Der Klang der Alliierten

Die neue Orgel der Versöhnungskapelle in Berlin

Orgelbauer Martin Schwarz stimmt am in Berlin in der Kapelle der Versöhnung auf dem früherem Todesstreifen die neue Orgel.
Orgelbauer Martin Schwarz stimmt am in Berlin in der Kapelle der Versöhnung auf dem früherem Todesstreifen die neue Orgel. © dpa / Britta Pedersen
Von Christian Find · 03.12.2017
Die Versöhnungskapelle auf dem ehemaligen Mauerstreifen in Berlin-Mitte hat eine neue Orgel: Das ungewöhnliche Instrument ist – genau wie ihre Heimatkirche – ein Symbol der Versöhnung, trägt es doch Klangfarben der USA, Englands, Frankreichs und Russlands in sich.
"Wir haben versucht, die Besonderheit des Ortes, auf diesem Mauerstreifen eine ausdrücklich neue Idee zu pflanzen, so wie das Kornfeld drum herum ja auch eine grandiose Idee ist", sagt Michael Bernecker, Kirchenmusikdirektor der Evangelischen Kirche Berlin, Brandenburg. Die im Jahr 2000 eingeweihte Versöhnungskapelle sollte zuletzt auch eine neue Orgel bekommen und Bernecker hatte den fünfjährigen Planungsprozess geleitet.
Die Kommission war sich schnell einig, dass auch in dem neuen Instrument der Gedanke der Versöhnung hörbar werden sollte, die Frage war nur, wie. "Und da ist uns in der Kommission die Idee gekommen, dass wir einfach ganz typische Klangfarben aus den Ländern der Alliierten nehmen und die in dieser kleinen Orgel miteinander vereinen. Das sind also Orgelregister, die in französischen, in amerikanischen, in britischen Orgeln ganz typische Klangmerkmale und ein Klangprofil ergeben."

"Himmelsklänge" aus den USA

Wie hier in einem Stück von Philipp Glass, in dem ein Register deutlich hörbar wird, das typisch für amerikanische Orgeln ist."In einer jeden großen amerikanischen Orgel sind sogenannte Schwebungsregister, Streicherschwebungen", erläutert Bernecker: zwei Pfeifen, die nebeneinander stehen, aber nur ganz leicht verstimmt sind. "Dann gibt es so einen schönen Klang, und den nennt man im Orgelbau dann das Vox coelestis, also Himmelsklänge."
In jeder französisch-romantischen Orgel müsse hingegen eine Oboe erklingen. "Also wenn ein Organist an eine französische Orgel denkt, dann denkt er an die Oboe." Basson-Hautbois heißt dieses spezifisch französische Register.

Oboen-Sounds für Frankreich

Die neue Orgel der Versöhnungsgemeinde ist ein kleines Wunderwerk. Auf kleinstem Raum bietet sie ganze 27 Register mit über 550 Pfeifen, was nur durch den Einsatz eines Computers realisiert werden konnte. Erbaut wurde sie von der Berliner Orgelwerkstatt Karl Schuke.
"Wir wollten eine Orgel haben, die ganz viele klangliche Möglichkeiten darstellen kann – und weil die Platzverhältnisse so gering sind, haben wir uns entschieden, eine sogenannte Multiplex-Unit-Orgel zu bauen", sagt Geschäftsführer Martin Schwarz. "Das heißt, man hat nicht die klassischen Register, also pro Taste eine Pfeife, sondern wir haben im Grunde Reihen, das heißt mehr wie 56 Töne, wie die Klaviatur, sondern entsprechend zwölf oder 24 Pfeifen mehr. Je nachdem, welche Taste gedrückt wird und welches Register gezogen wird, weiß das Computerprogramm, die und die Pfeife muss jetzt klingen. Das heißt, wir haben unter jeder Pfeife einen kleinen Ventilscheibenmagnet, der über ein Programm angesteuert wird."

