bandes nicht nur jene Instrumente vorgestellt, die Bach selbst unter den Fingern hatte, sondern auch Orgeln aus Bachs näherem Umfeld, die er gekannt haben dürfte. Der zweite Teil widmet sich jenen Instrumenten, von denen wir wissen, dass Bach sie als Gutachter abgenommen hat. Ergänzt werden die Darstellungen durch ein Kapitel, das die Orgelbauer, mit denen Bach in Kontakt stand, ausführlich vorstellt.

Ausführlichkeit scheint überhaupt die wichtigste Maxime der Autoren zu sein. Wenn man das Buch nicht als Lexikon benutzt – wozu es aber durchaus taugt, – sondern fortlaufend liest, erfährt man alles Wesentliche zu Bachs Biografie durch das Brennglas Orgel. Erstaunlicherweise wurden sogar die neuesten Erkenntnisse der Forschung bereits aufgenommen: durch ein vor kurzem aufgefundenes Manuskript des 15-jährigen Bachs – übrigens die Abschrift eines Orgelwerks seines älteren Kollegen Johann Adam Reinken – ist bewiesen, dass der Komponist in Lüneburg zwei Jahre lang Schüler Georg Böhms war, also des Organisten an der dortigen Michaeliskirche. Im Kapitel, das die Orgel dieser Kirche vorstellt, wird darauf genau eingegangen.

Auch optisch ist der neue Bach-Orgelführer ein Schmuckstück. Jede der Orgeln wird durch mehrere Bilder dokumentiert und sogar Einblicke in deren Innenleben sind teilweise möglich. Prädikat: Für Bach-Kenner und -liebhaber ist das Buch gleichermaßen empfehlenswert wie unverzichtbar!

Christoph Wolff, Markus Zepf: Die Orgeln J. S. Bachs. Ein Handbuch.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, 160 Seiten, 16.80 Euro