Der Klagetag

Von Paul-Hermann Gruner · 07.03.2008
Der internationale Frauentag wirkt in Deutschland wie die Verabredung zur kollektiven Depression. Ein Tag zum Heulen.
Pascale Hugues, seit 1995 in Berlin lebende Korrespondentin für französische Medien, beschreibt die deutsche Version des 8. März schon seit Jahren als "verkniffenen und verkrampften Tag voll alarmierender Statistiken und deprimierender Evaluationen".

Jede Statistik, jede Zahl, jede Kurve, die am 8. März mit großer Geste publiziert wird, behauptet: Frauen sind in dieser Gesellschaft per se Opfer. Und darüber hinaus selbstverständlich ohnehin überall. Wahrscheinlich verschafft diese erdenschwere Grundhaltung in der grob selektiven Wahrnehmung durchaus Satisfaktion. Opfersein macht mächtig. Glücklich jedoch macht es nicht.

Der Frauentag Marke Deutschland ist in einer seltsam blutleer vollzogenen Wiederholungsschleife gefangen. Das Schlimmste ist jedoch, dass das Thema hierzulande intellektuell langweilt. Frau könnte ohne Ende Talente, Stärken, eine ganz neue Frauengeneration und dramatische Erfolge feiern. Aber nein, - das wäre zu fröhlich, zu ausgelassen, zu positiv. Auch, weil es um Selbsterhaltung der feministischen Industrie geht: um Gleichstellungs-Stellen, Gleichstellungs-Etats und damit um Geld, um das Heer der Beraterinnen, Helferinnen, Therapeutinnen, Spezialistinnen mit garantiertem Gehör im politischen Raum. Daher also: same procedure as every year. "Müde und routiniert spulen die zuständigen Beschwerdeführerinnen ihre Klagelisten ab", befindet die Journalistin Mariam Lau. Und sagt: "Den Frauen ist es noch nie so gut gegangen, aber der 8. März zählt zu den traurigsten Ritualen der Republik."

Er hat sich abgekoppelt von der Erfahrungswelt im Lande. In vielen sozialen Bereichen sind weibliche Belange so intensiv berücksichtigt, dass die Gleich- längst zur Besserstellung wurde. Zum Beispiel im Straf- und Familienrecht, in Erziehung, Schulwesen, Bildung, in Medizin und Gesundheit. Jede Empirie spricht hier ihre überdeutliche Sprache. Aber der institutionalisierte Feminismus ist so egoman und narzisstisch, dass er diese Wahrheit nur als pure Bedrohung empfindet.

Arbeitslosigkeit? In 14 von 16 Bundesländern liegt sie gerade für junge Männer um bis zu 35 Prozent höher als für Mädchen. Gleichstellung? Jungs stellen die meisten Sonderschüler (64 Prozent), die meisten Schulabbrecher und produzieren durch alle Schulgattungen hindurch schlechtere Schulresultate. Zwei Drittel aller Gewaltopfer sind jung und männlich, aber: durch jedes Landratsamt zieht die Ausstellung "Gewalt gegen Frauen". Die meisten Obdachlosen und Selbstmörder sind ohnehin männlich. Zig internationale und nationale Studien zur häuslichen Gewalt zeigen ein Aggressions-Patt zwischen den Geschlechtern. Von Lohndiskriminierung in Deutschland zu sprechen, verbiete sich, sagte sogar Ex-Frauenministerin Renate Schmidt einmal grade heraus - in einem ehrlichen Augenblick. Der Kulturindikator der Lebenserwartung (je nach Bundesland leben Männer 5,97 bis 8,51 Jahre kürzer) sagt alles. Nirgendwo auf der Welt leben Unterdrückte länger und gesünder als die Unterdrücker. Wie gleich Leben sein könnte, zeigt die so genannte Klosterstudie: Wenn Frauen und Männer tatsächlich äußerst ähnlich leben und arbeiten, beträgt die Differenz beim Lebensalter nur noch ein halbes Jahr. Also: geht doch.

Sollen wir nun alle ins Kloster, der Gleichstellung wegen? Erstens: So viele Klöster gibt es nicht. Zweitens: Das Leben findet außerhalb des Klosters statt. Dort aber darf bis heute Alice Schwarzer die Losung des ideologischen Schützengrabens sprechen mit Sätzen wie: "Gleichberechtigung ist erst erreicht, wenn Frauen genauso dumm sein dürfen wie Männer." Soviel Schlichtheit in der Verunglimpfung, soviel als Befreiung empfundener Sexismus dürfte sich umgekehrt kein Mann erlauben. Und nie dürfte man so pauschal über Homosexuelle, Juden oder Migranten sprechen.

Der 8. März in Deutschland: Er repräsentiert das verbissen rechthaberische Kampfklima eines versteinerten Feminismus, der zum großen Netzwerk einer Unterdrückungsbehauptung geworden ist. Ein Tag, um Empörungsbereitschaft zu zeigen und Ansprüche zu stellen, entrückt vom Realen. Pascale Hugues sagt dazu: "Eine Französin wird diese deutschen Frauen nie verstehen."


Paul-Hermann Gruner, geboren 1959 in Rüsselsheim, Studium der Politischen Wissenschaft und Ökonomie, Geschichte und Pädagogik. Seit Anfang der 80er Jahre tätig als bildender Künstler, 1995 bis 2000 Leiter der Kommunalen Galerie Darmstadt, seit 1996 in der Redaktion des "Darmstädter Echo", daneben Publikationen in regionalen und überregionalen Zeitungen, satirische Texte, zahlreiche Buchveröffentlichungen und Performances.
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