Der Kibbuz als Kunstobjekt

Von Ayala Goldmann · 27.11.2007
Sigalit Landau gehört zu den bekanntesten Künstlerinnen Israels. Ihre Skulpturen und Installationen waren bei der documenta in Kassel und der Biennale in Wien zu sehen. Jetzt zeigt das KW Institut für zeitgenössische Kunst in Berlin ihre erste große Einzelausstellung in Deutschland. Sie ist Bildhauerin, aber auch eine Meisterin des Absurden. In ihren Installationen balanciert sie auf einer Wassermelone im Toten Meer - oder taucht in die Eingeweide des Kibbuzlebens ab.
Sigalit Landau: "Der Kibbuz ist ein utopischer Ort der Gesellschaft. Er wurde gegründet, um Lösungen für alle Probleme und alles Leid zu finden. Mir ging es aber nicht allgemein um einen Kibbuz. Ich habe sozusagen seine Gedärme genommen, seinen Enddarm."

Sigalit Landaus Ausstellung heißt "The Dining Hall". Am Eingang vom KW-Institut für zeitgenössische Kunst in Berlin-Mitte hat die Bildhauerin eine riesige, ausrangierte Spülmaschine aus dem Esssaal eines Kibbuz platziert. Sauberes Besteck, dreckige Kaffeetassen und ein altes Radio drehen sich in einer Endlosschleife auf einem Laufband. Aus den Eingeweiden der Maschine erklingt dumpfe Musik.

"Man isst und wäscht das Geschirr im gleichen Esssaal - für mich ist das ein Gedanke der Reinheit. Zur Zeit werden allerdings sehr, sehr viele Esssäle geschlossen, weil Kibbuzim privatisiert werden. Wir mussten eine Spülmaschine nehmen, die schon viele Jahre nicht gearbeitet hat, und haben sie zu einem Musikinstrument umgebaut."

Auf den ersten Blick sieht Sigalit Landau aus wie ein Punk. Die 38-jährige ist klein, rothaarig und sommersprossig, mit hellblauen Augen und sinnlichen Lippen. Die Haare ihrer Igelfrisur stehen nach allen Seiten ab. Während ihr Mann, ein Designer, auf die Tochter aufpasst - das Baby mit den rotblonden Haaren ist gerade ein Jahr alt - führt Sigalit Landau stolz durch ihre Ausstellung. Im Zimmer neben der Spülmaschine sieht man ein Video mit Wassermelonen, die im Toten Meer schwimmen. Davor riesige Lampen aus Stacheldraht, verziert mit weißen Salzablagerungen. Sigalit Landau hat sie in Wasser des Toten Meeres eingelegt.

"Ich habe Teppiche, Autos und Fahrräder ins Tote Meer getaucht. Die sind dann fast bis auf den Grund gesunken, weil sie zu schwer waren. Aber ich konnte nicht aufhören, mit dem Toten Meer zu experimentieren. Ich bin zu einem Vogelkäfigbauer gegangen und habe ihn gebeten, mir einen kleinen Käfig zu bauen. Und dann habe ich gesehen, dass er auch Lampenschirme macht. Und ich habe sie in die Ecke meines Studios geworfen, und dort lag zufällig Stacheldraht. Und dann haben meine Augen die Verbindung hergestellt. Auf dem Stacheldraht ist das Salz gut haften geblieben, und es sieht aus wie Schnee."

Über die Details des künstlerischen Prozesses könnte Sigalit Landau stundenlang sprechen. Mit Begeisterung beschreibt sie, wie das Salzwasser zum Beispiel eine Zahnbürste verändert, bis sie wie ein kleiner Schneebesen aussieht. Was die Bildhauerin dagegen hasst, sind Fragen nach ihrer politischen Positionierung. Israelische Künstler, sagt sie verärgert, würden ständig nach ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt abgeklopft.

"Ich habe keine Worte für alles, was ich tue. Ich bin sehr praktisch, ich bin Bildhauerin, aber ich bin nicht so logisch, dass ich alles erklären kann. Und das ist Freiheit."

Dennoch hat Sigalit Landau in der Vergangenheit immer wieder eindeutig Stellung bezogen - gegen die Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel. Dass sie als Kind in Jerusalem aufwuchs, sagt sie, hat ihre Kunst stark geprägt:

"Ja, ich glaube, dass das einen Einfluss hatte. Denn wo ich lebte, war die Grenze zu Issawiyye, einem arabischen Dorf auf der anderen Seite. Es gibt viele solche Grenzgebiete in Jerusalem - man muss nur die Straße überqueren, und man kommt von der ersten in die dritte Welt, die Welt der Nachbarn."

Die Kultur der Anderen, Fremdheit, Migration. Themen, um die Sigalit Landaus Arbeiten kreisen. Ihre eigene Familie kam aus England und Czernowitz nach Israel. Im KW Institut hat sie Wohnzimmer und Küche ihrer Einwandererfamilie nachgestellt. Eine typische Jerusalemer Küche - samt tropfendem Wasserhahn und Kühlschrank Marke "Amcor". Aus dem Gasherd singen die Stimmen der Großmütter.

Der Kriminologie-Professor Simcha Landau aus Jerusalem ist Sigalit Landaus Vater. Die 50er- und 60er-Jahre-Möbel in der Installation, sagt er, stammen aus seinem Wohnzimmer. Wie alle guten jüdischen Väter platzt Simcha Landau vor Stolz auf seine Tochter:

"Wir haben nicht darüber geredet, ob ich die Möbel zurückbekomme. Das ist nicht so wichtig. Das ist nicht das einzige Opfer, das ich für Sigalit gebracht habe. Aber das ist okay. Wir unterstützen sie."

Dass Sigalit Landau Humor hat, sieht man an einer Bronzeskulptur im großen Saal. Sie heißt "Die "kotzende Frau" - ein Werk aus der Zeit ihrer Schwangerschaft. Daneben acht Meter hohe Skulpturen von Menschen, die Döner braten. Rotbraune Figuren aus Pappmaschee fachen das Feuer der Fleischsäulen mit Heizstrahlern an. Einige stecken mit ihren Köpfen selbst schon im Kochtopf.

Vier riesige Container hat sie für die Ausstellung von Israel nach Europa verschifft. Obsessiv sei sie, sagen Leute, die mit ihr zusammenarbeiten. Sie selbst nennt das "hartnäckig". Der Erfolg gibt ihr Recht.