Der Körper als Klanginstrument

Von Camilla Hildebrandt · 07.06.2013
Irgendwann hat ihr die Interpretation bereits vorhandener Stücke nicht mehr ausgereicht: Die Chorleiterin Rebekka Uhlig liebt es stattdessen, zu experimentieren und auszuprobieren, was mit der Stimme jenseits des Gewohnten möglich ist. Und das ist enorm viel.
Treffpunkt zur Chorprobe ist die Heldenkapelle auf dem Lilienthalfriedhof in Berlin-Neukölln. Hier wird ihr nächster Auftritt stattfinden. Ein kolossartiger Bau im Stil der Nazionalsozialistischen Architektur, mit imposanten Säulen und einer erdrückenden Massivität.

Die Herausforderung ist hier die Akustik und der Ort an sich, den sie mit Klang erfüllen wollen. In der offenen Eingangshalle stellen sich die vierzehn Sängerinnen und Sänger auf und beginnen mit dem Aufwärmen der Stimme.

Aus den Kehlen der Sänger krächzt und quiekt es, manche verziehen die Gesichter, um den Klang noch besser hervorzubringen. Dann, ein harmonischer Akkord, der sich gleich wieder in einen neuen Klang weiterentwickelt.

Rebekka Uhlig: "Also, es geht weder um die perfekte noch weniger perfekte Interpretation von irgendwelcher komponierten Musik. Die Musik des Chores basiert grundsätzlich immer auf der freien Interpretation, manchmal als Gruppeninterpretation wirklich frei, manchmal dirigiert, wobei das Dirigat auch immer frei improvisiert ist und wo es bestimmte Handzeichen gibt, die die Sänger zu interpretieren wissen."

...sagt die Chor-Leiterin Rebekka Uhlig. Mit dem Zeigefinger zeigt sie auf ihren Unterarm, das bedeutet: ein "U" soll gesungen werden.

Rebekka Uhlig kommt von der bildenden Kunst, später hat sie zusätzlich klassischen Gesang studiert. Aber Anfang der 90er, erzählt die Künstlerin, habe ihr die reine Interpretation bestehender Werke nicht mehr ausgereicht. Sie wurde neugierig, was mit der Stimme noch möglich ist. Heute begreife sie den menschlichen Körper als Klanginstrument, als "Human Sound Box", erklärt Uhlig.

"Es geht um das, was die Stimme hergibt an Klangmöglichkeiten, Sound- und Geräuschmöglichkeiten, was enorm viel ist."

Guido: "Ich bin zu dem Chor gekommen, ich hab ein Konzert gehört in der Genezareth Kirche vor drei Jahren, und das hat mich total berührt. Ich hatte eigentlich dem Singen so ein bisschen Adieu gesagt, und das war wie noch mal die Stimme ganz anders erfahren."

Andrea: "Ich bin jetzt seit neun Jahren dabei, und was ich auch toll finde, ich war vorher im klassischen Chor, dann Soul, alles super schön, aber hier kann ich mich als Mensch einbringen, neue Ideen einbringen, nicht nur die Stimme, das ist ein tolles Gefühl."

Andrea und Guido haben beide langjährige Chorerfahrung. Für andere ist Rebekka Uhligs PerformanceChor der erste Schritt bei der Erforschung der eigenen Stimme; jeder ist hier willkommen.

Sybille: "Was mir sehr gut gefällt ist, es gibt kein Richtig und kein Falsch, sondern jeder versucht das mit seiner Stimme zu machen, von dem er meint, dass es dem Ton am nächsten kommt, und da ist man selbst oft unheimlich überrascht, was dabei herauskommt."

Andrea: "In der Regel versuchen wir nicht irgendwas aus der Natur nachzumachen, sondern irgendwer macht einen Klang, und die anderen sagen: Oh, was ist das, wie machst du das? Und dann versuchen wir das gemeinsam zu erarbeiten, dass es dann auch abrufbar ist, das ist das Schwierige dabei. Es gibt Töne, da habe ich zwei, drei Jahre daran geübt. Unterton kann ich immer noch nicht (lachen)."

Seit der Gründung 2004 hat der PerformanceChor regelmäßig Auftritte, Mal in Kirchen, auf Parkdecks oder in Aufzügen. Ziel ist es, den Klang - das Tönen, wie die Mitglieder selber ihren Gesang beschreiben - so zu gestalten, dass sie mit dem Ort der Aufführung harmonisieren.

Rebekka Uhlig: "Wir besetzen den Raum mit Klang und mit Bewegung und beziehen uns auch auf die Leute, die in den Räumen zu tun haben oder hatten. Wir haben zum Beispiel mal ein Balkonkonzert gemacht, haben auf sechs Balkonen gestanden, und ich habe gegenüber von einem Balkon dirigiert. Und das war eine sehr intensive Atmosphäre, wie die unten im Hof saßen und dem Ganzen folgten, von den Klängen, die aus dem Haus kamen, auf die wir reagiert haben."

Die Performance an sich, erklärt Sängerin Conny, sei eine gewaltige Konzentrationsübung.

Conny: "...einerseits auf mich, was ich mache und gleichzeitig offen zu sein und den ganzen Chor und den Raum gleichzeitig mitzubekommen, je nachdem, was wir da machen. Es gibt immer wieder so magische Momente, wo man das Gefühl hat, das wird so ein Guss! Und da vergesse ich mich auch so halb (lachen)!"

Finanzieren muss sich die kleine Truppe des PerformanceChor Berlin aus eigener Tasche. Finanzielle Unterstützung gibt es meist nur für große, vorwiegend klassische Chöre. Aber das stört keinen.

Einer der wichtigsten Punkte für sie sei beim PerformanceChor die Begegnung, sagt Leiterin Rebekka Uhlig.

"Man muss sich sehr aufeinander einlassen, auch auf das Suchen einlassen, auf das zum Teil nicht-hinkriegen einlassen. Manchmal steht man da und verzieht irgendwie das Gesicht, um irgendwie einen Sound zu produzieren, alleine das schafft schon Begegnungen und basiert auf einem wachsenden Vertrauen der Leute untereinander, und man begegnet sich selbst sehr intensiv."