Der Killer als Künstler

04.07.2011
Der US-Amerikaner Daniel Silva schrieb in kurzer Zeit 14 Agententhriller, alle standen auf der Bestsellerliste der New York Times. Sein aktueller in deutscher Übersetzung erschienener Roman trägt den Titel "Der Oligarch". Darin schickt er den Israeli Gabriel Allon nach Russland, um einem Waffenhändler das Handwerk zu legen.
Ein Mord in einem Birkenwäldchen: Schneewehen in russischer Weite, ein Schuss und dann Stille über einem namenlosen Grab. Rasanter und sarkastischer als "Der Oligarch" von Daniel Silva kann ein Actionkrimi kaum beginnen. Silva, geboren 1960 in Michigan, war Journalist bei CNN, Korrespondent in Nahost; seit 1996 schreibt er Agententriller. In kurzer Zeit entstanden vierzehn Bestseller.

Silvas Themen sind einige Schrecken unserer Zeit - die Traumata nach Weltkrieg und Holocaust sowie der Terror von heute. Die meisten Romane haben dieselbe Hauptfigur: Gabriel Allon aus Jerusalem, Sohn einer Berliner Jüdin. Allon ist Kunstrestaurator - und Agent des Mossad, der beste der Zunft, ein Terminator mit Charme und Verstand. Allon jagte arabische Attentäter, er rettete dem Papst das Leben, fast im Alleingang zerschlug er Verschwörungen. Doch der Israeli ist auch ein Romantiker, er will ein Kind, und er ist ein Killer mit Komplexen, früh ergraut, nein, er mag nicht mehr morden. "Unser Land braucht dich" – der Spruch reicht, um Allon zu reaktivieren. Und so fährt er – im vorletzten Buch - nach Russland, um Iwan Charkow das Handwerk zu legen, einem Waffenhändler von al-Qaida. Mission erfüllt: Mit einem Gefolgsmann des Oligarchen sowie mit Charkows Frau und Kindern flieht Allon außer Landes.

An dieser Stelle beginnt "Der Oligarch", nach einem Motto von Machiavelli: "Muss einem Mann eine Verletzung zugefügt werden, sollte sie so schwer sein, dass seine Rache nicht zu fürchten ist." Der Gefolgsmann, als Überläufer im Westen nun ein Szenestar, wird von Charkows Leuten aus London verschleppt, und sie entführen Allons Frau. Unser Agent will die beiden befreien, und so reist er erneut nach Russland; dort wird er gefangen und gequält, dann steht er gefesselt vor einem namenlosen Grab, in einem Gräberfeld aus der Zeit des großen Terrors. Rettung naht in letzter Sekunde. Auf den letzten dreißig Seiten wird in Mossad-Manier aufgeräumt; Allon & Co. jagen Charkow quer durch Europa.

Der Plot ist typisch für das Genre, und genretypisch sind auch die Merkwürdigkeiten des Buchs: die Trennung zwischen Gut und Böse; der Mangel an Moral (die Guten dürfen morden); die geringe Tiefenschärfe der Charaktere. Das größte Klischee aber ist die Hauptfigur, der Killer als Künstler, als tragischer Held. Noch jeder Krimiheld lebt vom Klischee, selbst James Bond, aber anders als Bond – und das nervt - ist Gabriel Allon eine Figur ohne Ironie. Silvas Protagonist spielt nicht den Erlöser, er will es wirklich sein.

Andere Eigenheiten versöhnen den Leser, etwa die bildhafte Darstellung von zwanzig Orten dieser Welt und die Verweise auf reales Geschehen (Anschläge in London; die Stalin-Verehrung vieler Russen). Für Kurzweil sorgt die Machart des Romans, Silvas Präzision, sein Gespür für Timing, Spannung. Vor allem aber – eine Seltenheit im Genre – wird dieser Thriller gut erzählt. In den besten Passagen, und es gibt einige davon, ist "Der Oligarch" einfach gute Literatur. Nach dem sechsten "Daniel Silva" kämpft der Leser vermutlich mit Übersättigung; ein "Silva" allein ist Genuss.

Besprochen von Uwe Stolzmann

Daniel Silva: Der Oligarch
Thriller
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner
Pendo Verlag, München/Zürich 2011
416 Seiten, 19,95 Euro

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