Der Klang des Flamenco

Von Vanja Budde |
Flamenco-Tänzerinnen aus aller Welt warten bis zu zwei Jahre auf die Edel-Kastagnetten aus Sevilla. Denn Lucía Álvarez Vela führt ihren Betrieb mit viel Traditionsbewusstsein. Dennoch hat sie den Anschluss an moderne Technik nicht verpasst. Ihre Kastagnetten werden nicht mehr aus Holz, sondern aus Fieberglas gefertigt.
Im fünften Stock eines Wohnblocks am Stadtrand von Sevilla probiert Lucía Álvarez Vela ein frisch poliertes, eben fertig gestelltes Paar Kastagnetten aus. Ihren drei Yorkshire-Terriern quellen vor Aufregung die Augen aus dem Kopf, in der Küche werkelt Lucías Mutter.

Hier im Wohnzimmer der Familie Àlvarez bekommen die Kastagnetten der Marke „Filigrana“ den Feinschliff.

Lucía sitzt mit dem Rücken zum Fenster an einem Tisch, den Fernseher in Blickweite und reibt mit einem weichen Tuch den Fiberglasstaub von den einzelnen Kastagnettenhälften. Dann bindet sie sie mit einem dicken, schwarz glänzenden Seidenband zusammen und steckt sie fein säuberlich in einen Lederbeutel. Kastagnetten von „Filigrana“ sollen etwas Besonderes sein.

„Ich bin die dritte Generation. Mein Opa hatte zwar viele Nichten und Neffen, aber als er mich nach meiner Geburt das erste Mal sah, hat er gesagt ‚Das ist meine Nachfolgerin!’ Ich sollte seine Werkstatt übernehmen. Und das habe ich dann auch gemacht.“

Im Wohnzimmer und im Flur hängen gerahmten Fotografien vom Großvater Manuel Vela Martínez und berühmten Flamenco-Künstlern, die glücklich ihre neu erworbenen Kastagnetten in die Kamera halten. Mindestens ein Dutzend weitere Fotos stehen in Silberrahmen auf einem weißen Spitzendeckchen auf der Anrichte.

Die 30-jährige Lucia Àlvarez Vela sieht dem Großvater ähnlich. Mit ihrer etwas kräftigen Gestalt, den großen dunklen Augen und dem schwarzen Haar, das sie lang und offen trägt. Sie hat Jeans an und einen roten Pulli. Selbstbewusst und spontan erzählt sie von ihrem geliebten Großvater, dem Firmengründer.

„Ich erinnere mich gut, wie ich bei Opa in der Werkstatt war und die ganzen Künstler herein kamen und nach Kastagnetten fragten. Mein Großvater trat immer als andalusischer Senor auf: Er trug einen flachen cordobesischen Hut, schwarz mit breiter Krempe. Er hatte immer eine Schärpe um und Stiefel bis zu den Knien. Und oft stand plötzlich der Bürgermeister in der Tür, mit Leibwächtern oder eine große Künstlerin. Aber trotzdem war es in seiner Werkstatt wie hier jetzt, Wohnzimmeratmosphäre.“

Als sie nach dem Tod des Opas vor ein paar Jahren die Firma übernahm, hat Lucía seine alten Werkbänke behalten. Das meiste Werkzeug stiftete sie dem Volkskundemuseum und kaufte Moderneres. In der Werkstatt in Sevillas Altstadt schleifen Maschinen die Kastagnetten aus Fiberglas. Auf dieses Material war schon der Großvater gekommen, weil Kastagnetten aus Holz zu leicht kaputt gehen, erzählt Lucía. Das Holz reißt, wenn es Kälte ausgesetzt wird. Die Fiberglas-Kastagnetten von „Filigrana“ liegen geschmeidig in der Hand und haben einen ausgefeilten Klang. Denn die Ausbuchtung in den Kastagnettenhälften lässt Lucía ringförmig in Schichten schleifen. Die teuersten Paare kosten 800 Euro und Flamenco-Tänzerinnen aus aller Welt warten bis zu zwei Jahre darauf.

Obwohl Lucía vom Flamenco lebt und ihre Heimatstadt eine Wiege des Flamenco ist, tanzt sie selber aber nicht.

„Ich bin in eine Künstlerfamilie geboren und vielleicht hatte ich deshalb nie den Wunsch, selber Künstlerin zu werden. Meine Mutter ist Flamencolehrerin und ich war erst zwei Jahre alt, da habe ich schon die ersten Schritte geübt. Und ich habe viele professionelle Tänzerinnen gesehen, die wahnsinnig gut Flamenco tanzen. Mir sind diese ganzen Figuren zu schwierig. Und mir fehlt auch die Grazie.“

Lucías Mutter Esperanza ist aus der Küche gekommen und hört der Tochter zu. Klein und vogelhaft zart, in weißer Bluse und langem Rock, verzieht sie keine Miene. Hinter ihr auf der Anrichte prankt neben den Fotos vom Großvater ein großer Strauß langstieliger Rosen, 18 Stück und schon leicht angewelkt.

Ein Kärtchen hängt noch im Strauß: „Du hast es Dir verdient“. Von ihrem Verlobten, sagt Lucía leicht verlegen. Eine Rose für jedes Jahr, das sie zusammen sind. So viel Beständigkeit ist selbst in Andalusien ungewöhnlich. Ich bin eben altmodisch, sagt Lucia und lacht.

„Nächstes Jahr werde ich heiraten. Ich möchte eine Familie gründen, damit der Name meines Großvaters weiter lebt. Und natürlich möchte ich meinen Kindern auch unser Kastagnetten-Handwerk nahe bringen.“