Bajansklänge als Symbol für Russland

Für eine englische Orgel sei wiederum "das berühmte Register Open Diapason" typisch, sagt Kirchenmusikdirektor Bernecker: das "Prinzipal". Dieses Register sei in jeder Orgel das "Rückgrat":
"Wir wollten ja, so wie der gestampfte Lehm der 60 cm starken Wand, wollten wir auch so eine Erdigkeit im Klang erzeugen. Lange haben wir überlegt, was nehmen wir für das russische Klangbild? Orgeln in Russland, das ist ja bekannt, das ist nicht so im Vordergrund im liturgischen Gebrauch. Das ist ja eher das A-cappella-Singen, der A-cappella-Gesang in der orthodoxen Kirche. Und dann ist uns die Idee gekommen: Was ist Berlin, was ist Russland? Und wenn wir durch die U-Bahnhöfe Berlins gehen, dann hören wir diese wunderbaren, wirklich virtuosen und auf höchstem Niveau klingenden Bajans, also dieses Knopfakkordeon. Und wir haben uns überlegt, wir werden mal versuchen, ein Register zu bauen, was diesem Knopfharmonium - man sagt Bajan dazu - nahe kommt, ähnelt."
Die Konstruktion einer neuen Orgelpfeife, die wie ein Bajan klingt, war neben der kompakten Bauweise des ganzen Instrumentes noch einmal eine besondere Herausforderung für die Orgelbauer, erklärt Martin Schwarz.
"Da haben wir uns im Prinzip der Historie bedient: Es gibt ein romantisches Register, das nennt sich Fis-Harmonika. Das ist auch eine durchschlagende Zunge, also ähnlich wie bei einem Akkordeon, nur eben, wie kriegen wir die Klangfarbe hin? Und da wurde dann eben überlegt, wir machen statt Messingzungen für die Fis-Harmonika eben Stahlzungen. Klangcharakter sehr kühl und obertönig. Und insofern haben wir im Grunde jetzt hier in Berlin das erste Orgelregister Bajan mit den spezifischen Klangcharakteren des Akkordeons."

Als würde man einen Menschen kennenlernen

Die Orgel der Versöhnungskapelle besitzt eine Klangkonzeption mit hohem Symbolgehalt. Sie dürfte damit weltweit einmalig sein. "Es gab schon Instrumente, wo man unterschiedliche Klanglandschaften oder Orgellandschaften verbunden hat, aber dieser Versöhnungsgedanke an sich ist für mich ganz neu", sagt Schwarz.
Der Gedanke der Versöhnung, sagt Michael Bernecker, habe auch bei der Frage eine Rolle gespielt, was mit der alten Orgel geschieht. Man wollte sie nicht einfach nur verkaufen. Die Gemeinde verschenkte sie nach Sankt Petersburg, wo sie jetzt an der Musikschule Rimski Korsakow den Schülerinnen und Schülern als Übungsinstrument dient. Denn die kleine Walcker-Orgel stand ja auf dem ehemaligen Grenzstreifen des russischen Sektors. Und – schließlich sei die neue Orgel auch ein Geschenk gewesen; wurde vor allem durch eine große Einzelspende ermöglicht.

250.000 Euro Kosten

Insgesamt 250.000 Euro musste die Gemeinde für dieses Instrument aufbringen, auf dem sich künftig neue, noch völlig unbekannte Klangereignisse darstellen lassen werden. Für jeden Organisten, der einmal auf ihr spielen werde, sagt Annette Diening, die Organistin der Versöhnungskapelle, sei dieses Instrument eine Entdeckung, eine neue, spielerische Herausforderung.
Es sei fast so "wie ein Menschen, den man kennenlernen muss". Man müsse auf dem Instrument "erst mal viel ausprobieren und viel spielen. Und irgendwann hat man dann das Gefühl, man kennt diese Person."
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